Im Streit über die künftige Asylpolitik in Europa hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ein Machtwort gesprochen. Regierungskreisen zufolge mahnte er am Mittwoch in der Sitzung des Kabinetts eine rasche Einigung im Streit zwischen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) an. Die europäische Asylreform dürfe nicht gefährdet werden, habe Scholz signalisiert. Deutschland dürfe weder die Asylreform noch die umstrittene Krisenverordnung aufhalten.
Damit wächst der Druck vor allem auf Innenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock, sich im Koalitionsstreit schnell auf eine gemeinsame Linie zu einigen. Denn bereits an diesem Donnerstag treffen sich in Brüssel die EU-Innenminister, um beides voranzutreiben. Noch am Mittwochnachmittag sollte nach SZ-Informationen ein Krisengespräch der beiden Ministerinnen stattfinden. Die Gespräche über eine gemeinsame Linie könnten sich aber noch bis in den Donnerstag ziehen, hieß es weiter.
Faeser hatte sich zuletzt immer wieder für die Asylreform ausgesprochen und bekam mit Scholz' Machtwort die Unterstützung des Kanzlers. Die Reform sei der entscheidende Schritt für eine deutliche Verringerung der irregulären Migration nach Europa, sagte Faeser. Jeder müsse an den Außengrenzen der Europäischen Union strikt kontrolliert und registriert werden. Sie gehe davon aus, dass es am Donnerstag in Brüssel eine politische Einigung über die Krisenverordnung geben werde, sagte sie am Mittwochabend der Deutschen Presse-Agentur.
Baerbock hatte dagegen Bedenken angemeldet. Die zwischen EU-Staaten ausgehandelte Krisenverordnung könne Standards für Schutzsuchende zu stark senken und Transitländer wie Polen oder die Slowakei aus der Verantwortung bei Grenzkontrollen und Registrierung nehmen, befürchtet die Ministerin. Die Folge könnten mehr und nicht etwa weniger Flüchtlinge sein, die nach Deutschland kommen. Faeser wies diese Kritik am Mittwoch zurück. Sie sehe durch die Krisenverordnung keine Gefahr wachsender Flüchtlingsströme.
Die EU-Staaten hatten sich eigentlich bereits auf die Asylreform verständigt. Nun muss in der Sache noch eine Einigung mit dem Europäischen Parlament gefunden werden. Das aber fordert, mit der Reform auch einen europäischen Krisenmechanismus zu verabschieden, den besonders von Migration betroffene Staaten aktivieren können. Dabei ist umstritten, wie eine Krise konkret definiert ist und welche Schritte dann unternommen werden können. Im Gespräch ist etwa, dass die haftähnliche Unterbringung von Migranten verlängert werden kann, was die Grünen strikt ablehnen.
Nach der Einigung in Brüssel:Sieben Fragen und Antworten zur EU-Asylreform
Die EU will ihre Asylregeln verschärfen. Aber was soll nun an den EU-Außengrenzen genau passieren? Und wie soll der Solidaritätsmechanismus funktionieren?
Die Bundespolizei werde aufgestockt, sagt Faeser
Unterdessen kündigte die Innenministerin als Sofortmaßnahme zur Bekämpfung der illegalen Migration nach Deutschland erweiterte Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien an. "Wir müssen das grausame Geschäft der Schleuser unbedingt stoppen, denn die setzen mit maximalem Profit Menschenleben aufs Spiel", sagte Faeser. Deshalb werde die Bundespolizei "zusätzliche flexible Schwerpunktkontrollen an den Schleuserrouten an den Grenzen zu Polen und Tschechien" vornehmen. Diese Kontrollen seien eine Ergänzung der Schleierfahndung, die in den vergangenen Monaten bereits intensiviert worden sei.
Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, steigt derzeit stark. Bis Ende August haben 200 000 Menschen Erstanträge auf Asyl gestellt - fast 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Nahezu jeder vierte illegale Einwanderer komme über eine Schleusung nach Deutschland, sagte Faeser. Die Kontrollen sollen das Geschäft schwerer machen. "Mein Ziel ist maximaler Ermittlungsdruck auf die Schleuser." Die Bundespolizei werde für die Aufgabe entsprechend aufgestockt. Zugleich werde dafür gesorgt, dass die Kontrollen so wenig wie möglich Auswirkung hätten auf den Alltag der Menschen und die Wirtschaft im Grenzgebiet.
Die FDP-Fraktion stellte derweil eine Reihe von Forderungen zur Migrationspolitik auf. Die Liberalen verlangen unter anderem, dass die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden und dass Asylsuchende kein Geld, sondern nur noch Bezahlkarten bekommen sollen. Die Kommunen will die FDP auch dadurch entlasten, dass Migranten erst auf Städte und Gemeinden verteilt werden, wenn ihr Asylverfahren abgeschlossen ist.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki sagte der SZ, dass das Machtwort des Kanzlers zwar den Streit innerhalb der Koalition befrieden könne, gesellschaftlich aber nicht reichen werde. "Es muss aus der demokratischen Mitte heraus ein Zeichen geben, dass wir es ernst meinen mit der Begrenzung des Zuzugs." Möglich sei eine solche Begrenzung aber nur, wenn "diejenigen, die keine Chance haben hierzubleiben, auch keine Leistungen mehr bekommen und schnell zurückgeführt werden - in ihre Heimatländer oder auch in ein aufnahmewilliges Drittland".
Wenn das Migrationsproblem nicht gelöst werde, werde die Ampel "keine Unterstützung mehr beim Wähler" bekommen, warnte Kubicki. Mit Blick auf die Bayern-Wahl sagte er: "Wenn die Ampel-Parteien bei der dortigen Landtagswahl zusammen nicht über 25 Prozent kommen, wäre das ein Menetekel." Er warnte auch vor einem weiteren Erstarken der AfD. "Ich möchte nicht, dass bei einer der nächsten Wahlen in Ostdeutschland alle demokratischen Parteien außer der Linken und der CDU rausfliegen und die AfD eine absolute Mehrheit bekommt." Das wäre "innenpolitisch für uns nicht mehr handelbar".