Rüstung:Deutschland verfehlt Nato-Ziel

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Noch nicht startbereit: Die "F-35"-Kampfflugzeuge könnten nicht so schnell bestellt werden, sagt Regierungssprecher Hebestreit. Dieser Flieger gehört der italienischen Luftwaffe. (Foto: Giuseppe Lami/Imago)

Im laufenden Jahr wird es der Bundesregierung wohl nicht gelingen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben - womöglich dauert es bis zum Ende der Legislaturperiode. Das widerspricht der Ankündigung von Kanzler Scholz.

Von Oliver Klasen, Nicolas Richter und Mike Szymanski

Trotz der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende wird es noch dauern, bis Deutschland die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht. Dazu haben sich im Prinzip alle Nato-Staaten verpflichtet. Im laufenden Jahr, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin, werde man bei ungefähr 1,7 Prozent liegen. Ob das Ziel im kommenden Jahr erreicht werde, sei offen. Zwar bekräftigte Hebestreit, die Bundesregierung beabsichtige, "dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen". Auf die Frage aber, wann dies genau der Fall sei, sagte Hebestreit: "Noch in dieser Legislaturperiode." Im äußersten Fall also erst im Jahr 2025.

In seiner Regierungserklärung am 27. Februar klang Kanzler Scholz noch entschlossener. Unter dem Eindruck des am 24. Februar begonnenen Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine sagte Scholz: "Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in unsere Verteidigung investieren." Hebestreit sagte am Montag, die Regierung bemühe "sich nach Kräften". Die Verzögerung habe unter anderem damit zu tun, dass neue Rüstungsgüter wie etwa die Kampfflugzeuge vom Typ F-35 nicht so schnell bestellt und ausgeliefert werden könnten, dass sofort große Summen umgesetzt werden könnten.

Auch die Inflation kann ein Grund sein, weswegen Deutschland das Ziel verfehlt

Deutschland könnte aber auch mittel- bis längerfristig das Zwei-Prozent-Ziel der Nato-Staaten verfehlen. Darauf weist das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in einem Bericht hin. Grund dafür sei die starke Inflation. Die hohen derzeitigen Preissteigerungen machten die bisherigen Kalkulationen "teilweise obsolet", heißt es in dem Papier. Mit den bisherigen Haushaltsansätzen könne die Nato-Quote "nicht eingehalten werden".

Das Budget für das Bundesministerium der Verteidigung wurde laut mittelfristiger Finanzplanung bei 50 Milliarden Euro im Jahr eingefroren; dazu kommen, über mehrere Jahre verteilt, 100 Milliarden aus dem Zeitenwende-Sondervermögen, das Kanzler Scholz Ende Februar nach Beginn des Krieges in der Ukraine angekündigt hat. Das IW weist nun darauf hin, dass es sich hier um Festbeträge handle, während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aufgrund der Inflation nominal wachse. Dadurch schrumpft das Verteidigungsbudget im Verhältnis zum BIP.

In den Jahren 2024 und 2025 werde das Nato-Ziel wohl erreicht, dagegen entstehe schon 2026 eine Lücke von 9,7 Milliarden Euro, im Jahr 2027 steige der Fehlbetrag bei wegfallendem (weil verbrauchtem) Sondervermögen auf 39 Milliarden Euro an. Allgemein steige mit der Inflation auch der Preis von Rüstungsgütern um etwa fünf Prozent pro Jahr, auch die Kosten für Personal und Treibstoffe stiegen zum Teil massiv. Die Kostenentwicklung für neue Ausrüstung führe dazu, "dass mit den bestehenden Mitteln die vorhandenen Bedarfe weniger umfassend gedeckt werden können".

Merz wirft der Regierung vor, ihre Versprechen gebrochen zu haben

Regierungssprecher Hebestreit hielt dem am Montag entgegen, dass sich das IW auf die mittelfristige Finanzplanung beziehe. Diese sei allerdings konservativ, und in der Regel sei das tatsächliche Verteidigungsbudget letztlich größer als in der Planung vorgesehen.

Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) hatte der Regierung Scholz jüngst vorgeworfen, im Zusammenhang mit dem angekündigten Sondervermögen für die Bundeswehr ihre Versprechen gebrochen zu haben. So steige der Verteidigungshaushalt nicht wie verabredet, sondern sinke um fast 300 Millionen Euro, sagte der CDU-Vorsitzende Ende November im Bundestag. "Das ist ein grober Wortbruch gegenüber dem Parlament und vor allem gegenüber der Bundeswehr", kritisierte er. Der Umgang mit den Zusagen und der Umgang mit den Partnern in EU und Nato löse zu Recht Befremden und Misstrauen aus, sagte Merz.

Auch wenn es Kritik an der Umsetzung von Scholz' Versprechen gibt, die deutsche Rüstungsbranche macht gute Geschäfte. In den Daten, die das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri am Montag veröffentlichte, sind die zu erwartenden Umsatzsteigerungen infolge des Krieges in der Ukraine nicht einmal eingerechnet; die Erhebung bezieht sich auf das Jahr 2021. Deutsche Konzerne haben im vergangenen Jahr 9,3 Milliarden US-Dollar Umsatz mit dem Verkauf von schweren Waffen und militärischen Dienstleistungen gemacht. Vier deutsche Unternehmen - Rheinmetall, Thyssenkrupp, Hensoldt und Diehl - stehen auf der Liste der 100 größten Rüstungsunternehmen der Welt. Alle vier verzeichnen für 2021 wachsende Umsätze, allerdings bremste die Corona-Krise das Wachstum, denn die weltweite Störung der Lieferketten betraf auch den Militärsektor.

Der Marktanteil deutscher Unternehmen am weltweiten Rüstungsgeschäft betrug im Jahr 2021 laut den Sipri-Experten 1,6 Prozent. Die Position der US-Militärkonzerne ist unangefochten. Auf sie entfiel im vergangenen Jahr etwa die Hälfte aller Umsätze im globalen Waffen- und Militärgeschäft, knapp 300 von 600 Milliarden US-Dollar.

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