Bundesregierung:Auf die nächste Krise wird man nicht lange warten müssen

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Es gab schon mal mehr Einigkeit in der Regierung: Innenminister Horst Seehofer (CSU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (v.l.). (Foto: AP)

Der unselige Kompromiss im Streit um Hans-Georg Maaßen zeigt: Die Kanzlerin ist nicht mehr stark genug, um die Regierung ordentlich führen zu können. Ohne die Angst vor der AfD wäre diese Koalition längst zerbrochen.

Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Angela Merkel ist noch nicht so schwach, dass das Ende ihrer Kanzlerschaft unmittelbar bevorstünde - aber sie ist auch nicht mehr stark genug, um die Koalition ordentlich führen zu können. Das ist die Bilanz des Streits um Hans-Georg Maaßen.

Elf Tage hat die Kanzlerin gebraucht, bis sie in der Auseinandersetzung um den Verfassungsschutzchef einen Kompromiss erzielen konnte. Und der ist so windig, dass er den Streit nicht beenden wird. Nicht nur die SPD, auch Merkel hätte gerne auf die weiteren Dienste von Maaßen verzichtet - sie konnte sich aber nicht gegen die CSU durchsetzen.

Statt in den Ruhestand versetzt zu werden, wird Maaßen befördert. Er darf das Bundesamt für Verfassungsschutz sogar noch so lange weiter leiten, bis ein Nachfolger gefunden ist. Denn auf einen neuen Präsidenten hat sich Merkel mit den Vorsitzenden von SPD und CSU noch nicht verständigen können.

SPD und CSU verhalten sich in beängstigender Weise unprofessionell

Der Einzige, der wegen der Maaßen-Affäre erst mal ohne Job dasteht, ist der letzte SPD-Staatssekretär im Innenministerium. Der Mann ist übrigens ein über alle Parteigrenzen hinweg geschätzter Experte für den Wohnungsbau, er steht also für das Thema, das die SPD zur sozialen Frage unserer Zeit erklärt hat. An diesem Freitag will die Bundesregierung mit einem Wohnungsgipfel reüssieren - aber ihren wichtigsten Experten wirft sie raus. Wer soll das alles noch verstehen?

Die Koalition ist durch den Kompromiss zwar gerettet, aber nur bis zur nächsten Krise. Und auf die wird man nicht lange warten müssen. In der SPD wächst der Unmut über Andrea Nahles stündlich - und ob Horst Seehofer nach der bayerischen Landtagswahl CSU-Vorsitzender bleibt, ist ungewiss. Angeschlagene Parteichefs sind aber meistens besonders schwierige Koalitionspartner.

SPD und CSU verhalten sich außerdem in beängstigender Weise unprofessionell. Erst haben die Christsozialen ihre Anhänger im Streit um Zurückweisungen an der Grenze auf die Bäume getrieben, ohne das Ende zu bedenken. Jetzt hat die SPD in der Causa Maaßen das Gleiche getan.

Das Ergebnis ist in beiden Parteien dasselbe: Entsetzen und Orientierungslosigkeit in den eigenen Reihen. Wer gesehen hat, wie der SPD-Generalsekretär versucht hat, den Maaßen-Kompromiss als Erfolg zu verkaufen, kann den Unmut vieler Bürger über diese Form von Politik gut verstehen. Es wäre besser gewesen, wenn Lars Klingbeil eingestanden hätte, dass seine SPD trotz aller großspurigen Ankündigungen nichts Zumutbares erreicht hat.

Die Zweifel an der großen Koalition zermürben aber nicht nur SPD und CSU. Auch die CDU ist nur noch schwer zu führen. Eigentlich sind die Christdemokraten dafür bekannt, zu beinahe jedem Kompromiss bereit zu sein, wenn er dem Machterhalt dient - Pragmatismus gilt in der CDU mehr als Prinzipienstärke. Aber die Kanzlerin muss zu ihrem Leidwesen feststellen, dass auch in ihrer Partei die Notwendigkeit von Kompromissen zunehmend infrage gestellt wird. In der Unionsfraktion gibt es immer mehr Abgeordnete, die ein Ende mit Schrecken dem gegenwärtigen Schrecken ohne Ende vorziehen.

Das erklärt übrigens auch, warum Merkel so vehement dafür wirbt, dass ihr Vertrauter Volker Kauder Chef der Unionsfraktion bleibt, obwohl es unter den Abgeordneten erhebliche Vorbehalte gegen ihn gibt. Wenn die Fraktion ihrer Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, endlich wieder gebührend nachkäme, würde Merkel auch noch den letzten Rest ihrer Beinfreiheit verlieren.

Denn der Spielraum, den ihr CSU und SPD lassen, ist bereits ziemlich klein. Wenn unter einem neuen Fraktionschef auch noch die CDU-Abgeordneten anfingen, der Kanzlerin Vorgaben zu machen, hätte sie gar keinen Spielraum mehr. Nächste Woche muss sich Kauder der Wiederwahl stellen, zum ersten Mal in seiner langen Amtszeit hat er einen Gegenkandidaten. Die Abstimmung wird auch zu einem Votum über Merkel werden.

Die Fliehkräfte in der Koalition sind inzwischen dermaßen groß, dass sie selbst eine starke Kanzlerin kaum noch beherrschen könnte. Aber Merkel ist schwach. Wenn nicht allen drei Koalitionspartnern der Angstschweiß wegen der AfD auf der Stirn stünde, wäre das Bündnis längst geplatzt. Der schlechte Zustand der Regierung wäre nicht ganz so schlimm, wenn er nur den Koalitionsparteien schaden würde.

Es geht inzwischen aber um Grundsätzlicheres. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat beklagt, dass im Land das Gefühl schwinde, "dass Demokratie das Richtige ist". Die Leute würden sagen: "Ihr kriegt nichts hin, das dauert alles zu lange." Und sie hätten damit leider recht.

Die Bundesregierung hat einige wichtige Projekte auf den Weg gebracht, am Mittwoch beschloss sie das "Gute-Kita-Gesetz". Doch wegen der ewigen Streitereien und dubioser Kompromisse wie dem zu Maaßen wird sie als "Ihr-kriegt-nichts-hin-Regierung" wahrgenommen. Das ist nicht nur ein Konjunkturprogramm für die AfD, sondern auch ein Desaster für die Akzeptanz der Demokratie.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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