100 Tage Biden:Von wegen schläfriger Joe

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Eindringliche Worte: US-Präsident Joe Biden zog nach 100 Tagen im Amt vor beiden Kammern des Kongresses eine erste Bilanz. (Foto: Melina Mara/AP)

US-Präsident Joe Biden ist 100 Tage im Amt - und hat wenig Zeit, seine Agenda umzusetzen. Notfalls will er Billionen-Investitionen auch gegen den Widerstand der Republikaner durchdrücken.

Von Christian Zaschke, New York

Joe Bidens Rede im Kongress anlässlich der ersten 100 Tage seiner Amtszeit als US-Präsident zeigte erkennbar auch bei den Republikanern Wirkung. Das lies sich nicht zuletzt daran ablesen, dass der texanische Senator Ted Cruz fortwährend versuchte, so zu tun, als schliefe er. Natürlich schlief Cruz nicht, es war eine recht kindische Darbietung, ein eher verzweifelt wirkender Versuch, sich den eindringlichen Worten von Biden zu entziehen. Und eindringlich waren sie: Eine derart ambitionierte Rede hat man lange nicht mehr von einem amerikanischen Präsidenten gehört.

1972 ist der heute 78 Jahre alte Biden erstmals als Senator in den Kongress eingezogen. Noch nie in der Geschichte der USA amtierte ein Präsident mit derart großer politischer Erfahrung. Biden hat in Washington so ziemlich alles gesehen, und deshalb ist die eigentliche Überraschung vielleicht, dass viele Beobachter davon überrascht sind, wie entschlossen, diszipliniert und planvoll er seine Aufgabe nun angeht.

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Von seinem Vorgänger Donald Trump ist Biden oft als "Sleepy Joe" verhöhnt worden, als schläfriger Joe. Diese Bezeichnung dürfte auf dem Kapitolshügel wohl niemand mehr verwenden. Während andere Präsidenten sich zu Beginn ihrer Amtszeit nach dem Wahlkampf einige Flitterwochen gönnten, hat Biden vom ersten Tag an sein Programm abgearbeitet. Am Mittwochabend zog er eine erste Bilanz. Natürlich bewertet jeder Präsident seine Arbeit positiv, aber Biden hat tatsächlich einiges vorzuweisen.

62 von Trumps 219 Dekreten sind aufgehoben

Offiziell war Bidens Auftritt keine Rede zur Lage der Nation. Diese halten Präsidenten üblicherweise nicht in ihrem ersten Amtsjahr, weil sie sich erst einmal ein Bild von eben jener Lage machen wollen. Der letzte, der gegen diese ungeschriebene Regel verstieß, war Ronald Reagan. Selbst Donald Trump hielt sich daran, was aber auch daran liegen könnte, dass er lieber twitterte, als im Kongress zu sprechen.

Apropos Twitter: Vom offiziellen Präsidentenkonto sind während Bidens Amtszeit bisher etwa 600 Tweets abgesetzt worden. Trump verschickte in seiner Amtszeit 26 000 Tweets. Ein womöglich nebensächliches Detail, aber es zeigt, dass Bidens Präsidentschaft eine bisher leise ist, was nicht bedeutet, dass sie nicht effektiv wäre: Von den 219 Dekreten, die Trump erließ, hat Biden bereits 62 außer Kraft gesetzt.

Die Würde wieder hergestellt: US-Präsident Biden auf dem Weg zu seiner ersten Rede vor beiden Kammern des Kongresses. Am 6. Januar hatten Anhänger von Donald Trump das Kapitol gestürmt. (Foto: Michael Reynolds/imago/ZUMA Wire)

Oft schien es, als sei Trumps Hauptanliegen, die Amtszeit seines Vorgängers Barack Obama ungeschehen zu machen. Nun erlebt er selbst, wie es ist, wenn das eigene Werk systematisch zerlegt und aus der Welt geschafft wird.

Unter anderem machte Biden die Austritte aus dem Pariser Klimaabkommen und aus der Weltgesundheitsorganisation rückgängig. Zudem hat er den Bau einer Mauer beziehungsweise eines Zauns an der Grenze zu Mexiko gestoppt. Diese Maßnahme ist selbst unter moderaten Demokraten nicht ganz unumstritten, und es hat seine Gründe, dass Biden in seiner Bilanz über vieles sprach, aber nicht über das Thema Einwanderung.

