Kommunales Ehrenamt:"Darüber kann man sich trefflich streiten"

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Aus dem Gemeinderat in Icking sind seit der Kommunalwahl 2020 vier Mandatsträger ausgeschieden. (Foto: Harry Wolfsbauer)

In Icking sind vier Gemeinderäte in eineinhalb Jahren ausgeschieden. Dafür führt das Quartett persönliche Gründe an. Der Rückzug ist leichter als früher möglich - eine Spurensuche.

Von Benjamin Engel, Icking

Wenn vier Mandatsträger in nur eineinhalb Jahren und während einer laufenden Amtsperiode aus einem Gemeinderat wie in Icking ausscheiden, fällt das auf. Gleichzeitig bedeutet es, dass ein Viertel des Gremiums nun die Interessen der Bürger vertritt, das dafür bei der letzten Kommunalwahl im Frühjahr 2020 zu wenig Stimmen bekommen hat. Was diesen Aderlass verursacht haben könnte?

Auf diese Frage reagiert Matthias Ertl (Parteifreie Wählergemeinschaft Icking) offen. "Das war schon lange angedacht", sagt der Zimmerermeister aus Irschenhausen, der im Januar dieses Jahres aus dem Gemeinderat ausgeschieden ist. Seit 1996 gehörte er dem Gremium an.

Es sei Zeit gewesen, einem Jüngeren Platz zu machen, so Matthias Ertl

Damit war Ertl eines der erfahrensten und bekanntesten Mitglieder, was sich in vielen Stimmen für ihn niederschlug. Auf Nachfrage sagt der Zimmerermeister, der Anfang 60 ist, dass es an der Zeit gewesen sei, einem jüngeren Nachfolger Platz im Gemeinderat zu machen. "Ich war so lange drin", sagt Ertl.

"Ich war so lange drin": Matthias Ertl gehörte seit 1996 dem Ickinger Gemeinderat an. Im Januar schieg er aus dem Gremium aus. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Was hätte aber dagegen gesprochen hätte, noch die verbleibenden zwei Jahre der aktuellen Amtsperiode weiterzumachen, für die der Zimmerermeister 2020 schließlich mit mehr als tausend Stimmen gewählt worden ist? Sicherlich hätte er noch zwei Jahre absitzen können, antwortet Ertl. Gleichzeitig ist herauszuhören, dass sein Rückzug wahltaktisch für seine PWG-Gruppierung vorteilhaft sein könnte. Denn Ertl spricht davon, dass sein Nachrücker - Johannes Rieger - damit die Chance habe, sich im Gemeinderat einzuarbeiten. Dass dies dessen Erfolgsaussichten bei der kommenden Kommunalwahl befördern dürfte, schwingt mit.

Doch wie ist es bei den anderen ausgeschiedenen Ickinger Gemeinderäten? Ihnen allen erleichtert es zumindest die Neuregelung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes seit 2014, während der Amtsperiode auszuscheiden. Das musste ein Gemeinderat bis dahin ausführlich begründen. Sei es, dass er oder sie aus der Kommune wegzog, gesundheitlich stark angeschlagen war, berufliche oder andere familiäre Umstände das ehrenamtliche Engagement in der Kommunalpolitik unmöglich machten.

Die Pflicht, den Rückzug aus dem Gemeinderat zu begründen, ist 2014 abgeschafft worden

Seit zehn Jahren reicht es dagegen, einfach schriftlich zu erklären, sein Mandat niederlegen zu wollen. Dem müsse der Gemeinderat entsprechen, sagt Andreas Gaß, der beim bayerischen Gemeindetag Direktor für Kommunalrecht ist. "Wir als Gemeindetag haben das sehr kritisch gesehen." Zum einen verpflichte die Gemeindeordnung Bürger Ehrenämter zu übernehmen, die nur aus wichtigem Grund abgelehnt werden könnten. Andererseits werde eben dies nun für das höchste Ehrenamt auf Kommunalebene abgeschafft. "Das entwertet das Amt in gewisser Weise", lautet Gaß zufolge eine Position dazu. Dagegen stehe das Argument, dass der Gemeinderat auch vorher schon die Gründe für einen Rückzug in der Regel immer akzeptiert habe. Die Formalie könne man sich also sparen.

"Darüber kann man sich trefflich streiten", sagt Gaß. Die Gemeindeordnung aus dem Jahr 1952 stamme aus einer Zeit, als die damals rund 7000 Kommunen im Freistaat ihre Bewohner noch zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet hätten. Seit der Neuregelung von 2014 sind für Gaß rein gefühlsmäßig mehr Gemeinderäte als zuvor während der Amtsperiode ausgeschieden. Fraglich sei, ob das womöglich an den sich verändernden allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen liege.

Vigdis Nipperdey ist knapp fünf Jahrzehnte Gemeinderätin. Die Arbeit im Gremium sei nicht mehr geworden, sagt sie.

