"Ich brauche eine Infusion", stöhnt Jürgen Resch. Er bittet um Verständnis und erklärt den Grund seiner Unpässlichkeit. Gestern Abend sei er Gast in einer Talkshow gewesen und habe heute die Frühmaschine nach Stuttgart genommen. "Dazwischen habe ich nur drei Stunden geschlafen." Da kommt die Sekretärin in den Raum. "Hier, Ihre Infusion", sagt sie und stellt eine große weiße Tasse auf den Tisch. Die Infusion besteht aus: Cappuccino.
Das ist Jürgen Resch: Bis zur Belastungsgrenze malocht der Geschäftsführer für seine Deutsche Umwelthilfe (DUH). Der 56-Jährige gefällt sich in der Rolle als rastloser und gnadenloser Jäger aller Umweltverschmutzer und Verbrauchertäuscher. Er gilt als der aggressivste aller deutschen Umwelt-Aktivisten. Einerseits hat er schon viel erreicht, er ist der Vater von Dosenpfand, Umweltzone und Rußpartikelfilter und auch an der Aufdeckung der VW-Dieselaffäre war er beteiligt. Andererseits sind seine Methoden nicht nur in der Industrie umstritten, sondern auch unter Naturfreunden. Resch wirft den Chefs von Daimler, Volkswagen und BMW vor, sie seien "persönlich mitverantwortlich" für Zehntausende "vorzeitige Todesfälle durch Dieselabgase" pro Jahr. Resch spricht von "vorsätzlichem Betrug" und "krimineller Energie". "Das hat Züge von organisierter Kriminalität analog zum Lkw-Kartell", sagt er.
Etwa 1500 Rechtsverfahren pro Jahr strengt die Deutsche Umwelthilfe an. Davon landen etwa 400 Fälle vor Gericht. Wie zum Beispiel die Klage gegen Daimler wegen des Vorwurfs irreführender Werbung. Der Stuttgarter Autohersteller hatte Anfang 2016 für seinen neuen Mercedes C 220 BlueTEC CDi mit dem Slogan "die saubere Dieseltechnologie" geworben. Online schrieb Daimler, die Technologie "reduziert die Emissionswerte unserer hochmodernen Dieselmotoren auf ein Minimum." Dieser Satz hat Jürgen Resch zufolge "mit der Realität nichts zu tun". Vielmehr funktioniere die Abgas-Nachbehandlung des Mercedes-Modells auf der Straße "kaum oder gar nicht", und dies werde verschwiegen.
Deshalb hat Resch beim Landgericht Stuttgart Klage eingereicht - mit dem Ziel, dem Unternehmen diese Werbe-Aussage verbieten zu lassen. Für Dienstag war der erste Verhandlungstermin anberaumt, Jürgen Resch hatte sich sehr optimistisch gezeigt: "Wir verlieren nur drei bis vier Prozent unserer Fälle", sagte er. "Gegen Daimler haben wir heuer alles gewonnen."
Daimler seinerseits weist den Vorwurf der Verbrauchertäuschung zurück und bezeichnet die Klage als unbegründet. Und einen Tag vor dem Showdown ließ der Konzern den mit Spannung erwarteten Gerichtstermin platzen. Grund: Daimler lehnte die Besetzung des Gerichts mit nur einer Einzelrichterin ab. Daimler forderte einen Berufsrichter und zwei Handelsrichter, teilt eine Sprecherin des Konzerns mit, "daher muss nun ein neuer Termin anberaumt werden".
Damit ist die Frage, ob Daimler weiterhin behaupten darf, der neue Dieselmotor reduziere die Emissionen auf ein Minimum, auf kommendes Jahr vertagt. Resch bezeichnet das Vorgehen von Daimler als "schäbigen Trick", mit dem das Unternehmen "weitere Monate der Verbrauchertäuschung herausschindet". Als Ersatz für den Gerichtstermin lädt Jürgen Resch nun zu einer Pressekonferenz, in der er auch über neue Messergebnisse der DUH-eigenen Analyse-Labore und über seine Klagen zur Luftreinhaltung in deutschen Städten informieren will.
Offensive Öffentlichkeitsarbeit gehört zu Reschs Geschäftsmodell, er spricht ganz offen von der "Skandalisierung" gewisser Vorgänge. In der DUH-Zentrale in Radolfzell am Bodensee lässt Resch fünf Mitarbeiter im Dachgeschoss an Computern nach Unternehmen forschen, die gegen die Regeln des Umwelt- und Verbraucherschutzes verstoßen. Sie prüfen auch den Quecksilbergehalt von Lampen. Die Stimmung ist gemütlich, die Rechercheure sitzen im Strickpulli bei einer Tasse Tee. Aber in ihrer Sache verstehen sie keinen Spaß. "Wir wollen nicht, dass Unternehmen ihre Kunden anlügen und betrügen", sagt Resch. "Und weil der Staat nicht kontrolliert, müssen wir das tun." Zwei Mann fahren regelmäßig in die deutschen Städte, um sich in den Läden als Detektive des Verbraucherschutzes umzuschauen. Dieses Vorgehen hat der DUH den Vorwurf des "Abmahnvereins" eingebracht, dem es nur darum gehe, die Firmen abzukassieren. Resch beteuert dagegen, die aufwendige Suche sei nicht einmal kostendeckend.
Überhaupt sind die Finanzierungsmethoden der DUH umstritten, seitdem sie mit großzügiger Unterstützung der deutschen Bierbrauer das Dosenpfand erstritten hat. Auch der japanische Autohersteller Toyota unterstützt die Umwelthilfe seit Jahren mit jährlich fünfstelligen Beträgen. Viele Kritiker sehen hier einen Interessenskonflikt und bemängeln, die DUH kritisiere Toyota nie so stark wie andere Hersteller. Jürgen Resch widerspricht und beteuert, er habe bereits 53 Gerichtsverfahren gegen Toyota geführt.
Die DUH ist ein Verein und hat 100 Mitarbeiter - die eine Hälfte in Radolfzell, die andere in Berlin. Die größten Einnahmen kommen nach Reschs Angaben aus Spenden und Zuschüssen. Auch Daimler gehört zu den Geldgebern der DUH und ihrer Tochter Global Nature Fund, da ist ein siebenstelliger Betrag zustande gekommen. Resch: "Wir hatten nie ein Problem mit Unternehmen zusammenzuarbeiten und uns mit ihnen zu kloppen, um sie zur Einhaltung von Recht und Gesetz zu zwingen."