Vor Gipfel mit Kanzler:Hendrik Wüst und Christian Dürr wollen Asylverfahren auslagern

Lesezeit: 3 min

Christian Dürr (li.), Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. (Foto: Imago)

Vor dem Bund-Länder-Gipfel am 6. November wachsen bei Union und FDP die Zweifel, ob die bisher diskutierten Maßnahmen zum Eindämmen irregulärer Migration ausreichen. Sie sind für einen neuen Weg.

Von Georg Ismar und Paul-Anton Krüger, Berlin

Angesichts der hohen Zahl nach Deutschland flüchtender Menschen fordert der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), einen neuen Ansatz mit Asylverfahren außerhalb Europas ernsthaft zu diskutieren. "Irreguläre Migration muss beendet werden, damit wir denjenigen Menschen gerecht werden können, die wirklich unsere Hilfe brauchen, weil sie vor Krieg und Vertreibung fliehen", sagte Wüst der Süddeutschen Zeitung.

Am 6. November gibt es einen Bund-Länder-Gipfel unter anderem zur Asylpolitik, aber in der Union wachsen die Sorgen, dass bisher diskutierte Maßnahmen zur Begrenzung der Zuwanderungszahlen nicht ausreichen könnten. Im Jahr 2022 kamen neben etwa einer Million Menschen aus der Ukraine 244 000 Menschen aus anderen Staaten, in diesem Jahr werden möglicherweise insgesamt 300 000 erwartet. Bis einschließlich September wurden in Deutschland mehr als 251 000 Asylanträge gestellt, davon mehr als 233 000 Erstanträge.

Wüst fordert daher von Kanzler Olaf Scholz (SPD), dass ähnlich wie beim EU-Türkei-Abkommen gegen finanzielle Zusagen Abkommen geschlossen werden, damit Flüchtlinge nach einem Aufgreifen in Europa direkt in Partnerländer entlang der Fluchtrouten gebracht werden, "damit dort Verfahren und Schutzgewährung nach rechtsstaatlichen Regeln stattfinden".

SZ PlusMigration
:SPD und Union suchen nach gemeinsamer Linie in der Asylpolitik

Selten wurde ein Bund-Länder-Gipfel so mit Erwartungen überfrachtet wie der am 6. November zur Migration in Deutschland. Es hakt noch gewaltig, ein CDU-Regierungschef fordert etwas beinahe Revolutionäres.

Von Boris Herrmann, Georg Ismar und Paul-Anton Krüger

"Das ist auch eine Frage der Menschlichkeit" - so wird für das Modell Ruanda argumentiert

Das Ziel sei es, das Sterben im Meer zu beenden. "Das heißt, die, die keinen Schutzstatus erwarten können, kommen erst gar nicht in unser Land. Dabei müssen wir diese Partnerländer finanziell unterstützen. Es geht um Abkommen mit Leistung und Gegenleistung", sagte Hendrik Wüst.

Daher sollten ähnliche Abkommen wie das EU-Türkei-Abkommen mit weiteren Staaten geschlossen werden - etwa in Nordafrika. "Der Partnerstaat soll sich dazu bereit erklären, jeden, der irregulär die See- und Landgrenzen von seinem Land in Richtung der Europäischen Union überschreitet, wieder zurückzunehmen."

Migranten im Hafen der italienischen Insel Lampedusa im September. (Foto: Zakaria Abdelkafi/AFP)

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der SZ, auch seine Partei befürworte die Abwicklung von Asylverfahren in Drittländern außerhalb der EU. "Eine solche Regelung würde Klarheit über den Schutzstatus schaffen und verhindern, dass sich Menschen ohne Perspektive auf die gefährliche Route übers Mittelmeer begeben. Das ist auch eine Frage der Menschlichkeit."

Selbst linke SPD-Abgeordnete, die nach SZ-Informationen an einem eigenen Vorschlagspapier hierzu arbeiten, räumen ein, dass die bisher geplanten Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Zahlen zu begrenzen, die Kommunen zu entlasten und zu verhindern, dass die Stimmung im Lande vollends kippt. Sie verweisen auf Modelle wie in Großbritannien, wo die Regierung beabsichtigt, Asylbewerber nach Ruanda zu schicken, damit dort rechtsstaatliche Verfahren stattfinden, was allerdings ein Gericht in London zunächst zurückgewiesen hat.

Solche Modelle werden auch immer deutlicher für Deutschland und die EU diskutiert, am Ende eines solchen Verfahrens könnte dann Asyl in Deutschland oder anderen EU-Staaten genehmigt werden oder eben nicht. Das würde allein schon wegen der Aussicht, nicht mehr ein Verfahren und eine Duldungsperspektive in Deutschland zu erhalten, von einer gefährlichen Flucht etwa über das Mittelmeer abhalten, so lautet die Hoffnung. Dabei wird über ein großes Abkommen mit einem Land diskutiert, in dem die nach Europa geflüchteten Menschen eine Unterkunft für die Zeit ihres Verfahrens bekommen, oder, wie Wüst es vorschlägt, mehrere Abkommen mit den entsprechenden Herkunftsländern, um dort die Asylverfahren abzuhalten - allerdings ist es oft das Problem, dass durch vernichtete Pässe das Herkunftsland gar nicht eindeutig zu identifizieren ist.

Die Finanzierung der Unterbringung von Geflüchteten bleibt ein Streitpunkt

Beim Ruanda-Modell gibt es hingegen menschenrechtliche Bedenken. Ein Gericht in London entschied im Juni, dass das Vorhaben, Asylsuchende ungeachtet ihrer Herkunft und ihres persönlichen Hintergrunds in das ostafrikanische Ruanda abzuschieben, ohne Recht auf Rückkehr, gesetzeswidrig sei.

Grundsätzlich ist die Idee von Flüchtlingszentren in Drittländern, etwa in Afrika, nicht neu. In der EU wurden sie schon im Jahr 2014 diskutiert. Zum einen ging es um die Abwicklung von Asylverfahren in solchen Einrichtungen, was etwa Ägypten aber mit Hinweis auf seine Souveränität ablehnte. Zudem gab es Gespräche mit der Regierung in Kairo über die Rückführung von Flüchtlingen, auch wenn diese nicht ägyptische Staatsangehörige sind, die allerdings ohne greifbares Ergebnis blieben. Auch jetzt soll es wieder Gespräche der EU mit Ägypten, Jordanien und Libanon geben.

Vor dem Bund-Länder-Gipfel am 6. November zeichnet sich zudem ab, dass auch das Thema Finanzen ein großer Streitpunkt werden dürfte. Die Länder hätten gerne dauerhaft 1,25 Milliarden Euro zusätzlich und eine Pauschale von rund 10 500 Euro je Flüchtling vom Bund im Jahr. FDP-Fraktionschef Dürr machte im Gespräch mit der SZ deutlich, dass der Spielraum für eine größere finanzielle Unterstützung der Länder durch den Bund sehr gering sei. Die Mittel dafür müssten aus dem Haushalt kommen, zugleich müsse aber auch die Schuldenbremse eingehalten werden. Zudem übernehme der Bund schon in erheblichem Umfang Kosten, die eigentlich die Länder zu tragen hätten, sagte Dürr.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungMigration
:Die Kontrolle gewinnen

Viele Politiker erwecken den Eindruck, Deutschland werde von Flüchtlingen buchstäblich "überschwemmt". Sachlich trifft dies nicht zu. Um den Menschen hierzulande aber das Gefühl der Überforderung zu nehmen, gäbe es pragmatische Lösungen. Man müsste sie nur einmal ausprobieren.

Gastkommentar von Gesine Schwan

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: