Historiker Hans Mommsen zum Hitler-Putsch:"Das Ganze war ziemlich dilettantisch"

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Hans Mommsen in seiner Wohnung am Starnberger See (Archivbild von 2005) (Foto: dpa/dpaweb)

Hitlers Putschversuch von 1923 war die naive Aktion eines politisch isolierten Mannes, meint Hans Mommsen im SZ-Interview. Der Historiker erklärt, warum konservative Kräfte den Nazi-Führer damals nur milde bestraften.

Von Oliver Das Gupta

Hans Mommsen, Jahrgang 1930, entstammt einer Historikerfamilie. Er zählt zu den renommiertesten Vertretern der deutschen Zeitgeschichte und lehrte viele Jahre an der Ruhr-Universität in Bochum, aber auch als Gastprofessor unter anderem in Princeton, Harvard und Jerusalem. Mommsen forschte und publizierte vor allem über die Zeit zwischen 1918 und 1945. In diese Periode fällt das Pogrom gegen die jüdischen Deutschen vom 9. November 1938, sowie der Hitler-Putsch, der am gleichen Tag 15 Jahre zuvor in München scheiterte.

SZ: Herr Mommsen, hatte Adolf Hitler 1923 überhaupt eine reale Chance, an die Macht zu gelangen?

Hans Mommsen: In dieser Konstellation nicht. Hitler war politisch isoliert und seine Militärverbände waren in München gar nicht ausreichend gerüstet, um einen Staatsstreich durchzuführen. Das Ganze war eine ziemlich dilettantische Angelegenheit.

Nazi-Trupp auf dem Münchner Marienplatz während des Hitler-Putsches am 9. November 1923 (Foto: Bundesarchiv)

Warum hat Hitler trotzdem den Umsturz versucht?

Hitler sah sich zur Flucht nach vorne gezwungen, nachdem das Bündnis mit den Konservativen und der politischen Rechten geplatzt war. Er verfolgte eine "Alles-oder-nichts"-Strategie, in der Hoffnung, eine Volksbewegung zünden zu können, die ihn tragen würde. Das war natürlich reine Fiktion. Später hat sich Hitler auf solch naive Strategien nicht mehr eingelassen.

Zumindest nicht bis 1933, als die Nazis an die Macht kamen. Zeigte sich nicht später, im Krieg, die Realitätsferne und der Größenwahn nicht umso deutlicher?

Ich will das nicht bestreiten. Im Grunde lebte die Hitler'sche Bewegung immer von der Vorstellung, mit großer Propaganda alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Diese These hat spätestens der Krieg gegen die Sowjetunion widerlegt. Nach dem misslungenen Putsch vom 9. November 1923 dachte Hitler auf jeden Fall um.

Welche Schlüsse zog er?

Er nahm sich vor, nicht mehr gegen die Armee zu putschen. Dass das zu riskant war, war ihm eine Lektion. Dieser Schrecken ist ihm dann doch unter die Haut gefahren. Es spielen natürlich auch noch andere Faktoren eine Rolle. Nach dem Putsch war Hitler erst mal von der Bildfläche verschwunden.

Putschversuch in München
:9. November 1923 - Hitlers vergeblicher Griff nach der Macht

Fünf Jahre nach dem Ersten Weltkrieg versucht Adolf Hitler von München aus, die Macht in Deutschland an sich zu reißen. Bilder aus dem Archiv von SZ Photo.

Die Justiz verurteilte Hitler und die anderen Putschisten zu lächerlich geringen Strafen. Warum ging der Staat so milde mit Verrätern um?

Die bayerische Regierung versuchte sich mit Hitler zu arrangieren.

Warum tat sie das? Vor dem Putsch hatte sie Hitler doch isoliert.

Er wurde als nationaler Held in der Presse dargestellt. Hitler sicherte nun auch zu, sich an die Verhältnisse anzupassen und nicht mehr putschen zu wollen. Die herrschenden bayerischen Honoratioren wählten lieber diesen schlechten Weg, als einen Kompromiss mit der politischen Linken einzugehen.

Hitler zähmen und einbinden - das dachten die rechtskonservativen Kräfte auch noch 1933 und bescherten Hitler so die Kanzlerschaft.

1933 war im Grunde ein Nachklang der Einbindungsstrategie von 1923. Das galt übrigens auch für das Militär.

Wie schafften es die Nazis nach ihrer Machtergreifung, Hitlers jämmerlichen Putsch als heroische Tat darzustellen?

Das Ganze wurde umgekehrt. Der Umsturzversuch wurde als Leiden Hitlers für die Einheit der Nation dargestellt - was natürlich von vorne bis hinten nicht stimmte. Dieser Mythos wurde aus der Niederlage heraus ebenso von rechtskonservativen Kreisen bewusst aufgebaut. Auch in der Illusion, dass man sich Hitler zunutze machen und ihn lenken könnte.

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Im November 1938 initiierte die NS-Führung den Gewaltexzess gegen jüdische Deutsche. Gotteshäuser und Geschäfte wurden verwüstet, Menschen erniedrigt, getötet oder ins KZ geschafft. Aufnahmen aus dem Archiv von SZ Photo.

Wählten die Nazis - abgesehen vom Tod eines deutschen Diplomaten durch einen jüdischen Attentäter - den Jahrestag des Putsches bewusst für das Pogrom gegen die jüdischen Deutschen 1938?

Nein, so kommt es nicht zur Zentralattacke gegen die Juden. Goebbels nützte die Gelegenheit aus propagandistischen Gründen. Er initiierte die landesweite Terrorwelle, bekam aber sofort Probleme mit der NS-Führung, vor allem mit den SS-Größen Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich. In der Nacht zuvor hatten die Spitzen der SS den Rücktritt des Propagandaministers gefordert. Goebbels hatte überreizt.

Was rettete den Propagandaminister?

Hitler hat Goebbels rausgepaukt. Er besuchte mit ihm demonstrativ ein Theater. Hitler lehnte offenen Krawall gegen Juden zu diesem Zeitpunkt ab. Am Vormittag danach, um 10 Uhr, hat er Goebbels zurückgepfiffen, die Fortführung des Pogroms wurde abgesagt. In seiner anschließenden Rede vor einflussreichen deutschen Journalisten erwähnte Hitler die Judenverfolgung mit keinem Wort.

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Von Oliver Das Gupta

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© SZ vom 9./10. November 2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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