Wirtschaft im Oberland:Zurück auf Normalmaß

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Angesichts gestiegener Preise und Zinssätze dürfte sich die Bauwirtschaft erst einmal schwertun, Projekte wie das an der Banater Straße in Geretsried mit knapp 800 Wohnungen zu stemmen. (Foto: Krämmel Wohn- und Gewerbebau GmbH by smpl/oh)

Laut der aktuellen IHK-Konjunkturumfrage sehen die Unternehmen der Region pessimistisch in die Zukunft. Das scheint für die Bau- oder die Gastronomiebranche zuzutreffen. Andere Wirtschaftsvertreter bleiben aber gelassener.

Von Benjamin Engel, Bad Tölz-Wolfratshausen

Der Ausblick zur wirtschaftlichen Entwicklung klingt nach der neuesten Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer für das Oberland dramatisch: Der Interessenverband sieht die hiesigen Unternehmen auf Talfahrt, weswegen 21 Prozent Stellen abbauen wollten. Insofern klingt symptomatisch, wenn Monika Poschenrieder, Kreisvorsitzende im Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) "düstere Zeiten" für ihre Branche fürchtet. Wer sich allerdings unter Wirtschaftsvertretern in der Region umhört, erhält ein differenziertes, spartenabhängig sehr unterschiedliches Stimmungsbild.

"Die Sommersaison ist gut gelaufen", räumt selbst Poschenrieder für die hiesigen Hotels und Gaststätten ein. Doch die gestiegenen Energie- und Personalkosten belasteten ihre Branche stark. Vor allem aber fehlten Mitarbeiter, weswegen einige Betriebe sogar aufgeben mussten. "Kollegen haben zugemacht, weil ihnen Spüler fehlten", so Poschenrieder.

Wenn die Mehrwertsteuer wieder steigt, geht es Betrieben an die Existenz, so die Dehoga-Kreisvorsitzende

Sollte die Bundespolitik den infolge der Pandemie noch bis Jahresende auf sieben Prozent abgesenkten Mehrwertsteuersatz wieder auf 19 Prozent anheben, würden aus ihrer Sicht viele Gasthäuser aufgeben. "Das ist nicht `nice to have`, sondern existenziell", sagt Poschenrieder. Und wäre aus ihrer Sicht ungerecht obendrein. So sei es nicht nachvollziehbar, wenn ein Fastfood-Anbieter nur sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlen müssen, wenn er Essen außer Haus verkaufe, ein Gastwirt aber 19 Prozent.

Für diese drohende Situation macht Poschenrieder allein den Bund verantwortlich. Denn EU-weit könnten die Mitgliedsländer bereits seit 2009 für bestimmte Dienstleistungen wie die Gastronomie die Mehrwertsteuersätze absenken. Alle bisherigen Bundesregierungen hätten das für ihre Branche mit Ausnahme der Pandemiesituation in Deutschland seitdem abgelehnt, so Poschenrieder.

Müssten die Gastronomen wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer zahlen, müssten folglich die Preise noch stärker steigen. Für anstehende Investitionen, wie etwa in neue, umweltfreundliche Heizsysteme, brauche es Geld, das die Branche während der Pandemie nicht habe ansparen können. "Bis jetzt haben wir die gestiegenen Kosten noch gar nicht voll auf die Kunden umgelegt", sagt Poschenrieder. "Die Frage ist, wie weit der Gast mitgeht."

Das generelle Problem, genug Personal zu finden, dürfte unabhängig davon in der Gastronomiebranche bleiben. Für Poschenrieder hätte es die Politik aber in der Hand, an den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen etwas zu ändern. Schließlich gebe es mit den Geflüchteten genügend Leute im Land, sagt sie. Die international geprägte Gastronomiebranche sei dafür prädestiniert, Menschen gut zu integrieren. Zudem lernten Mitarbeiter Deutsch am besten im Arbeitsumfeld statt in Sprachkursen.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für Unternehmen der größte Risikofaktor

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bewerten die Unternehmen laut der IHK-Konjunkturumfrage für das Oberland als größtes Risiko. Die damit verbundene pessimistische Zukunftserwartung gebe erst einmal eins zu eins die Einschätzung der Unternehmen wieder, so Andreas Ross, Wirtschaftsförderer im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. "Die Zahlen lügen nicht." Je nach Branche wirkten sich manche Entwicklungen zeitlich verzögert aus. In der Bauwirtschaft sei die Zahl der Baugenehmigungen zurückgegangen. Die Betriebe im Ausbausektor wie etwa Heizungsbauer hätten momentan aber noch viele Aufträge.

