Das Politische Buch:Der sich mit der Industrie anlegt

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Projekt Saubere Luft: Wenn sich Jürgen Resch etwas vorgenommen hat, zieht er es auch durch, wenn es sein muss mit Dutzenden Gerichtsbeschlüssen wie beim Feinstaubfahrverbot. Foto von 2017, entstanden am Stuttgarter Schlossplatz. (Foto: Franziska Kraufmann/dpa)

Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, hat Dieselfahrverbote und Dosenpfand durchgesetzt und sich damit viele Feinde gemacht. Nun erklärt er, warum man mit Beharrlichkeit viel erreichen kann - auch gegen sehr mächtige Lobbyisten.

Rezension von Michael Bauchmüller

Ein junger Mann klettert auf einen Baum und rührt sich nicht weg. Ein städtischer Bautrupp will hier Bäume fällen, sie sollen Platz machen für einen Weg am Ufer des Bodensees. Die Polizei rückt an, sie soll den Baumbesetzer runterholen, doch der verweist auf die Baubehörde. Der Weg, sagt er, sei gar nicht genehmigt. Und er hat recht.

Bis heute endet der Weg an dieser Stelle, nicht weit von Friedrichshafen. Für den jungen Mann aber, er heißt Jürgen Resch, beginnt er hier. Später wird er in einen Kampf mit Coca-Cola und dem deutschen Lebensmittelhandel ziehen, um ein Dosenpfand zu erzwingen. Er wird keine Ruhe geben, bis massenhaft Filter den Ruß aus den Dieselabgasen holen und Städte die schlimmsten Stinker aus "Umweltzonen" aussperren. Er wird in einen erbitterten Kampf mit der mächtigen deutschen Autoindustrie ziehen und Dutzenden Städten Pläne für bessere Luft abnötigen.

Resümee seines 40 Jahre dauernden Kampfs

Diesen Weg zeichnet Jürgen Resch nun selber nach. "Druck machen!" heißt sein Buch, und der Titel ist gleichsam eine Aufforderung an die Leserin und den Leser. In aller Bescheidenheit sieht sich Resch dabei durchaus als Beispiel - dafür, wie viel sich mit Ausdauer ausrichten lässt.

All die Beharrlichkeit, manche würden sagen: Renitenz, zeigt sich schon auf jenem Baum bei Friedrichshafen. Resch sieht sich, wie so oft in den vierzig Jahren danach, im Recht. Und wie so oft in diesen 40 Jahren bekommt er es auch. Ob die Gegner eine Kettensäge in der Hand haben oder, wie Resch zuweilen vermutet, die halbe Bundesregierung - das interessiert ihn nicht. "Druck machen", das ist offensichtlich auch die Lehre aus vier Jahrzehnten Kampf.

Dabei wirkt das Bild, das Resch von sich selbst zeichnet, zunächst ganz harmlos. Er beginnt seine Geschichte mit Streifzügen durch den Hegau, jene Vulkanlandschaft nahe dem Bodensee, in deren Nähe er aufwuchs. Seine Eltern machen ihn dort mit der Natur vertraut, als Kind entdeckt er seine Liebe zu Vögeln; vor allen solchen, die angeschlagen sind und nicht mehr fliegen können. Die Eltern betreiben eine kleine Drogerie in Singen, doch sie kann es mit den neu entstehenden Einkaufszentren nicht aufnehmen. Als Resch elf ist, müssen die Eltern das Geschäft aufgeben.

Es begann mit Pflanzengift und toten Vögeln

Der junge Vogelfreund wird zunehmend im Naturschutz aktiv, nicht nur auf Bäumen. Seinen Zivildienst tritt er in einem Naturschutzzentrum des Umweltverbands BUND an, nicht weit von Konstanz. Bei einer Exkursion, so beschreibt er es, beobachtet er erste Anzeichen eines rätselhaften Vogelsterbens. So beginnt sein erster großer Fall. Und in Reschs Schilderung hat er verblüffende Ähnlichkeiten mit den viel größeren Nüssen, die er noch knacken wird.

Ein anonymer Anrufer bringt den Zivi auf die Spur eines Pflanzengifts, das im Obstbau verwendet wird: Endrin. Er findet ein Labor, das den Verdacht erhärtet: Die verendeten Vögel sind an Endrin gestorben. Damit ist der erste Gegner schon klar: die Chemieindustrie. Zu den Herstellern zählt unter anderem der mächtige Shell-Konzern, sie warnen vor dem Verlust von Arbeitsplätzen, sollte Endrin verboten werden. Aber auch die Obstbauern sind sauer auf Resch, er wird gewarnt. Angeblich kursieren Morddrohungen. "Ich lernte früh, dass sie der Preis für meine Arbeit waren", schreibt er. Auch die Behörden wollen nicht einlenken - bis schließlich der öffentliche Druck zu groß wird. Die Bilder der verendeten Vögel sind zu stark, Resch weiß sie zu nutzen. Danach hat er ein paar Feinde mehr.

Resch hat die Lufthoheit in deutschen Städten

Dieses Muster wiederholt sich. In Reschs Darstellung wirkt die Causa Endrin wie der Prototyp späterer Auseinandersetzungen. Immer geht es darum, öffentlichen Druck zu organisieren und Verbündete zu suchen. Immer gleicht der Kampf einer Auseinandersetzung zwischen dem David Resch und dem Goliath Industrie. Immer bringt die Gegenseite mit geballter Lobbymacht ihre eigenen "Wahrheiten" unters Volk.

Mitte der 80er-Jahre entdeckt Resch sein Herz für die Mehrwegflasche. Getränkekonzerne und Supermärkte setzen das etablierte Pfandsystem zunehmend unter Druck. Resch fühlt sich erinnert an das Ende der elterlichen Drogerie. Es geht auch ums Prinzip.

Projekt Dosenpfand: Das Gebäude des Bundesrats hinter Bergen von Dosenmüll im Jahr 2001. (Foto: dpa)

Dieser Kampf soll 20 Jahre andauern. In dessen Verlauf verbündet sich Resch, mittlerweile Chef der Deutschen Umwelthilfe, mit Brauereien, die ebenfalls um das Mehrwegsystem bangen. Auf einem Gelände gleich beim Bundesrat organisiert er eine Pyramide in Berlin eingesammelter Einwegdosen - ein Bild, das alles sagt. Am Ende steht das deutsche Dosenpfand. Industrie und Handel hatten seine Einführung über Jahre mit juristischen Kniffen aufgehalten.

Mut- und zahnlose Umweltminister - mit zwei Ausnahmen

Es sind bittersüße, zuweilen fast schon verbitterte Schilderungen des "Druckmachens". Mit Ausnahme von Klaus Töpfer und Jürgen Trittin kommt kein deutscher Umweltminister und keine Umweltministerin gut weg bei Resch: Alle erlebt er mut- und zahnlos. Da sind nur noch die Verkehrsminister schlimmer.

Jürgen Resch: Druck machen! Wie Politik und Wirtschaft wissentlich Umwelt und Klima schädigen - und was wir wirksam dagegen tun können. Ludwig-Verlag, München 2023. 336 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro. (Foto: Ludwig/Ludwig-Verlag)

Sie begleiten ihn durch den längsten Abschnitt des Buches: Der Kampf um die Lufthoheit in deutschen Städten. Aus Reschs Sicht hat die viel zu lange der Auspuff, geduldet von allen möglichen Behörden und den zuständigen Ministerien. Der Dieselmotor, dieses vermeintliche Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst, hat die Atemluft erst mit Ruß verpestet. Als schließlich Filter dieses Problem eindämmen, werden überhöhte Stickoxid-Emissionen ruchbar - und die Tricksereien deutscher Hersteller, um im Prüflabor die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten.

Von der Perfidie des Lobbyismus

Resch beschreibt eine Industrie, die bis in Ministerien und Behörden hineinregiert. Volkswagen, BMW und Mercedes versuchen mit allen Mitteln, Reschs Kampf für saubere Luft zu unterbinden. Die Beispiele füllen Seiten, sie sind ein Lehrstück für die Funktionsweise, zuweilen Perfidie, des Lobbyismus. Und jede einzelne Behauptung, davon darf man ausgehen, haben Resch und sein Anwalt Remo Klinger durch viele Instanzen erstritten.

Nicht alle finden Reschs Projekte gut, hier ein Rosenmontagswagen aus dem Jahr 2019, bei dem die Umwelthilfe den Dieselfahrern sozusagen an den Kragen geht., (Foto: Uwe Kraft/Imago)

Für viele ist Jürgen Resch in diesen vierzig Jahren zur Hassfigur geworden. Nicht nur für diverse Konzerne, sondern auch für Autofahrer, die die Schuld für Fahrverbote und neue Auflagen bei ihm sahen (und nicht bei denen, die Regeln gebrochen hatten). Auch das Buch macht klar: Er ist und bleibt eine Nervensäge. Aber deutlich wird auch, woher seine Verbissenheit rührt. Und dass nur solche Verbissenheit und Beharrlichkeit wirklich Dinge verändert.

"Druck machen!" ist ein Buch, das Mut macht. Es zeigt, wie viel Menschen bewegen können, wenn sie die richtigen Verbündeten finden und nicht locker lassen. Aber es beschreibt auch, wie viel Druck jemand aushalten muss, der selbst welchen macht.

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