Mindestens einmal in seinem fast einhundertjährigen Leben war das Planegger Bräustüberl in echter Gefahr, seine Originalität zu verlieren. Als Anfang der Neunzigerjahre die Brauerei Hacker-Pschorr von Paulaner übernommen wurde, wollte sich der neue Besitzer nicht lumpen lassen und überlegte, die alteingesessene Wirtschaft mitten in Planegg gehörig aufzupeppen: Komplett umgebaut sollte sie werden mit Kosten in Millionenhöhe, ein modernes Gasthaus war geplant, ein zweites Stockwerk mit Wirtsraum sollte kommen. Der eine oder andere spekulierte sogar mit einem Neubau - das originelle Haus aus dem Jahre 1924 steht nämlich unbegreiflicherweise nicht unter Denkmalschutz. Doch die Gemeinde stoppte die hochfliegenden Pläne, sie wollte die bayerische Bauernwirtschaft stehen lassen, so wie sie war, von kleineren Änderungen abgesehen. Außerdem hätte man niemals die Stellplatzfrage für Autos lösen können - Platz für eine Tiefgarage gibt es nicht. Und so kommt es, dass sich nicht nur die Planegger bis heute an einer der ältesten und schönsten bayerischen Wirtschaften im Würmtal samt ihrem direkt an der Würm und am Planegger Wellenbad gelegenen Biergarten erfreuen können.
Wie so viele alte Wirtshäuser hat auch das Bräustüberl durchaus eine wechselhafte Geschichte. 1923 bis 1924 wurde die Wirtschaft vom Baron Carl von Hirsch gebaut. Sie gehörte zur gegenüberliegenden alten Schlossbrauerei, in der heute zum Ärger der Planegger Gemeinderäte das Magazin der Bayerischen Staatsbibliothek vor sich hin dämmert - lieber würde man in Planegg das imposante Gebäude etwa für den Wohnungsbau nutzen. Nur vier Jahre nach Eröffnung ging die zunächst brauereifreie Gaststätte an die Münchner Pschorr-Brauerei. Einer der Gründe war, dass man den damals in Planegg gebrauten Hubertus-Bock anbieten wollte, der auch heute noch zu bestimmten Zeiten im Planegger Heide Volm auf der Karte steht. Bis 2012 gehörte das Bräustüberl den Heide-Wirten.
Über die Zeit des Nationalsozialismus ist wenig vom Bräustüberl überliefert, es war mal offen, mal geschlossen. Nach einem kurzen Intermezzo mit den Gastwirten Anni und Hans Schillinger übernahm 1970 Josef Kuenzer die Wirtschaft, er hielt sie länger als 21 Jahre und war damit neben dem heutigen Wirt Karl-Heinz Sporer der ausdauerndste Pächter.
Vor allem Sporer hat der Wirtschaft letztlich ihr heutiges Aussehen gegeben und dafür gesorgt, dass das Bräustüberl das blieb, was es immer sein sollte: eine echte bayerische Wirtschaft ohne modernistischen Schnickschnack, ohne Imitationen aus Plastik oder Kitsch aus Schmiedeeisen, dafür aber mit solider, in dunkelbrauner Farbe daherkommender Möblierung. Nachdem der Plan eines kompletten Umbaus zugunsten einer letztlich dezenten Renovierung aufgegeben worden war, blieb das Bräustüberl eine urige Würmtaler Wirtschaft und gerade so, wie sie sich heute nach kleineren Änderungen immer noch zeigt.
Als sich Kuenzer 1991 zurückzog, begann die Suche nach einem neuen Wirt. "Ich hatte so ein Gefühl von Erneuerung in mir", sagt Karl-Heinz Sporer heute. Damals war er der Wirt vom wenige hundert Meter entfernten "Schabernack" in Krailling, einer beliebten alternativen Kneipe, bei der Jugend vor allem wegen den Rock- und Pop-Veranstaltungen ein Hit. "Ich bin oft hier vorbeigefahren", erinnert sich Sporer, "und das Bräustüberl hat mir schon immer gut gefallen: tolle Atmosphäre, der richtige Wirtshaus-Charakter, die schöne Vertäfelung." Und dann ging alles ganz schnell, und der gelernte Hotelkaufmann aus Weßling bekam den Zuschlag: "Mir war klar: Was für ein Juwel!" Seinem neuen Gasthaus wollte er ein neues, ganz anderes Image verpassen, weg von der Kneipe, hin zum Lokal mit Anspruch und anspruchsvoller Küche. Dass das gelungen ist, belegt eine "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung von 1993, dem zweiten Jahr, in dem Sporer die Wirtschaft führte. "Vernünftig, schön und gutbürgerlich bis dort hinaus" gehe es da zu, befand Kritiker Adrian Seidelbast. Über das Speiseangebot gebe es überhaupt nichts zu meckern: "Und, wie ist er jetzt, der Schweinsbraten? Nicht mehr ganz so groß wie früher, aber entschieden besser, aufgeteilt in zwei Stücke, zuzüglich einer röschen Bonus-Schwarte, angerichtet in eigener Sauce und streng nostalgisch mit zweierlei Knödeln sowie mit Blaukraut garniert."
