Bundesrechnungshof:An der Grenze des Mandats

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Eingang des Bundesrechnungshofs in Bonn. Der "Hof", so der interne Name, ist für strenges Prüfen zuständig, steht jetzt aber selbst in der Kritik. (Foto: Dominik Bund/Imago)

Ob Energiewende oder Bahnkrise: Wenn die Regierung Mittel verschwendet, dann hat der Bundesrechnungshof die Aufgabe, dies offenzulegen. Doch nun steht er selbst in der Kritik. Über eine Behörde, die einigen zu politisch wird.

Von Jonas Junack

Es ist windig auf dem Vorplatz des Weißen Hauses, als Robert Habeck an einem Freitag Anfang März in Washington vor die Mikrofone tritt. Die Böen zerren an seinem grau melierten Haar, an seinem Jackett. Die Laune des Ministers ist bescheiden. Nicht wegen der Gespräche oder des Wetters in Washington, sondern weil plötzlich auch aus Deutschland Gegenwind kommt. Der Bundesrechnungshof (BRH) hat kurz zuvor einen 58-seitigen "Sonderbericht zur Umsetzung der Energiewende" veröffentlicht, gefüllt mit scharfer Kritik an der Energiepolitik des Wirtschaftsministeriums.

Der Vorgang ist nicht ungewöhnlich. Als externer Finanzkontrolleur achtet der Bundesrechnungshof darauf, dass die Ministerien rechtlich einwandfrei mit ihrem Geld umgehen. Laut Artikel 114 des Grundgesetzes ist es seine zentrale Aufgabe, die "Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes" zu prüfen und, wenn nötig, schonungslos zu kritisieren. Dass er dabei mit Ministern und Haushaltspolitikern aneinandergerät, hat Tradition. Doch nun regt sich, einige Tage nach Erscheinen des Berichts, auch Kritik von Rechtsexperten an der Art, wie die Behörde ihr Mandat interpretiert.

Der "Hof", wie der BRH intern genannt wird, beschäftigt an seinem Sitz in Bonn und seinen Außenstellen in Potsdam und Berlin ungefähr 1050 Mitarbeiter, die in neun Fachabteilungen angesiedelt sind, etwa Abteilung 3.1 "Wirtschaft und Klimaschutz". Den Präsidenten des BRH wählen Bundestag und Bundesrat auf Vorschlag der Bundesregierung. Er wirkt über eine Amtszeit von zwölf Jahren. Seit zehn Jahren leitet Kay Scheller die Behörde, der vorher als Fraktionsdirektor der CDU/CSU im Bundestag tätig war.

Auf politische Wertungen soll verzichtet werden

Im Laufe der Zeit hat sich die Tätigkeit des BRH verschoben: Lange hat er im Nachgang geprüft, heute tut er dies meist prozessbegleitend. Welche Themen er prüft, entscheidet der Bundesrechnungshof selbst. Seine Mitarbeiter haben weite Akteneinsichtsbefugnisse und sind durch die richterliche Unabhängigkeit geschützt. Der Handlungsspielraum des BRH ist jedoch begrenzt. Er kann keine einzige Zahlung selbst stoppen, nicht einmal Klagen darf er. Und so ist er darauf angewiesen, dass seine Berichte durch Inhalt und Tonalität verfangen.

Wie bei der Europäischen Zentralbank gehe mit der Unabhängigkeit des Bundesrechnungshofs eine große Verantwortung einher, sagt der Verfassungsrechtler und Professor für Staatstheorie an der privaten Hochschule BSP in Berlin, Alexander Thiele. Der BRH müsse seine Prüfgegenstände mit Bedacht auswählen, das Mandat möglichst eng auslegen. Das heißt: auf politische Wertungen verzichten. Thiele meint, einzelne Bauvorhaben oder Straßenbauprojekte seien leicht auf Wirtschaftlichkeit und haushälterische Ordnungsmäßigkeit zu prüfen, die Energiewende allerdings zu "diffus".

Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes seit 2014. Zuvor hat er für die CDU-Fraktion im Bundestag gearbeitet. (Foto: Xander Heinl/imago/photothek)

Thiele befindet, der Bericht zur Energiewende löse sich bereits im Einstieg vom "Technisch-Prüfenden" und stelle das "Politisch-Wertende" in den Fokus. Dort heißt es etwa: "Die Versorgungssicherheit ist gefährdet, der Strom ist teuer und Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregierung nicht umfassend bewerten". Dies berge "erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland sowie die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung." Doch insbesondere die Frage nach der Versorgungssicherheit habe "erhebliche politische Implikationen", sagt Thiele. Dem widerspricht der BRH. Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung schreibt der Behördensprecher, es handele sich nicht um eine "politische Wertung oder Äußerung".

Kritik an der Mandatsauslegung gab es schon länger: Im Verfassungsblog, einer Plattform, auf der sich Juristen mit verfassungsrechtlichen Fragen befassen, haben Georg Freiß und Timo Laven etwa im vergangenen Jahr den damaligen Bericht des BRH zur "Dauerkrise der Deutschen Bahn AG" untersucht, in dem die Behörde den Bund auffordert, Unternehmensteile der Bahn zu verkaufen. Sie kommen zu dem Schluss, der Bericht sei "eine politische Einschätzung, die die Grenzen neutraler Prüfung überschreitet". Auch hier widerspricht der Bundesrechnungshof. Anders Alexander Thiele, der Staatsrechtler teilt die Einschätzung des Verfassungsblogs. Er sagt, die Behörde werde aufgrund ihrer rechtlichen Stellung als neutral wahrgenommen, sei aber ein "partiell politischer Akteur".

Die Behörde beansprucht einen "objektiven Blick auf den Bundeshaushalt"

Auch Hanno Kube beobachtet die Arbeit des Bundesrechnungshofs. Er habe ebenfalls aufgemerkt, als der aktuelle Sonderbericht zur Energiewende veröffentlicht wurde, sagt er der SZ. Kube ist Direktor am Institut für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg. In den Prüfungsberichten müsse es im Wesentlichen darum gehen, wie "möglichst wirtschaftlich gehandelt werden kann", betont er. Forderungen, der BRH solle auch konstruktive Vorschläge machen, wie sie ein Energieexperte kürzlich in der Wirtschaftswoche erhoben hatte, sieht Kube kritisch. Sachpolitische Vorschläge vom BRH wären problematisch, schließlich sei es genau das, was die Behörde nicht machen dürfe: Sachpolitik. Ob der aktuelle Bericht dies tut, darüber herrscht Unsicherheit: Kube spricht von einem "Grenzfall". Thiele von einem "Graubereich".

Wie schmal der Grat zwischen sachlicher Prüfung und politischer Bewertung ist, lässt sich in der Dissertationsschrift des Juristen Philipp Bergel nachlesen. Unter dem Titel "Rechnungshöfe als vierte Staatsgewalt" hat er die verfassungsrechtliche Rolle der Finanzkontrollbehörden untersucht. Insbesondere bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei eine "klare Trennung zwischen politischen und wirtschaftlichen Erwägungen oft kaum möglich", heißt es dort.

Der Sprecher des BRH beansprucht für den "Hof" trotz allem einen "objektiven Blick auf den Bundeshaushalt", wie er auf Anfrage mitteilt. Als die Behörde 2018 versuchte, Mitarbeiter zu gewinnen, hieß es in einer Stellenanzeige zum Tätigkeitsfeld: "Haben die Behörden und Stellen des Bundes nach den rechtlichen Vorgaben gehandelt?" Die aktuelle Debatte zeigt, dass diese Frage oft nur schwer zu beantworten ist. Das gilt auch für die Arbeit des Bundesrechnungshofs selbst.

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Kommentar von Thomas Hummel

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