Der Landkreis sei nicht nur von einer Branche abhängig, so Wirtschaftsförderer Andreas Ross. (Foto: Hartmut Pöstges)

In der Konjunkturumfrage der IHK von September hatten 69 Prozent der Unternehmen angegeben unter den starken Preissteigerungen bei Energie zu leiden. Laut Ross sei seitdem aber etwa die Inflationsrate wieder gesunken, was Unternehmen entlasten könne. "So eine Umfrage ist nur eine Momentaufnahme", sagt der Wirtschaftsförderer. "Unser Vorteil im Landkreis ist, dass wir nicht von einer Branche komplett abhängig sind. Wir sind sehr diversifiziert aufgestellt."

Für den UWW-Vorsitzenden ist der jetzige Abschwung nur ein Zurück auf Normalmaß

11 209 Unternehmen, die meisten davon Kleingewerbetreibende, gehören laut Statistik von 2021 der IHK an. Davon sind 1575 aus dem produzierenden Gewerbe, 1521 aus dem Einzelhandel, 634 Hotel- und Gaststättenbetriebe sowie 5497 sonstige Dienstleister. Von großflächigen Entlassungsplänen hat der Vorsitzende der Unternehmervereinigung Wirtschaftsraum Wolfratshausen (UWW), Christian von Stülpnagel, aber bislang nichts mitbekommen. "Wir haben natürlich einen Dämpfer gekriegt", sagt er. Stülpnagel will die Lage aber nicht dramatisieren. Im Jahr 2022 habe die Wirtschaft nach den beiden vorhergehenden Pandemiejahren und unter Bedingungen von praktisch keinerlei Zinsen besonders stark geboomt. "Das war ein Überschwinger. Jetzt geht es wieder auf ein normales Maß herunter", so Stülpnagel.

Die Lage der Baubranche überschatte aus seiner Sicht die gesamte Konjunktur. Das würde er aber nicht verallgemeinern. Die Wirtschaft könne nicht immer nur mehr und mehr unter Null-Zins-Bedingungen wachsen. "Es geht rauf und runter", so Stülpnagel. Auf diese Schwankungen müsse sich die Wirtschaft einstellen. Das müsse er auch mit seinem Unternehmen - Stülpnagel ist Geschäftsführer von Eg-Electronics in Wolfratshausen - verkraften.

Zu sehr dramatisieren will Martin Heimgreiter, der oberste Vertreter der Kreishandwerkerschaft Miesbach/ Bad Tölz-Wolfratshausen die Wirtschaftsaussichten ebenso wenig. "Es ist ja nicht so, dass gar keine Arbeit mehr da wäre", sagt der Schreinermeister aus Waakirchen im Landkreis Miesbach. Die Baubranche breche zwar intensiv ein, das Ausbaugewerbe werde folgen. Projekte verschöben sich etwa ein bisschen in die Folgejahre. Gleichzeitig änderten sich die Wettbewerbsbedingungen. Um Bauprojekte konkurrierten wieder mehr Bewerber. Das Friseurgewerbe habe mit Schwarzarbeit zu kämpfen. Weiterhin boomten die Elektrik-, Heizungs- und Sanitärsparte. "Grundsätzlich sehe ich die Lage nicht dramatisch", so Heimgreiter. "Es gibt immer ein bisschen Auf und Nieder."

Der Arbeitsmarkt

Michael Vontra leitet die Rosenheimer Arbeitsagentur. (Foto: Agentur für Arbeit Rosenheim/oh)

Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zählt zu den wirtschaftsstärksten Regionen im Freistaat. Stand Oktober lag die Arbeitslosenquote bei nur zwei Prozent und war damit gemeinsam mit der im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm die niedrigste in ganz Bayern. Damit zeigt sich der Landkreis seit einem Jahr auf hohem Niveau volkswirtschaftlich stabil. Laut Michael Vontra, Vorsitzender der Geschäftsführung der zuständigen Agentur für Arbeit Rosenheim sind mit 1427 Personen aktuell nur vier mehr erwerbslos gemeldet als im Oktober 2022. Zudem waren Stand Ende März 39 661 Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 737 mehr als im Jahr zuvor.

Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen sind aktuell 1367 freie Stellen gemeldet. Das sind zwar 206 weniger als vor einem Jahr. Mehr freie Stellen bieten laut Vontra Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe, Betriebe aus der Maschinen- und Fahrzeugtechnikbranche, nicht-medizinische Gesundheitsberufe sowie der Erziehungs-, Sozial- und Hauswirtschaftssektor.

Vor allem Personal dürfte gefragt bleiben. Laut Vontra suchen Unternehmen vor allem Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Diese Personengruppe sei aber in einigen Branchen gesucht. Durch den demografischen Wandel kämen weniger junge Menschen nach, von denen zudem immer studierten. Laut Vontra sei die Agentur für Arbeit gefragt, zwischen Bewerbern und Betrieben zu vermitteln, Menschen beim Berufseintritt, dem Arbeitsplatzwechsel oder Wiedereinstieg aus der Arbeitslosigkeit zu unterstützen.

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