Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind nach Einschätzung von Amnesty International weltweit so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Zahlreiche Regierungen stellten die Universalität der Menschenrechte infrage und beschädigten mit Verstößen gegen das Völkerrecht und durch die Missachtung grundlegender Rechte die internationale Ordnung, bilanziert die Menschenrechtsorganisation in ihrem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Jahresbericht 2023/24 zur weltweiten Lage der Menschenrechte.
Dieser dokumentiert die Situation in 155 Ländern. Als Negativbeispiele nannte die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchow, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, das Schweigen des Westens zu Chinas Menschenrechtsverbrechen gegenüber den Uiguren oder das gezielte Töten von Zivilisten im sudanesischen Bürgerkrieg. Heute gebe es im Sudan mehr als acht Millionen Binnenvertriebene - so viele wie in keinem anderen Land der Welt.
Auch die Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen hätten mit ihrem brutalen Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 Kriegsverbrechen begangen. "Das Leid der Opfer ist durch nichts zu relativieren", betonte Duchow. Der daraus folgende israelische Militäreinsatz im Gazastreifen habe aber "jedes Maß verloren". Dem israelischen Militär wirft die Menschenrechtsorganisation vor, Kriegsverbrechen in Gaza zu begehen, und kritisiert, dass die Bundesregierung dazu schweige. Schwere Vorwürfe der deutschen Amnesty-Sektion gibt es in diesem Zusammenhang gegen die Ampelregierung und besonders gegen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Die deutsche Regierung verspiele ihre Glaubwürdigkeit und trage zur Erosion der internationalen Ordnung bei, sagte Duchow.
Rückschläge bei der Geschlechtergerechtigkeit
Auch beim Thema Geschlechtergerechtigkeit sieht Amnesty weltweit viele Rückschläge. So hätten es Frauen in den USA immer schwerer, eine Schwangerschaft abzubrechen. In Afghanistan sei der Schulbesuch für Mädchen weiter eingeschränkt worden, und in Iran gingen die Behörden mit zunehmender Härte gegen unverschleierte Frauen vor.
Zahlreiche Regierungen schränkten außerdem die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen ein. So sei in Uganda die Todesstrafe für den neuen Straftatbestand der "schweren Homosexualität" eingeführt worden. In 62 Ländern gebe es weiterhin Gesetze, die gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen kriminalisierten.
Auch in Deutschland verzeichnete Amnesty 2023 mehr Gewaltdelikte, Beleidigungen und Angriffe auf Schutzsuchende, Flüchtlingsunterkünfte und Minderheiten. Dabei fänden menschenrechtsfeindliche Positionen hierzulande längst auch Zuspruch in der bürgerlichen Mitte. "Zu viele sind heute bereit, das Versprechen gleicher Rechte für alle Menschen aufzugeben", warnte Duchow. Auch würden Polizei und Behörden friedliche Proteste wie von der "Letzten Generation" zunehmend einschränken und verbieten.
Die Amnesty-Digitalexpertin Lena Rohrbach warnte zudem vor den Auswirkungen digitaler Technologien auf die weltweite Menschenrechtslage. So befeuerten in Konfliktgebieten die Plattformen der großen Tech-Konzerne durch ihren Algorithmus Hass, Hetze und Gewalt. Dazu kämen biometrische Überwachung oder gegen Aktivisten eingesetzte Spionagesoftware-Programme.