Digitale Bedrohung:Warum der Kampf gegen Hass im Netz scheitern könnte

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Im Netz soll nicht alles erlaubt sein - aber wie kann man den Kampf gegen Hetze juristisch umsetzen? (Foto: Imago)

Justizminister Buschmanns geplantes "Gesetz gegen digitale Gewalt" ist ins Schlingern geraten. Grund sind zwei Gerichtsurteile. Wie nun nach einer Lösung gesucht wird.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wer auf dem Smartphone mit Gewalt bedroht oder mit unbestellten Penisbildern behelligt wird, soll sich juristisch zur Wehr setzen können. Eigentlich. Auch wer ein Restaurant führt und ohne Grund mit vernichtenden digitalen Bewertungen in den Ruin getrieben wird, soll schneller als bisher Auskunft über den Urheber erhalten können. Vor einem Jahr hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in Berlin erste Eckpunkte für ein "Gesetz gegen digitale Gewalt" vorgelegt. Doch sein Vorhaben ist in die Sackgasse geraten.

Das liegt an zwei Gerichtsurteilen, über die im Bundesjustizministerium seit Monaten beraten wird, ohne Ergebnis. "Die entsprechende Prüfung der Rechtsprechung dauert noch an", teilte eine Sprecherin am Dienstag mit. Einen konkreten Zeitpunkt für die Vorlage eines Referentenentwurfs zur Bekämpfung digitaler Gewalt könne sie "noch nicht mitteilen".

Digitale Gewalt betrifft vor allem Frauen und Mädchen

Buschmanns Vorhaben, Pöbler im Netz besser identifizieren und strafrechtlich verfolgen zu lassen, ist ins Schlingern geraten, wenn nicht sogar vom Scheitern bedroht. Das sieht man auch im Deutschen Juristinnenbund (DJB) so, der das "Gesetz gegen digitale Gewalt" trotz etlicher Einwände immer unterstützt hat. Denn solche Übergriffe richten sich bevorzugt gegen Frauen und Mädchen. Ein Scheitern des Vorhabens sei "keine Option", sagte DJB-Vizepräsidentin Verena Haisch der Süddeutschen Zeitung. "Anstatt jetzt nach über einem Jahr einfach aufzugeben, müssen wir unbedingt dafür sorgen, dass von digitaler Gewalt Betroffene, vor allem Frauen und Mädchen, endlich effektiv bei der Rechtsdurchsetzung unterstützt, vor weiteren Rechtsverletzungen geschützt und die Täterinnen und Täter sowie Plattformbetreiber haftbar gemacht werden."

Weil Bedrohungen im Netz sich häufen, weil Anzeigen oft ins Leere laufen und Verfahren sich über Jahre hinziehen, will der Bundesjustizminister private Auskunftsrechte stärken. Betroffene von Drohungen und digitalem Hass sollen die Betreiber von Internetplattformen und Messengerdiensten künftig veranlassen können, "Auskunft über die Identität von Verfassern von rechtsverletzenden Äußerungen" zu geben. So steht es in den Eckpunkten zum "Gesetz gegen digitale Gewalt", die Buschmann im April 2023 präsentierte. Die Offenlegung von Nutzerdaten wie IP-Adressen soll "nur gegenüber dem Gericht" erfolgen, heißt es weiter. Das Gericht könne dann den Firmen verbieten, Daten zu löschen, bis der Vorwurf geklärt sei.

Eine Hürde hat der Europäische Gerichtshof aufgebaut

Doch der Bundesjustizminister hatte seine Rechnung ohne den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemacht. Dort haben die Onlineanbieter Google, Meta und Tiktok gegen österreichische Behörden und ein Gesetz geklagt, das sie verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu melden. Unzulässig, entschied der EuGH im November 2023. Denn die drei Konzerne haben ihren Europa-Sitz in Irland, nicht in Österreich. Unter "eng gefassten Bedingungen" sei es zwar möglich, dass ein EU-Staat Maßnahmen ergreife, um in einem anderen EU-Staat die öffentliche Ordnung zu schützen, entschied das Gericht. Allerdings dürfe ein EU-Mitgliedsland keine "generell-abstrakten Maßnahmen ergreifen", die unterschiedslos für alle Arten von Kommunikationsdienstleistern in anderen Staaten gelten.

