Bundesverfassungsgericht:Moderne Zeiten

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Das Bundesverfassungsgericht nimmt Abschied von den Aktenmappen. Klagen dürfen bald auch auf digitalem Weg eingereicht werden. (Foto: imago stock&people)

Das Bundesverfassungsgericht nimmt Beschwerden künftig auf digitalen Kanälen entgegen. Für Klageprofis ein Grund zur Freude - das Ende des papiernen Zeitalters ist damit aber noch nicht erreicht.

Von Wolfgang Janisch

Beim Sächsischen Finanzgericht in Leipzig werden seit dem 2. Mai alle neu eingehenden Verfahren papierlos bearbeitet. Das ist gewiss nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, andererseits häufen sich in jüngster Zeit die digitalen Erfolgsmeldungen aus der Justiz. In Sachsen meldeten die Zivilgerichte bereits im April Vollzug in Sachen E-Akte, gleiches gilt für NRW, dort war das Amtsgericht Bottropp der Nachzügler. Die Gerichte haben den 1. Januar 2026 fest im Blick, den Termin für die flächendeckende Digitalisierung. Ganz Deutschland arbeitet an der Einführung einer elektronischen Justiz.

Ganz Deutschland? Am Schlossplatz in Karlsruhe residiert ein Gericht mit 16 Richterinnen und Richtern, das dem Wind des Wandels bisher widerstehen konnte. In der Poststelle, einem schmucklosen Büro mit einem sorgsam arrangierten Ensemble aus Ansichtskarten über dem Schreibtisch, stapeln sich Pakete mit papiernen Verfassungsbeschwerden, bevor sie zur Sortierung ins Nachbargebäude gekarrt werden. Gelb-orange Aktenmappen und hellblaue Aktenbündel, soweit das Auge reicht. Elektronische Post? Beim Bundesverfassungsgericht regieren Brief und Fax.

Nun aber lässt eine Meldung aus Berlin aufhorchen. Die Bundesregierung hat dieser Tage beschlossen, im nächsten Jahr den elektronischen Rechtsverkehr auch beim Bundesverfassungsgericht einzuführen. "Die digitale Verfassungsbeschwerde kommt", freute sich Justizminister Marco Buschmann (FDP). Die einfache Mail reicht dafür natürlich nicht, klagen darf man auch in Karlsruhe nur auf gesicherten Kanälen, zum Beispiel via De-Mail oder übers elektronische Anwaltspostfach. Für Rechtsanwälte wird der elektronische Weg dann sogar verpflichtend.

Der Schritt ins elektronische Zeitalter ist von Klageprofis wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte begrüßt worden, schon deshalb, weil die Klagefrist kurz und die Zeit daher knapp ist. Freilich entfällt damit eine Möglichkeit, den "Gang nach Karlsruhe" medienwirksam zu inszenieren, wie es schon vor 25 Jahren jene vier Professoren versuchten, die den Euro stoppen wollten. An einem Januartag schritten sie, wie Wyatt Earp und seine Mannen, in Querformation aufs Gericht zu, um ihre 352-seitige Klageschrift abzugeben. Hat nichts geholfen, der Euro ist geblieben.

Trotzdem hielten sich die Versuche, solche Klagen medial zu vergrößern. Im Februar 2008 schleppten ein paar Bürgerrechtler vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zwölf Umzugskartons ins Gerichtsfoyer - mit 34 443 Klagevollmachten für die bis dahin größte Verfassungsbeschwerde. Getoppt wurde dies acht Jahre später beim Freihandelsabkommen Ceta mit 125 000 Klägern; da rückten die Verbände mit einem Transporter an.

Solche Großklagen werden künftig also mit einem elektronischen Pling in Karlsruhe eintreffen. Ansonsten will Karlsruhe aber seine behutsame Gangart beim digitalen Fortschritt beibehalten. Die Post mag digital eintreffen, aber elektronische Akten wird es vorerst nicht geben. Im Gesetzentwurf heißt es vorsorglich: "Werden die Akten in Papierform geführt, ist von einem elektronischen Dokument ein Ausdruck für die Akte zu fertigen."

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