Einwanderung ist die größte Herausforderung

Seit er Präsident ist, haben die illegalen Grenzübertritte rapide zugenommen, und bisher sieht es nicht so aus, als bekomme seine Regierung dieses Problem in den Griff. Einerseits will Biden die offen fremdenfeindliche Politik seines Vorgängers nicht fortführen, andererseits will er sich nicht vorwerfen lassen, er habe die Grenze geöffnet und eine illegale Masseneinwanderung zugelassen. Es wird eine der spannenderen Fragen sein, ob Biden sich aus diesem Dilemma befreien kann.

Über seine Erfolge sprach er ausführlich. In erster Linie wäre da die Bekämpfung der Pandemie zu nennen. Bei seinem Amtsantritt hatte Biden gesagt, in seinen ersten 100 Tagen sollten 100 Millionen Impfdosen verabreicht werden. Das galt als ein ambitioniertes Ziel. Am Mittwoch sagte er: "Wir werden nach 100 Tagen 220 Millionen Dosen verabreicht haben." Etwa 70 Prozent der Senioren sind bereits voll geimpft - bei seinem Amtsantritt traf das auf lediglich ein Prozent zu.

Das Impfen läuft in den USA in der Tat gut. Mittlerweile können alle Einwohnerinnen und Einwohner, die älter als 16 Jahre sind, sich jederzeit impfen lassen. In vielen Städten ist dazu nicht einmal ein Termin nötig. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio verkündete am Donnerstag, dass die Stadt zum 1. Juli wieder komplett öffnen werde. Die größte Stadt der USA signalisiert damit, dass die Pandemie im Land bald überwunden sein könnte. Es ist allerdings gut möglich, dass dieser Optimismus verfrüht ist. Viele Amerikaner haben aus verschiedensten Gründen kein Interesse an einer Impfung.

Am Impfen zeigt sich die Spaltung der Nation

Umfragen zufolge lehnen bis zu 40 Prozent der Republikaner eine Impfung ab. Es steht daher die Befürchtung im Raum, dass im Land keine Herdenimmunität erreicht werden kann, was wiederum zur Ausbildung von Varianten des Virus führen könnte, gegen die möglicherweise die Impfung nicht wirkt.

Auch diese Sorge sparte Biden in seiner Rede aus. Das Phänomen ist jedoch ein weiteres Beispiel für die tiefgreifende Spaltung des Landes. Alles ist politisch, und wenn die Demokraten sich begeistert impfen lassen, dann ist das vielen Republikanern eben suspekt - und sie lassen es schon aus Prinzip sein.

Dass es Biden ein Anliegen ist, das Land wieder zu einen, zeigte er in seiner Rede, indem er wieder und wieder davon sprach, dass Republikaner und Demokraten Dinge gemeinsam erreichen könnten. Allerdings dürfte er selbst wissen, dass die Republikaner seinen Investitionsplänen äußerst skeptisch gegenüberstehen. Bis zu sechs Billionen Dollar will Biden investieren, wie er darlegte, in Infrastruktur, in Bildung, ins Gesundheitswesen. Für amerikanische Verhältnisse ist das ein sehr sozialdemokratisches Programm, was die Republikaner wahlweise mit "sozialistisch" oder "kommunistisch" übersetzen.

Demonstrativ schläfrig: Der republikanische Senator Ted Cruz (Mitte) hört im Kapitol die Rede von US-Präsident Joe Biden. (Foto: Jonathan Ernst/imago/ZUMA Wire)

Dennoch lud Biden die Republikaner dazu ein, sich an seinen Vorhaben zu beteiligen und konkrete Vorschläge einzubringen. "Wir heißen Ideen willkommen", sagte er, um sogleich hinterherzuschieben: "Aber der Rest der Welt wartet nicht auf uns." Das lässt sich durchaus dahingehend lesen, dass Biden den Republikanern anbietet, gemeinsame Sache zu machen, aber dass er sein Programm im Zweifel auch ohne deren Unterstützung durchzieht.

Als Vizepräsident von Barack Obama hat Biden aus der Nähe gesehen, was es bedeutet, von der Gegenseite hingehalten zu werden. Obama hatte wieder und wieder versucht, überparteiliche Lösungen zu finden, obwohl er zunächst über komfortable Mehrheiten im Repräsentantenhaus und im Senat verfügte. Die Republikaner ließen ihn wiederholt auflaufen. Obwohl Bidens Mehrheiten wesentlich fragiler sind, wird ihm dieser Fehler nicht unterlaufen. Bereits im Herbst 2022 stehen die Zwischenwahlen an, bei denen Biden seine Mehrheiten verlieren könnte.

Dass Biden seine Agenda so entschlossen umsetzt, hat also vor allem einen Grund: Er hat wenig Zeit, und er weiß es.

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