Boris Rhein hat sich Zeit gelassen. Nun, fünf Wochen nach der hessischen Landtagswahl am 8. Oktober, steht fest: Der wiedergewählte Ministerpräsident von den Christdemokraten will mit der SPD koalieren. "Wir wollen als CDU den Versuch unternehmen, in Hessen eine Regierung mit der SPD zu bilden und zum ersten Mal seit 70 Jahren in einer christlich-sozialen Koalition zusammenarbeiten", sagte Rhein am Freitagmittag in Wiesbaden. Die Entscheidung sei einstimmig durch die Gremien bestätigt worden, zuvor hatten sich das Präsidium, der Landesvorstand und die Fraktion der hessischen CDU getroffen.
Die Entscheidung für die Sozialdemokraten ist auch eine Entscheidung gegen die Grünen, mit denen die hessische CDU fast zehn Jahre lang regierte. "Aufgrund der übergroßen Schnittmengen haben wir uns dafür entschieden, mit der SPD diesen Weg zu gehen", sagte Rhein am Freitag. Ziel sei es nun, ein Programm zu schreiben, das Vernunft und Fortschritt miteinander verbinde.
Lange hat Boris Rhein ein Geheimnis darum gemacht, mit wem er künftig eine Koalition bilden will. Fünf Sondierungsgespräche habe es jeweils insgesamt mit Grünen und SPD gegeben, sagte Rhein. Die Tatsache, dass der Ministerpräsident sich so viel Zeit nahm, hatten viele schon im Vorfeld als Hinweis dafür gedeutet, dass sich die CDU für die SPD als neue Koalitionspartnerin entscheiden könnte. Warum schließlich hätte er die Grünen einen Monat lang hinhalten sollen, nur um ihnen dann zu sagen, dass er nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten wolle?
Nach der Landtagswahl am 8. Oktober war Boris Rhein in der komfortablen Position, sich einen Koalitionspartner auszusuchen - und den Preis hochzutreiben. Mit 34,6 Prozent ging er als großer Gewinner hervor, im Vergleich zu 2018 verbesserte er das Wahlergebnis seiner Partei um 7,6 Prozentpunkte. Und er schaffte es, den Abstand zu den möglichen Koalitionspartnern auf jeweils fast 20 Prozentpunkte zu vergrößern.
Viele Themen für eine Koalition der Mitte
Die Sozialdemokraten, für die Rhein sich nun entschieden hat, waren eigentlich als klare Verlierer aus der Landtagswahl hervorgegangen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte als SPD-Spitzenkandidatin mit 15,1 Prozent das schlechteste Ergebnis geholt, das ihre Partei je in Hessen hatte. Faesers Probleme im Bund - Schwierigkeiten mit der Migration, die Entlassung des einstigen Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm - begleiteten sie auch im Landtagswahlkampf, ihre Beliebtheitswerte sanken.
Nun also dürfte die SPD in Hessen bald zum ersten Mal nach fast 25 Jahren Opposition wieder in der Regierung sitzen - allerdings als Juniorpartnerin. Und ohne Nancy Faeser; einen Wechsel in die Landespolitik schloss die Innenministerin am Freitag erneut aus. Dabei gibt es in der SPD durchaus ehemalige Funktionsträger, die Faeser einen Wechsel nach Hessen raten würden. Weil es in der hessischen SPD sonst niemanden gebe, der diese Rolle ausfüllen könnte - und Faeser ihr Amt als Bundesministerin nach der nächsten Wahl ohnehin kaum behalten dürfte, lauten die Argumente.
Für die Sozialdemokraten, das betonte Rhein immer wieder, hätten am Ende inhaltliche Punkte gesprochen. Beim Thema Migration schweben CDU und SPD strengere Regeln vor als den Grünen. Auch in den Bereichen Wirtschaft und Verkehr gibt es mehr Gemeinsamkeiten, neue Straßen zum Beispiel dürften sich mit der SPD leichter bauen lassen als mit den Grünen. Heute sei man in einer anderen Situation als noch vor zehn Jahren, sagte Rhein, "heute stehen Themen im Vordergrund, wo wir eine Koalition der Mitte bilden müssen".
Schwarz-Grün geriet in den letzten Jahren an seine Grenzen
Bei seinem bisherigen Koalitionspartner, den Grünen, bedankte sich Rhein am Freitag. Die Entscheidung sei eine seiner "emotional schwierigsten" gewesen. 2013 hatte Rheins Vorgänger Volker Bouffier zusammen mit Tarek Al-Wazir die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland geschmiedet. Das ging lange gut.
In der vergangenen Legislatur hingegen schien das Bündnis zunehmend an seine Grenzen zu geraten, etwa bei dem Versuch, sich im Untersuchungsausschuss zu den rassistischen Morden von Hanau 2020 auf einen Abschlussbericht zu einigen. Viele Mitglieder der Grünen klagten über die Kompromisse, die sie mit der CDU machen mussten, zum Beispiel beim dritten Terminal für den Flughafen Frankfurt und der Rodung des Dannenröder Forsts. Al-Wazir, der bei der Wahl am 8. Oktober angetreten war, um selbst Ministerpräsident zu werden, erhielt am Ende nur 14,8 Prozent.
Man wolle von Dienstag kommender Woche an mit den Koalitionsgesprächen beginnen, kündigte Rhein an. Die Wahlperiode des bisherigen Landtags endet erst am 17. Januar, der neue Landtag konstituiert sich dann am 18. Januar.