Gedenkveranstaltung:Erinnerung an eine Gräueltat

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Elke Büdenbender, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Jugendbuchautorin Kirsten Boie saßen zusammen im Schloss Bellevue, während die Schülerinnen und Schüler sowie Bürgermeister Stefan Korpan live aus dem Penzberger Rathaus zugeschaltet waren. (Foto: dpa)

Schüler diskutieren mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dessen Frau Elke Büdenbender und der Autorin Kirsten Boie über die Penzberger Mordnacht vom 28. April 1945.

Von Alexandra Vecchiato, Penzberg

Es sind die letzten Kriegstage 1945. Die US-Armee hat Bayern größtenteils befreit und rückt Richtung Penzberg vor. Da geschieht in der kleinen Stadt Unfassbares, eine Gräueltat, die die Schrecken der Nazi-Herrschaft aufs Eindringlichste vor Augen führt. Am 28. April 1945 werden 16 Frauen und Männer in Penzberg ermordet - erschossen und erhängt von Wehrmacht und "Werwolf". 76 Jahre sind seitdem vergangen. Eine lange Zeit. Welche Bedeutung diese Morde heute noch haben, diskutierten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und seine Ehefrau Elke Büdenbender am Montag mit Penzberger Gymnasiasten - coronabedingt per Videogespräch.

Vor zwei Jahren besuchten Steinmeier und Büdenbender Penzberg. Damals, so erzählte der Bundespräsident, habe er erstmals von der Penzberger Mordnacht erfahren. Er sei "sehr überrascht" gewesen, weil er von den Ereignissen am 28. April 1945 bis dahin nichts gewusst habe. Hinzukommt das neueste Werk der Jugendbuchautorin Kirsten Boie. Steinmeier und seine Frau zeigten sich beeindruckt. In ihrem Roman "Dunkelnacht" verarbeitet Boie die Penzberger Mordnacht und bettet die historischen Geschehnisse in eine fiktive Liebesgeschichte ein. Die Autorin nahm an dem Videogespräch mit dem Titel "Es geschah in unserer Stadt - Erinnerung an die Penzberger Mordnacht vom 28. April 1945" teil und las im Schloss Bellevue in Berlin einige Kapitel ihres Buches vor.

Boie sei es gelungen, so der Bundespräsident, Jugendlichen durch ihre fiktive Erzählung den Zugang zu den Ereignissen voller Gewalt "leicht zu machen", auch wenn die von ihr beschriebenen Szenen nur schwer erträglich seien. Trotz der "großen Brutalität" wünsche man sich "viel mehr und länger" lesen zu dürfen. Die Autorin erklärte, sie habe drei junge, unterschiedliche Charaktere erschaffen und somit drei Perspektiven, um das Zeitgeschehen zum Leben zu erwecken: Marie, die nicht an das Nazi-Regime glaubt; Schorsch, ein typischer Jugendlicher seiner Zeit, der nichts anderes kennengelernt habe, dennoch nicht fanatisch sei; und Gustl, Nazi durch und durch. Mit ihnen, hofft sie, Interesse bei jungen Menschen für dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte zu wecken. Das Morden reduziere sich nicht allein auf die Schoah, selbst über eine durchschnittliche Kleinstadt habe das Grauen hereinbrechen können.

Dass durchaus Interesse an Aufarbeitung und Erinnerung besteht, machten die neun Penzberger Gymnasiasten deutlich, die vom Sitzungssaal im Rathaus aus mit Steinmeier, Büdenbender und Boie per Video diskutierten. Emma Herold, Veronika Herrmann, Tabea Ostler, Iris Reitmeier, Jan Röntgen, Emelie Schmid, Lea Blankenberg, Jakob Duckeck und Valentin Einberger beantworteten nicht nur Fragen, sie stellten auch welche. Einberger betonte, dass eine Erinnerungskultur unabdingbar sei, damit sich solche Taten nie wieder wiederholen würden. Vom Bundespräsidenten wollten die Schülerinnen und Schüler wissen, warum er mit ihnen über die Penzberger Mordnacht diskutieren wollte. Seit Jahren befasse er sich mit Geschichte, erwiderte Steinmeier. Als Außenminister habe er erlebt, dass die Bundesrepublik im Ausland nach wie vor mit Blick auf das wahrgenommen werde, was in den Jahren von 1933 bis 1945 geschehen ist. "Was nicht verwundert." Die Aufarbeitung bleibe wichtig. Dem Wunsch, endlich einen Schlussstrich zu ziehen, dürfe man nicht nachkommen.

Zu Wort kam auch Penzbergs Bürgermeister Stefan Korpan (CSU). Von ihm wollte Steinmeier wissen, wie an die Mordopfer erinnert wird und welche Phasen der Aufarbeitung es gegeben habe. Nach dem 28. April 1945 befand sich die Stadt in einem Schockzustand, sagte Korpan. Sicherlich habe es Rachegelüste gegeben. Als den Tätern 1948 der Prozess gemacht wurde, hofften viele auf Gerechtigkeit. Im Übrigen musste das Leben weitergehen. Die Opfer seien präsent in der Stadt. Künftig wird eine Bronzetafel in der Innenstadt an die 16 Frauen und Männer erinnern. Sie wird am Mittwoch, 28. April, enthüllt.

© SZ vom 27.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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