Für Buschmanns "Gesetz gegen digitale Gewalt" heißt das: Der geplante private Anspruch auf Herausgabe von Nutzerdaten in Deutschland hat im Europarecht keinen Bestand. Denn die Bundesregierung darf im EU-Ausland angesiedelten Konzernen keine strengeren Regeln auferlegen als die, die dort gelten. Und die allermeisten zukünftigen Auskunftsverfahren dürften sich gegen große, internationale Telekommunikationsanbieter richten.

Schlechte Nachrichten für die Bekämpfung von Drohungen und Hassrede im Internet: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Und noch an weiteren Punkten wurde Buschmanns Vorhaben zurückgeworfen. Sein Konzept sieht auch vor, die "rechtswidrige Verletzung absoluter Rechte" im Netz zügiger zu verfolgen. Gemeint ist beispielsweise die Schädigung von Restaurants durch "wahrheitswidrige Nutzerkommentare". Schon 2023 sorgte das für Wirbel. Ausgerechnet ein Liberaler wolle die Meinungsfreiheit beschränken und kritische Kommentare im Netz unterdrücken, schimpften Kritiker. Buschmann ist damals etwas zurückgerudert. Gemeint seien keine gewöhnlichen Restaurantkritiken, sondern wiederholte und für Firmen ruinöse Lügenkommentare.

Die andere Hürde kommt vom Bundesgerichtshof

Auch hier allerdings gibt es inzwischen neue Hürden. Der Bundesgerichtshof hat im September 2023 die Klage einer Onlineverkäuferin abgewiesen. Sie hatte bei Amazon Matratzen angeboten, über deren Zustand sich Kunden beschwerten. Amazon nahm daraufhin mehrere Angebote der Verkäuferin vom Server und weigerte sich, ihr die Identität der unzufriedenen Kunden zu offenbaren. Die Verkäuferin wiederum hielt die schlechten Bewertungen für unberechtigt. Sie klagte bis zum Bundesgerichtshof - und unterlag. Deutsche Gerichte hätten keine Zuständigkeit für das in Luxemburg angesiedelte Unternehmen Amazon, entschied das Gericht.

Auch das sind schlechte Nachrichten für Buschmann. Denn wie sollen deutsche Gerichte über unberechtigte digitale Bewertungen von Dienstleistungen oder Restaurants urteilen, wenn ihnen im globalisierten Onlinebetrieb die internationale Zuständigkeit fehlt? Antworten darauf gibt es im Bundesjustizministerium noch keine. Man suche noch nach Lösungen, bei denen zumindest einzelne Elemente des Buschmann-Konzepts umgesetzt werden könnten. Viele Elemente sind das nicht.

Denn wenn weder private Auskunftsansprüche noch das neue Auskunftsverfahren rechtssicher umzusetzen sind, bleibt vom "Gesetz gegen digitale Gewalt" im Kern nur ein Vorhaben: der Anspruch von Betroffenen, bei schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen eine Sperrung des Accounts durchsetzen zu können. Gelten soll das für "notorische Rechtsverletzer im digitalen Raum", also für hartnäckige Wiederholungstäter und begrenzte Zeit.

Die Bundestagsabgeordnete Renate Künast, die selbst über Jahre Ziel digitaler Hassattacken war, fordert mehr Nachdruck bei Buschmanns Gesetzesvorhaben, trotz allem. Die beiden Gerichtsurteile müssten ausgewertet werden, sagte die Grünen-Politikerin der Süddeutschen Zeitung. Dennoch erwarte sie, dass "in den nächsten Wochen" ein Gesetzentwurf vorgelegt werde. "Das digitale Gewaltschutzgesetz ist ein wichtiger Bestandteil des Kampfes gegen insbesondere rechtsextreme Gewalt", so Künast. Betroffen seien nicht nur politisch aktive Menschen, sondern auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen. "Da brauchen wir jedes Werkzeug."

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