Filialen im Fünfseenland:Ein Bäcker, der noch Hand anlegt

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Nicht nur die Christstollen werden von Hand bearbeitet. (Foto: Georgine Treybal)

In der neuen 3500-Quadratmeter-Backstube will Julian Kasprowicz zeigen, dass er handwerkliche Qualität mit guten Zutaten bieten kann - und er greift immer noch selbst in den Teig.

Von Armin Greune, Pähl/Starnberg

Führt man mit demnächst 19 Filialen und 200 Angestellten schon eine Großbäckerei? Die Frage beschäftigt Julian Kasprowicz gerade sehr. Nach dem Umzug aus Gut Kerschlach ins Pähler Gewerbegebiet beargwöhnten Kunden, ob sein Angebot nun aus industriell gefertigter Fabrikware bestehe. Schließlich werden in der neuen Backhalle täglich mehr als drei Tonnen Mehl verarbeitet - zu 37 Brotsorten, etwa 20 diversen Semmeln, vielerlei Gebäck wie etwa 14 Plunderarten und täglich sechs bis acht verschiedenen Kuchen. In der Vorweihnachtszeit kommen jetzt noch Plätzchen, Stollen und Lebkuchen dazu.

Dass die Bäckerei trotz optimierter Produktionsabläufe noch immer auf Handarbeit, hochwertige Zutaten und langwierige Reifeprozesse setzt, davon kann sich jeder ein Bild machen. Die gesamte Westfront des Gebäudes ist eine einzige Glasfläche und von einer durchsichtigen Kuppel aus bietet sich Besuchern ein Überblick über die geräumige Backstube. Kasprowicz fühlt sich zur Transparenz gegenüber den Kunden verpflichtet.

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(Foto: Georgine Treybal)

Chef Julian Kasprowicz zeigt handgerollte Vanillekipferl.

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(Foto: Georgine Treybal)

Die neue Backhalle lässt sich von einer Aussichtskanzel überblicken.

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In der Bäckerei gibt es unter anderem Weihnachtssterne ...

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(Foto: Georgine Treybal)

... und Spitzbuben.

Was Betrachter von außen nicht mitbekommen, ist der Kosmos verführerischer Aromen, der sich erschließt, wenn man in die Halle tritt. Es riecht nicht nur süß und säuerlich nach frischem Hefe- und Sauerteig oder weihnachtlichen Gewürzen. In der Konditorei werden Äpfel geschält und in einem Sack lagern unter einem Tuch ganz frisch geröstete Sonnenblumenkerne. Der Chef lädt zur Geruchsprobe ein: Der überwältigende Duft ist ein sensorisches Erlebnis mit hohem Suchtpotenzial.

2020 ist für den Familienbetrieb nicht nur wegen des Umzugs an Maria Himmelfahrt ein besonderes Jahr. Es gibt auch ein Jubiläum zu feiern: Vor vierzig Jahren eröffnete Julians Vater Fritz Kasprowicz in Inning seine erste Bäckerei. 2007 übernahm er die Biobäckerei in Kerschlach, die dann zehn Jahre lang auch als Hauptproduktionsstätte diente. "Ich habe mich dort schon wohl gefühlt", sagt der Seniorchef. Für die Mitarbeiter sei die Enge in den beiden Backstuben allerdings nicht mehr angenehm gewesen. Dazu kam die isolierte Lage im Forst ohne ÖPNV-Anschluss.

In Pähl kann er deutlich bessere Arbeitsbedingungen bieten. 13,5 Millionen Euro hat die Familie in das 3500 Quadratmeter große Gebäude investiert, etwa 50 Leute sind am neuen Firmenstandort beschäftigt. In der lichtdurchfluteten, geräumigen Backstube mit Vollholzdecke wird in zwei Schichten produziert. Fünf junge Bäcker stehen um einen großen Tisch herum und kneten Brotteig. Eine Mitarbeiterin formt Vanillekipferl, die Kollegin sortiert und verpackt von Hand Plätzchenteller. "Das Kipferl-Rezept stammt noch von der Oma", erzählt Julian Kasprowicz. Die "Goldkissen" hat er hingegen selbst entwickelt: Diese Semmeln bestehen aus Dinkelteig mit Kalmus, Mais und Kurkuma.

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Es geht rund in der Bäckerei: Weihnachtsstollen werden fleißig in Form gebracht , ...

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... Geduld ist gefragt, ...

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... sowie Fingerspitzengefühl, das Santina Cammaroto berweist.

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(Foto: Georgine Treybal)

Mit dem Spritzsack werden Weihnachsplätzchen geschmückt.

Nach dem Umzug verfügt der Betrieb über sieben Kühleinheiten. Nun sei man noch mehr als zuvor auf die Langzeitführung fokussiert, die dem Brotteig 16 bis 20 Stunden Ruhezeit bei zwei bis zwölf Grad gönnt, sagt Kasprowicz. Dieses Verfahren komme nicht nur Geschmack, Konsistenz und Frische zugute, sondern auch der Bekömmlichkeit: Gluten und schwer verdauliche Zucker werden so durch Enzyme natürlich abgebaut.

