Bundeshaushalt:Zwischen Notlage und Normalität

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Im Schatten des Haushaltsstreits: Blick aufs Regierungsviertel in Berlin. (Foto: Michael Kappeler/DPA)

Ist der Nachtragshaushalt von Finanzminister Lindner verfassungsgemäß? Eine Mehrheit von Sachverständigen findet: Ja, gerade so eben.

Von Georg Ismar und Henrike Roßbach, Berlin

Während in Berlin noch darüber gerätselt wird, wann und wie die Regierung ihr Haushaltsproblem für das kommende Jahr lösen will, versuchen die Haushälter des Bundestags, zumindest mit den Reparaturarbeiten für dieses Jahr voranzukommen. Genauer: mit dem Nachtragshaushalt 2023, über den Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Verfassungswidrigkeit seines bisherigen Zahlenwerks heilen will. Am Dienstag hielt der Haushaltsausschuss des Bundestags dazu eine Expertenanhörung ab. Zusammengefasst urteilte die Mehrheit der Sachverständigen: Der Nachtragshaushalt wird keinen Schönheitspreis gewinnen, geht aber gerade noch so in Ordnung.

Alexander Thiele etwa, Rechtsprofessor an der Business & Law School Berlin, hält es für zulässig, dass jetzt rückwirkend für 2023 eine Notlage erklärt werden soll. Notwendig geworden ist dieser Schritt, weil nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts plötzlich Kredite mitzählen für die Schuldenbremse, die der Bund eigentlich an ihr vorbei verbuchen wollte. Die Mittel, die der Bund für die Krisenbekämpfung habe nutzen wollen - etwa den Doppelwumms-Fonds WSF - seien "rückwirkend weggefallen", so Thiele. Deshalb sei es "ausnahmsweise" auch zulässig, die Notlage rückwirkend zu erklären.

Der Bundesrechnungshof äußert sich kritischer

Der Verfassungsrechtler Hanno Kube, der die Unionsfraktion bei ihrer Klage in Karlsruhe vertreten hatte, sieht zwar ein verbleibendes verfassungsrechtliches Risiko, was die rückwirkende Erteilung neuer Kreditermächtigungen für den WSF und den Aufbauhilfefonds zur Ahrtal-Katastrophe angeht. Im Ergebnis aber sei "vertretbar dargelegt" worden, dass eine Notlage bestehe.

Kritischer äußerte sich der Bundesrechnungshof. Dessen Gutachter Jan Keller hält auch den Nachtragshaushalt 2023 für verfassungswidrig - wegen der rückwirkend erklärten Notlage, und weil die Regierung seiner Meinung nach immer noch schummelt bei der Nettokreditaufnahme. Anders als die Regierung glaubt der Rechnungshof, dass sämtliche Sondervermögen des Bundes von dem Urteil betroffen sind - nicht nur diejenigen, die über Notlagenkredite finanziert wurden. Dann hätte die Regierung die neue Kreditaufnahme im Nachtragshaushalt weiterhin zu niedrig angesetzt. Der Wirtschaftswissenschaftler Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg sieht diesen Punkt ähnlich.

Dem widersprach etwa der Staatsrechtler Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. "Das Urteil bezieht sich nur auf Sondervermögen, die Notlagenkredite in Anspruch nehmen", sagte er. Etwas anderes habe das Verfassungsgericht gar nicht zu entscheiden gehabt. Sein Kollege Thiele warnte sogar, man solle das Urteil "nicht überstrapazieren"; das Gericht habe sich mit Notlagenkrediten beschäftigt, nur dafür gelte die strenge Jährlichkeit.

Der noch diffuse Haushalt 2024 warf seine Schatten in der Anhörung immer mal wieder voraus. Die SPD-Haushälterin Bettina Hagedorn etwa fragte, ob es nicht fast schon die "logische Konsequenz aus dem Urteil" wäre, nun auch für das kommende Jahr eine Notlage auszurufen. Der Rechtswissenschaftler Armin Steinbach antwortete, dass die Lage auf den Energiemärkten wohl nicht ausreiche für eine Wiederholung des Notstands. Leichter zu begründen wäre dagegen eine "restriktivere Notlagensituation" im Hinblick auf den Ukraine-Krieg.

Für die SPD ist klar: "Wir werden den Sozialstaat nicht preisgeben."

Der von der Union beauftragte Sachverständige Kube dagegen warnte mit Blick auf 2024, dass die Finanzierung einer ursprünglichen Notlage irgendwann zu einer regulären Staatsaufgabe werde. Auch der SPD-Gutachter Thiele sagte, Notlagen diffundierten irgendwann in die normale Konjunkturentwicklung hinein. Dieser "Zwischenzustand" lasse sich ohne Änderung der Schuldenbremse nicht lösen.

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Für eine solche Reform aber bräuchte die Ampel die Unionsfraktion - und derzeit hat sie schon mit sich selbst genug zu tun. In der SPD etwa herrscht die Sorge, dass ohne eine grundsätzliche Einigung über eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse der eigene Bundesparteitag an diesem Wochenende für Kanzler Olaf Scholz schwierig werden könnte. Der Korridor für Kompromisse bleibt jedenfalls eng. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schloss Kürzungen im Sozialbereich, die von Teilen der FDP verlangt werden, am Dienstag abermals kategorisch aus. "Wir werden den Sozialstaat nicht preisgeben."

Druck kommt auch aus SPD-geführten Bundesländern. "Wir erwarten jetzt vom Bund vor allem im Hinblick auf die Wasserstoffprojekte schnelle Finanzierungszusagen", sagte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) der Süddeutschen Zeitung. "Die betroffenen Unternehmen brauchen dringend Klarheit für ihre weiteren Planungen."

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