Dem ist wenig hinzuzufügen. Die Qualität ist, glaubt man den vielen Gästen, bestehen geblieben, die Preise seien angemessen. "Vom ersten Tag an waren wir voll", erinnert sich Sporer, jetzt nach fast 27 Jahren: "Damit hatten wir nicht gerechnet, es gibt bis heute viele Tage, da werden wir geradezu überrannt." Das Publikum: Junge, Alte, Familien und Originale. Mittags während der Woche ist der Biergarten bei schönem Wetter ein beliebter Ort, wo Angestellte der Betriebe ringsherum das Tagesgericht wählen. Das kann ein Schweinsbraten, das können auch Tagliatelle sein. "Die Ansprüche sind durchaus gestiegen", sagt der Wirt. Er trägt dem Rechnung, indem er auch mal etwas "Exotisches" bietet.
Für Karl-Heinz Sporer ist das gediegene, aber nicht übertriebene Ambiente wichtig: "Der Gast soll sich wohl fühlen." Mit einem gewissen Schaudern erinnert er sich an "verrauchte" Zeiten, als man im Bräustüberl, genauso wie in den meisten anderen Wirtschaften auch, vor lauter Zigarettenrauch die Bedienungen kaum erkennen konnte: "Das Rauchverbot war wegweisend. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich hab immer gesagt: Wenn die Gastronomie davon lebt, dass man rauchen darf, ist das armselig."
2012 verkaufte Wiesn-Wirt Georg Heide die Wirtschaft an die Condit AG. Das war ein Einschnitt. "Damals", sagt Pächter Sporer, "stand es wieder Spitz auf Knopf, das Gebäude komplett umzubauen." Letztendlich wurde die Küche vollständig erneuert und ein 42 Quadratmeter großer zusätzlicher Raum angebaut. Einige Male diskutierte der Planegger Gemeinderat darüber, ob man den Biergarten nicht über einen Steg mit dem direkt daneben liegenden Wellenbad verbinden und damit aufwerten könnte - ein faszinierender Gedanke, der in der Planegger Ortsmitte ein neues belebtes und grünes Zentrum geschaffen hätte - jedenfalls im Sommer.
Doch der Antrag der Freien Wähler wurde abgelehnt, weil man, wie es zum Beispiel aus der SPD-Fraktion hieß, "kein Spaßbad" mit Wirtshaus-Anschluss wollte. Das Bräustüberl hat auch das überstanden, es wurde sogar über die Grenzen des Würmtals hinaus berühmt durch die verwickelten und blutigen Vorgänge in den Würmtal-Krimis des 2017 gestorbenen früheren Planegger Kulturreferenten Walther Hohenester, der seinen Kommissar Peter Hofbauer so manches Mal im Bräustüberl beim Mittagessen versacken lässt.
Natürlich hat die Corona-Zeit auch dem Bräustüberl gehörig zugesetzt, sechs Wochen war komplett geschlossen. Man hielt sich über Wasser durch den Außer-Haus-Verkauf von Speisen: Der Kunde ruft an und bekommt sein Essen an der Wirtshaus-Tür geliefert - natürlich mit Mundschutz. "Corona", sagt Sporer, "ist viel schlimmer als die Zeit der Finanzkrise 2008, "wo wir auch eine gehörige Flaute hatten".
Jetzt wollen Sporer und seine Mitarbeiter aber nach vorne schauen - in zwei Jahren feiert man den 100. Geburtstag der Wirtschaft. Wie genau, weiß Sporer noch nicht. "Doch ein Fest wird es geben."