Energiekrise:Berlin droht Niederlage beim Gaspreisdeckel

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Die Sorge der Skeptiker: Künstlich verbilligte Preise könnten die Gas-Nachfrage steigern und die Verbraucher vom Sparen abhalten. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa-tmn)

Die EU-Energieminister wollen sich am Montag einigen, bei welcher Höhe die umstrittene Obergrenze eingezogen wird. Deckel-Fans könnten dann Skeptiker wie die Bundesregierung überstimmen.

Von Björn Finke, Brüssel

Bei vielen Punkten gab es eine Annäherung, doch auf das wichtigste Detail konnten sich die 27 EU-Energieminister am Dienstag nicht einigen: die Höhe des geplanten Gaspreisdeckels für Europa. Dabei hatten die Politiker bis in den Abend hinein in Brüssel konferiert. Aus Berlin war Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen angereist; er sprach hinterher von einem "anstrengenden Tag mit großen Fortschritten, aber noch nicht dem finalen Durchbruch". Die Minister wollen bei ihrem nächsten Treffen am kommenden Montag einen neuen Anlauf wagen, das brisante EU-Gesetz zu verabschieden.

Zuvor könnten noch ihre Vorgesetzten, die Staats- und Regierungschefs, über das strittige Thema diskutieren - beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag in Brüssel. Der tschechische Minister Jozef Síkela sagte allerdings am Dienstagabend, keiner seiner 26 Amtskollegen habe darum gebeten, den Gipfel damit zu befassen. Síkela hatte das Treffen der Energieminister geleitet. Tschechien hat noch bis Silvester die rotierende Ratspräsidentschaft inne, führt also die Geschäfte im Ministerrat, dem Gremium der EU-Regierungen.

Auf Síkela entfällt damit die undankbare Aufgabe, Kompromisse zwischen Deckel-Fans und -Skeptikern in der EU zu suchen. Zu den Skeptikern gehören etwa die deutsche und niederländische Regierung und auch die EU-Kommission. Diese Mahner warnen, dass harte Markteingriffe die Gasversorgung gefährden könnten. So könnte ein künstlich verbilligter Preis die Nachfrage anheizen, obwohl die EU eigentlich Gas sparen muss. Zugleich könnten Förderländer ihre Tankschiffe mit Flüssigerdgas - das wird auf Englisch LNG abgekürzt - lieber zu anderen Kontinenten schicken, die mehr zahlen.

Die Kommission legte erst nach langem Zögern vor drei Wochen den Gesetzentwurf für ein Preislimit vor. Das soll nicht bei den Verbrauchern ansetzen, sondern bei den Gasversorgern und -händlern. Sie dürfen kein Gas zu einem Preis jenseits der staatlich festgesetzten Obergrenze kaufen. Diesen sogenannten Marktkorrektur-Mechanismus gestaltete die Brüsseler Behörde aber so vorsichtig, dass er nur in extremen Ausnahmefällen aktiviert würde. Selbst eine Situation wie im August, als die Notierung kurzzeitig auf 350 Euro pro Megawattstunde schnellte, würde nicht ausreichen. Seitdem ist der Preis wieder gefallen und liegt seit fast zwei Monaten unter 150 Euro.

Deckel-Fans halten den Vorschlag der Kommission für einen schlechten Witz

Die Mehrheit der Staaten, darunter etwa Italien und Polen, verlangt jedoch einen wirklich wirksamen Deckel, um die Energiekosten im Zaum zu halten. Den Vorschlag der Kommission empfanden diese Regierungen als schlechten Witz - und sie wollen den Gesetzentwurf deshalb vor der Verabschiedung deutlich verschärfen: zum Schrecken von Skeptikern wie dem deutschen Minister Habeck.

Der Disput blockiert auch die Verabschiedung eigentlich unstrittiger Vorhaben zum Senken der Gaspreise. So sollen die Mitgliedstaaten im kommenden Jahr einen Teil des Gases für ihre Speicher gemeinsam ordern. Das soll verhindern, dass sich Länder gegenseitig überbieten und die Preise hochtreiben, so wie es im vergangenen Sommer geschehen ist. Zudem sollen Genehmigungsverfahren für Solardächer, Wärmepumpen und die Modernisierung von Windparks drastisch verkürzt werden. Das würde den Gasverbrauch verringern. Die Deckel-Fans unter den Regierungen wollen diese Initiativen aber nur billigen, wenn die Preisobergrenze mehr Biss erhält.

In einem Kompromissvorschlag zum Preislimit, der vor dem Ministertreffen verteilt wurde und der Süddeutschen Zeitung vorliegt, kommt Sitzungsleiter Síkela den Deckel-Fans deutlich entgegen. So würde die Obergrenze schon aktiviert, wenn der Preis 200 bis 220 Euro je Megawattstunde überschreitet - die Kommission wollte das erst bei 275 Euro geschehen lassen. Der Deckel selbst wäre dem Kompromiss zufolge nicht fix, sondern beweglich: Er soll immer 35 Euro über dem durchschnittlichen Weltmarktpreis für Flüssigerdgas liegen. Das Limit soll so verhindern, dass Förderländer von Gasimporteuren in der EU deutlich mehr verlangen als zum Beispiel von asiatischen Kunden.

Ein Streitpunkt war auch, ob der Deckel nur für Abschlüsse an Gasbörsen oder genauso für Verkäufe jenseits dieser Handelsplätze gelten soll, das sogenannte Over-the-Counter-Geschäft. Hier kommt der Kompromiss den Skeptikern um Deutschland entgegen, indem er Over-the-Counter-Verträge ausnimmt von der Preisgrenze.

Wird Habeck überstimmt?

Nach der Konferenz sagte Síkela, die Minister hätten sich "im Prinzip" auf das Design des Limits geeinigt. Und um die Skeptiker zu beruhigen, seien die Regeln gestärkt worden, die zu einem automatischen Aus für den Deckel führen, sollte dieser Probleme bereiten. Für die Zusammenkunft am Montag gebe es "nur einen offenen Punkt: das Preisniveau", verkündete er.

Normalerweise würde eine sogenannte qualifizierte Mehrheit ausreichen, um das Deckelgesetz zu verabschieden. Das entspricht ungefähr einer Zweidrittelschwelle. Allerdings verständigten sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel im Oktober informell darauf, Einstimmigkeit zu suchen. Ist die jedoch nicht in Sicht, könnten die Deckel-Befürworter beim Ministertreffen am Montag auf eine Mehrheitsentscheidung dringen. Die Skeptiker um Deutschland könnten dann überstimmt werden. Habeck sagte dazu, er würde eine Konsenslösung bevorzugen. Aber es könne "wohl passieren", dass das Gesetz am Montag "zur Not über Mehrheitsentscheidung" gebilligt wird.

Will die Bundesregierung verhindern, überstimmt zu werden, müsste sie ein weiteres bevölkerungsreiches Land ins Lager der Skeptiker ziehen - etwa Frankreich. Dann würde es für eine Sperrminorität reichen. Bundeskanzler Olaf Scholz könnte versuchen, beim EU-Gipfel an diesem Donnerstag seinen Charme spielen zu lassen.

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