Urteil:Ein Rückschlag für den Mieterschutz

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Aus alt mach neu: Der Stadtrat hatte 2019 beschlossen, dass ein Immobilieneigentümer, der ein Mietshaus abreißt, dafür wieder ein solches errichten müsse. (Foto: Robert Haas)

Der VGH kippt die Regelung, dass nach Abriss eines Mietshauses dort keine teuren Eigentumswohnungen entstehen dürfen. Die Begründung: Die Stadt überschreite ihre gesetzlichen Kompetenzen.

Von Anna Hoben und Bernd Kastner, München

Das Bemühen der Stadt, den Anstieg der Mieten in München zu bremsen, hat einen Rückschlag erlitten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat jetzt Regelungen für unrechtmäßig erklärt, die seit gut einem Jahr galten; es geht dabei um Aspekte der verbotenen "Zweckentfremdung" von Wohnraum. Der Stadtrat hatte 2019 beschlossen, dass ein Immobilieneigentümer, der ein Mietshaus abreißt, dafür wieder ein solches errichten müsse; dass also Eigentumswohnungen als Ersatz tabu sind. Zudem sollte nach den städtischen Vorgaben der Preis dieser neuen Mietwohnungen nicht über dem Niveau des Mietspiegels liegen. Diese Regeln sind unwirksam, sagen jetzt Bayerns oberste Verwaltungsrichter.

Die Begründung in dem 20-seitigen Beschluss lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Stadt habe gar nicht die gesetzliche Kompetenz, solche Vorgaben zu erlassen. Das dürften nur Bund und Land. Damit hat sich der Haus- und Grundbesitzerverein durchgesetzt, er hatte im vergangenen Jahr eine Normenkontrollklage eingereicht. Allein die subjektive Vorstellung der Entscheidungsträger der Stadt, die Marktsituation würde solche Regelungen erforderlich machen, erlaube es nicht, das Recht "einseitig in eine bestimmte Richtung zu verschieben" und die Vorgaben des Zweckentfremdungsrechts durch eigene Vorstellungen "aufzuladen", heißt es in dem Beschluss.

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Der Stadtrat hatte die verschärfte Zweckentfremdungssatzung noch zu Zeiten des schwarz-roten Bündnisses beschlossen; den Anstoß dafür hatten die Grünen mit einem Antrag gegeben. Zuständig für die Zweckentfremdungssatzung ist das Sozialreferat. Bekannt ist die Satzung vor allem, weil sie verbietet, Wohnungen ohne Grund leer stehen zu lassen, sie ohne Genehmigung in Büros oder Gewerberäume zu verwandeln oder über einen langen Zeitraum als Ferienwohnungen zu vermieten. Diese Teile gelten schon lange und sind weitgehend unstrittig.

Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) begründete 2019 ihre Vorlage für eine verschärfte Zweckentfremdung mit den vielen Mietwohnungen, die Jahr für Jahr verschwänden. Etwa 1000 Wohnungen gingen jährlich durch Abriss verloren. Die neuen Häuser böten zwar mehr Wohnraum, der aber sei meist deutlich teurer oder eine Eigentumswohnung. Deshalb wollte die Stadt die Eigentümer in die Pflicht nehmen und enge Vorgaben machen. Nun aber gilt wie bereits vor 2020: Wenn ein Eigentümer sein bisheriges Mietshaus abreißt, darf er, wie früher auch, eine Eigentumsanlage errichten. Baut er Mietwohnungen, darf der Preis das Niveau des Mietspiegels überschreiten, für Neubauten gilt nicht die Mietpreisbremse.

Rudolf Stürzer, Vorsitzender von Haus und Grund, hatte enorme finanzielle Einbußen für Hauseigentümer vorhergesagt: Gemäß der Satzung hätten Eigentümer ihre neuen Mietwohnungen um rund 40 Prozent unter dem Marktwert vermieten müssen. Zudem kritisierte er eine "absurde Folge" der verschärften Regelungen: Wenn in einem abgerissenen Haus eine Wohnung über Mietspiegelniveau liegt, müsste am selben Ort die neugebaute Wohnung sogar billiger sein. Entsprechend erfreut reagierte er nun auf die Entscheidung, die er so kommentiert: "Das ist eine Ohrfeige für die Stadt und die Staatsregierung." Der Beschluss sei nicht nur juristisch, sondern auch politisch brisant.

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Für die Staatsregierung deshalb, weil auch sie in der Entscheidung des VGH deutlich gerüffelt wird. Zwar ist das bayerische Bauministerium derselben juristischen Meinung wie der VGH und bewertete in einer Stellungnahme ans Gericht die städtische Regelung ebenfalls als rechtswidrig. Das Ministerium unternahm aber offenbar nichts dagegen. Darüber wundern sich die Richter, wie sie in ihrem Beschluss schreiben: "Es kann deshalb nur befremden", dass das Ministerium "selbst nicht die Kraft findet, das gesetzwidrige Handeln der Landeshauptstadt rechtsaufsichtlich zu beanstanden", weshalb Haus und Grund vor Gericht habe ziehen müssen.

Gekippt haben die Richter auch eine Regelung, die Haus und Grund gar nicht angegriffen hatte. Die Stadt wollte vorschreiben, dass die Ersatzwohnungen für ein abgerissenes Haus in der Regel im selben Stadtbezirk entstehen müssen. Auch für den Erlass einer solchen "Näheklausel" habe die Stadt nicht die Kompetenz, urteilten die Richter. Entscheidend sei also allein eine ausgeglichene Wohnungsbilanz - nicht im Viertel, sondern in der Gesamtstadt. Obendrein fragen die Richter nach der Notwendigkeit der "Näheklausel", schließlich entstünden 97 Prozent aller neuen Wohnungen ohnehin auf dem Grundstück, auf dem das abgebrochene Haus stand.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte am Montag, er habe seine Verwaltung gebeten, eine Nichtzulassungsbeschwerde zu prüfen. Dieses Mittel kann zum Einsatz kommen, wenn eine Revision vom Gericht nicht zugelassen wurde - wie es in dieser Sache der Fall war. "Ich möchte eine höchstrichterliche Klärung der Zweckentfremdungssatzung im Sinne der Mieterinnen und Mieter erzwingen", sagte Reiter. Besser wäre es allerdings, wenn der Gesetzgeber "endlich" seine Forderung nach einem schärferen Zweckentfremdungsrecht umsetzen würde. In einer Stadt wie München sei es "unerträglich, dass erschwingliche Mietwohnungen für immer verloren gehen und durch teure Eigentumswohnungen ersetzt werden können", so Reiter.

© SZ vom 26.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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