Gazastreifen:Hilfslieferungen sollen frühestens am Freitag starten

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Schon seit Tagen warten Lastwagen mit Hilfsgütern vor dem Grenzübergang Rafah in Ägypten (Bild vom 18. Oktober). (Foto: STRINGER/REUTERS)

Nach Vermittlung des US-Präsidenten hat Ägypten einer Öffnung des Grenzübergangs Rafah zugestimmt. Zunächst wird nur ein Konvoi von 20 Lastwagen zugelassen - aus Sorge, dass die Hamas das Material unter ihre Kontrolle bringen könnte.

Von Bernd Dörries und Peter Münch, Kairo/Tel Aviv

Seit Tagen stehen die Laster an der Grenze zum Gazastreifen, und täglich kommen neue hinzu. Manche sehen etwas staubig aus, manche sind fast feierlich geschmückt, mit Planen, die das Bild des Felsendoms in Jerusalem zeigen. Manche haben Lebensmittel geladen, manche Medikamente. Vorangekommen sind sie lange nicht. Während das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Gaza seit Tagen davor warnt, dass die Nahrungsmittel bald ausgehen, saßen die Laster mit den so dringend benötigten Hilfsgütern auf der ägyptischen Seite fest, am Rafah-Grenzübergang, dem einzigen nicht von Israel kontrollierten Weg in den Gazastreifen.

Nun soll die Hilfe in das abgeriegelte Gebiet dürfen, es brauchte eine Verständigung zwischen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und US-Präsident Joe Biden, damit die Grenze wieder geöffnet werden könnte. Sie werde die Hilfslieferungen aus Ägypten so lange zulassen, "wie diese Lieferungen nicht die Hamas erreichen", teilte die israelische Regierung mit. Auch Biden sagte, die Hilfe werde sofort gestoppt werden, wenn die Terrororganisation Hamas die Laster in ihre Kontrolle bringen würde. Die Hilfsgüter sollen unter Aufsicht der Vereinten Nationen nach Gaza gelangen.

Die ersten Lastwagen sollen laut Weißem Haus frühestens am Freitag aufbrechen, offenbar muss vorher noch die Straße am Übergang repariert werden. Zunächst wird nur ein Konvoi von 20 Lkws zugelassen - für eine Bevölkerung von 2,2 Millionen Menschen, die unter immer schwierigeren Bedingungen ums Überleben kämpfen muss. Israel hat nach den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober eine Totalblockade verhängt.

Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen betonten, dass in den kommenden Tagen deutlich mehr Hilfe nötig sei, US-Präsident Biden sprach von der Möglichkeit, dass danach die weiteren etwa 150 Lastwagen kommen könnten, die an der Grenze warteten - abhängig davon, wie es laufe. Laut dem UN-Nothilfebüro Ocha stehen derzeit Lastwagen mit 3000 Tonnen Hilfsgütern an der Grenze bereit.

Auch Ägypten versprach, die Grenze dauerhaft geöffnet zu halten, der Grenzverkehr habe zuletzt nur deshalb nicht normal funktioniert, weil der Übergang vier Mal von Israels Luftwaffe bombardiert worden sei, sagte Ägyptens Außenminister Samih Schukri. In den vergangenen Tagen hatte die Regierung in Kairo aber auch gesagt, Israel habe gedroht, Hilfskonvois zu bombardieren, und man habe sich mit Tel Aviv nicht einigen können, in welcher Form die Konvois auf Waffen durchsucht werden können. Dies ist nun offenbar geklärt.

Ägypten lehnt Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Gazastreifen ab

Umgekehrt will Ägypten aber keine Flüchtlinge aus Gaza auf sein Gebiet lassen, was Israels Regierung immer wieder vorgeschlagen hatte. "Ägypten lehnt jeden Versuch ab, die palästinensische Frage durch die gewaltsame Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land zu lösen, was auf Kosten der Länder der Region gehen würde", sagte Ägypten Präsident al-Sisi. Er kam 2013 durch einen Militärputsch gegen die gewählte Regierung der Muslimbrüder ins Amt, die wiederum Verbündete der Hamas sind. Eine erzwungene Vertreibung der Palästinenser aus Gaza könnte das Problem auf ägyptisches Territorium verlagern, inklusive möglicher Anschläge auf Israel. Für viele Menschen in der arabischen Welt käme eine massenhafte Flucht von Palästinensern einer zweiten "Nakba" gleich, die durch die Staatsgründung Israels ausgelöste Flucht und Vertreibung von etwa 700 000 Palästinensern, die teilweise bis heute in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer leben.

Biden hat in Israel Überzeugungsarbeit leisten müssen, denn im Kabinett hatte es Berichten zufolge heftige Widerstände gegen humanitäre Hilfe für die Bewohner des Gazastreifens gegeben. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ließ sich schließlich zu dem Kompromiss einer Lieferung über Ägypten bewegen, stellte jedoch zugleich klar, dass dies allein "Lebensmittel, Wasser und Medizin für die Zivilbevölkerung im südlichen Gazastreifen" umfassen dürfe.

(Foto: SZ-Karte/Mapcreator.io/OSM)

Hilfslieferungen über den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom, der sonst für den Güterverkehr in den Gazastreifen genutzt wird, schließt Israel weiter kategorisch aus. Darüber könne erst wieder geredet werden, wenn alle Geiseln freigelassen würden, erklärte Netanjahu. Zudem forderte er, dem Roten Kreuz einen Zugang zu den von der Hamas verschleppten Israelis zu erlauben.

Heftige Kritik an der Lieferung von Hilfsgütern kam in Israel von den Angehörigen der Verschleppten. Sie fürchten, damit ein Druckmittel in Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln aus der Hand zu geben. "Wir erinnern daran, dass Kinder, Babys, Frauen, Soldaten, Männer und alte Menschen dort im Untergrund ohne humane Bedingungen wie Tiere festgehalten werden", heißt es in einer Erklärung der von den Familien gegründeten Organisation "Bringt sie jetzt nach Hause". Nun gewähre Israels Regierung "den Mördern Zugang zu Baklava und Medizin". Die Geisel-Familien verlangten eine Rücknahme dieser "schrecklichen Entscheidung".

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