Die Arbeitsbelastung im Ickinger Gemeinderat ist aber während der vergangenen Jahrzehnte wenigstens laut Vigdis Nipperdey (erst CSU, dann Ickinger Initiative) nicht größer geworden. Die Juristin ist seit 1978 im Gremium aktiv - und damit das dienstälteste Mitglied. Phasen mit mehr Aufgaben und damit mehr Vorbereitungszeit hätten sich immer mit weniger arbeitsintensiven Zeiten abgewechselt. "Als Motiv, aus dem Gemeinderat auszuscheiden, würde ich das nicht sehen", sagt Nipperdey. Die vier ausgeschiedenen Gemeinderäte hätten persönliche Gründe gehabt.

Vigdis Nipperdey ist Gemeinderätin seit 1978 und damit das dienstälteste Mitglied. (Foto: Uli Benz; Uli Benz / TUM /oh)

Die neue Gesetzeslage, den Rückzug nicht mehr begründen zu müssen, sieht Nipperdey allerdings generell kritisch. Die Ratio der vorherigen Regelung sei etwa gewesen, dass Gruppierungen zur Stimmenmaximierung bei Wahlen nicht nur die Popularität bestimmter Bewohner ausnutzten, um diese dann anschließend einfach auszutauschen. Früher sei ein Umzug aus der Kommune ein klassischer Fall für einen Rückzug aus dem Gemeinderat gewesen. Wer aus gesundheitlichen Gründen habe ausscheiden wollen, hätte schon mit anderthalb Beinen im Grab stehen müssen, so Nipperdey. "Heute können Sie leichten Herzens ausscheiden, ohne eine wirkliche Begründung zu liefern."

Ende 2023 schied Julian Chucholowski aus dem Gemeinderat aus - aus beruflichen Gründen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Von dem Gefühl langjähriger Gemeinderats-Mitglieder, dass es irgendwann Zeit sei, auszuscheiden, spricht Bürgermeisterin Verena Reithmann (Unabhängige Bürgerliste Icking; UBI). Das habe sie bei ihrem Parteikollegen Josef Mock beobachtet, als dieser 2022 aufgehört habe. Bei Matthias Ertl sei es ähnlich gewesen. "Da schlagen zwei Herzen in einer Brust", sagt sie. Da ist zum einen das Motiv, sich für die Belange der Gemeinde einsetzen zu wollen, andererseits merke man aber, dass es besser sei, aufzuhören. Der Ende 2023 ausgeschiedene Julian Chucholowski (SPD) habe auch schon zuvor oftmals wegen beruflich notwendiger Abwesenheiten gefehlt.

Dass etwa die Stimmung im Gremium schlecht sei, lange Sitzungen oder womöglich wenig effizient vorangetriebene Projekte den Ausschlag für die Rückzüge gegeben hätten, verneint Reithmann. Womöglich sei es genau der richtige Zeitpunkt, wenn sich ein Gemeinderatsmitglied in der Mitte der Periode zurückziehe. Der Bürger könne den Nachrücker kennen lernen, und der wisse genau, worauf er sich bei der kommenden Wahl einlasse.

Bürgermeisterin Verena Reithmann ist ein Motiv für die Rückzüge, dass langjährige Gemeinderäte merkten, es sei an der Zeit, aufzuhören. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Das ist ein ganz normaler Vorgang", sagt denn auch Josef Mock über seine Beweggründe für den Rückzug nach 26 Jahren Gemeinderat. Irgendwann habe er gemerkt, dass die Belastung zu groß geworden sei (2022 war er 64 Jahre alt). Irgendwo habe er kürzer treten müssen. Sein Beruf als Elektromeister gehe vor. "Ich habe es lang genug gemacht", sagt Mock. "Wenn Junge da sind, sollen die das machen."

Nach 26 Jahren im Gemeinderat Icking war für Josef Mock Schluss. (Foto: Manfred Neubauer)

Die Amtsperiode für Gemeinde- und Stadräte dauert sechs Jahre

Wer zu einer Kommunalwahl antritt und genügend Stimmen bekommt, weiß aber davor, dass die Amtsperiode sechs Jahre dauert. Insofern schildert Georg Linsinger (UBI), dass jeder prinzipiell antrete, um auch so lange im Gremium mitzuwirken. Der Biologe und selbständige Unternehmer ist jetzt Mitte 50, wurde im Jahr 2014 erstmals und 2020 erneut in den Ickinger Gemeinderat gewählt. Aus dem Gremium schied er im Sommer 2023 aus. Der in der Kommune aufgewachsene Linsinger hat maßgeblich vorangetrieben, dass die Kommune ein eigenes Breitbandnetz mit Glasfaser bis in die Häuser aufgebaut hat. Wenn er von seinem leidenschaftlichen Engagement spricht, wird das daran offensichtlich.

"Ich habe die Zeit nicht, das in der nötige Ruhe zu machen": Georg Linsinger schied im Sommer 2023 aus. (Foto: Hartmut Pöstges)

Weil er in Icking groß geworden sei, habe er sich gerne beteiligt, sagt Linsinger. Als Selbständiger sei er momentan durch seine Projekte - etwa zur Bodenverbesserung auf einem Gut im Landkreis Weilheim-Schongau - so stark gefordert, dass die Gemeinderatsarbeit obendrauf zu viel wäre. "Ich habe die Zeit nicht, das in der nötigen Ruhe zu machen", sagt er.

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