In der Bäckerei werden vor allem regionale Zutaten verwendet: 15 bis 20 Prozent des Mehls liefert "Unser Land", der Rest kommt aus Mühlen in Oberbayern und Landshut. Auch wenn viele Bioprodukte eingesetzt werden, verzichtet man inzwischen auf eine aufwendige Öko-Zertifizierung. Beim Neubau war Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium, er ist als KfW-Effizienzhaus 55 mit Photovoltaikanlage konzipiert. Zum Heizen wird die Abwärme des Betriebs genutzt, zudem beziehe er Gas von "Lichtblick" mit CO₂-Ausgleich, sagt Kasprowicz: Für Öko-Strom und -Gas fielen jährlich 35 000 Euro Mehrkosten an.

Beim Rundgang spricht der Juniorchef immer wieder kurz mit Kollegen und legt auch selbst Hand an. Er beschränke sich nicht auf die Betriebsleitung: "Ich darf schon noch zwei komplette Nachtschichten pro Woche mitbacken." In den vergangenen vier Jahren ist er zweimal Vater geworden und habe dennoch im Schnitt 70 Wochenstunden im Betrieb verbracht. "Es läuft immer noch viel über mich", sagt der 31-Jährige, mittelfristig aber wolle er die Arbeitsbelastung reduzieren, "auch wenn ich hier viel Herzblut investiert habe". Es gelte "einen Mittelweg zu finden, weil Abstand auch nötig ist, um neue Ideen zu entwickeln".

Mit diesem Rezept gelingen Vanillekipferl auch daheim. (Foto: Georgine Treybal)

Er hatte zunächst nicht vor, das Handwerk des Vaters zu erlernen. Doch dann schloss er Gesellen- und Meisterprüfung als jeweils Jahrgangsbester ab, was ihm 2010 den Staatsehrenpreis einbrachte. Zudem hat er die Ausbildung zum Betriebswirt des Handwerks absolviert. 2012 waren acht gelernte Bäcker bei Kasprowicz beschäftigt; jetzt sind es 28, darunter vier mit Meisterbrief und zwei Frauen. Dafür stehen fünf Konditorinnen drei männlichen Kollegen gegenüber. In Kerschlach seien die Räume überlastet gewesen, "hier sind wir noch leicht unterlastet", sagt Julian Kasprowicz: Im Moment beschäftige man drei, vier Bäcker zuviel. Er sei stolz drauf, seine Fachkräfte langfristig im Betrieb halten zu können: "Da verlange ich lieber fünf Cent mehr für die Semmel, um meine Bäcker ordentlich zu bezahlen."

Er strebe ohnehin noch Wachstum an, mit 20 bis 22 Läden sei allerdings die Kapazitätsgrenze der Bäckerei erreicht. Die Geschäfte verteilen sich zwischen Weilheim, Landsberg und Starnberg. Demnächst will Kasprowicz auch im Zentrum der Kreisstadt vertreten sein: Die Filiale gegenüber vom Starnberger Kino soll noch heuer öffnen. Die bisher jüngste nahm am 22. Oktober an der Hauptkreuzung in Utting den Betrieb auf, so konnten dort im Café noch ein paar Tage lang Gäste sitzen. An vier der bisher 18 Verkaufsstellen sind Bewirtungsbetriebe angeschlossen. "Mit dem Umsatzrückgang wegen der Pandemie können wir leben, aber sie verursacht auch viele zusätzliche Kosten", sagt der Juniorchef.

Auszeichnung für Andechser Bäckerei
:Benedikter kriegt's gebacken

Um zwei Uhr nachts fängt der Chef mit Semmeln an, danach folgen Brot und im Advent natürlich Plätzchen und Stollen. Für ihre Handwerkskunst erhält die Andechser Bäckerei den Staatsehrenpreis.

Von Astrid Becker

Das Coronavirus ist auch die Ursache dafür, dass der im Haus bereits fertig eingerichtete Laden samt Holzterrasse und Spielplatz noch keine Besucher empfangen darf. Hier soll von Frühjahr an täglich eine Brotschau mit Direktverkostung neuer Sorten stattfinden. Gastronomie mit warmer Küche ist im Gewerbegebiet nicht gestattet - so will man zu den speziellen Backwaren Getränke, Kaffee aus eigener Röstung und Aufstriche vom Pähler Metzger anbieten. Vom mit viel dunkler Eiche edel ausgestatteten Lokal führt ein gläserner Gang zur Aussichtskuppel über der Backhalle.

Er wolle nicht nur am Tag der Offenen Tür eine Schau abziehen, sondern die Handwerkskunst jederzeit unter Beweis stellen, sagt Julian Kasprowicz. Er sehe die Bäckerei gerade auch wegen der traditionellen Arbeitsweise noch immer als mittelständisches Unternehmen. Zählt man die Verkaufsstellen, liegt sein Betrieb sogar genau im logarithmischen Mittel: Der regionale Marktführer hat etwa 200 Läden, der alteingesessene Pähler Familienbetrieb Scholz zwei.

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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