SZ-Serie: Die Stadt im Klimawandel:Viele Schritte bis zur Energiewende

Lesezeit: 5 min

Rund 70 Anlagen, die, wie das Windrad in Fröttmaning, regenerative Energien nutzen, betreiben die Stadtwerke in und um München zur Erzeugung von Strom, Wärme und Kälte. (Foto: Nick Frank/SWM)

Um klimaneutral zu werden, muss die Stadt vor allem die Photovoltaik vorantreiben und die Geothermie ausbauen. Ob das Ziel tatsächlich bis 2035 erreicht werden kann, bezweifeln Experten. Aber darauf kommt es gar nicht an.

Von Catherine Hoffmann

München hat sich vorgenommen, bis 2035 klimaneutral zu werden. "Das Ziel ist einerseits notwendig, andererseits aber werden wir es vermutlich nicht ganz erreichen", sagt Christof Timpe, der am Freiburger Öko-Institut den Bereich "Energie & Klimaschutz" leitet. Timpe kennt sich so gut wie nur wenige mit dem Energieverbrauch der Stadt und ihren Treibhausgas-Emissionen aus. Er ist der Meinung, dass es nicht so entscheidend ist, in welchem Jahr München klimaneutral wird, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, zügig wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

"Wichtig ist, dass die Emissionen schnell runterkommen, nicht wann wir auf null sind", sagt Timpe. Die bisher ergriffenen Aktivitäten reichen aller Voraussicht nach nicht aus, das hat viel mit langlebiger Infrastruktur zu tun, bestehenden Verkehrsnetzen und Gebäuden, die nicht im Hauruckverfahren modernisiert werden können. Zudem steht die Klimaneutralität im Widerspruch zu dem Wunsch nach einer lückenlosen Versorgung mit Strom und Wärme. Aber der Reihe nach: Wo steht die Stadt, was bleibt zu tun, und warum ist das mitunter ganz schön schwierig?

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Der Stadtrat hat bereits 2008 die Kehrtwende in der Energiepolitik beschlossen. Ab 2025 sollen die Stadtwerke München (SWM) so viel Ökostrom in eigenen Anlagen produzieren, wie ganz München verbraucht. "Bei diesem Ziel sind wir auf einem sehr guten Weg", sagt der Vorsitzende der SWM-Geschäftsführung, Florian Bieberbach, der sich als Informatiker und Betriebswirt mit großen Zahlen auskennt. "Wir kommen in diesem Jahr noch auf einen Anteil erneuerbarer Energien, der 80 Prozent des Stromverbrauchs entspricht. Das 100-Prozent-Ziel für 2025 ist noch nicht gesichert, wir sind aber optimistisch, dass wir es erreichen." Schon heute reicht der Ökostrom für die Münchner Privathaushalte sowie Tram und U-Bahn.

Beim Ausbau der Ökostromerzeugung haben Projekte im Großraum München Vorrang. Derzeit betreiben die SWM in und um München rund 70 Anlagen zur Erzeugung von Strom, Wärme und Kälte, die regenerative Energien nutzen. Weitere regionale Projekte sind in Planung. Allerdings liefern Wind und Sonne im dicht besiedelten München nicht genügend Ökostrom. Darum produzieren die Stadtwerke grüne Energie auch fernab von München, zum Beispiel im spanischen Andalusien. Aber heißt das nun, dass spätestens in vier Jahren wirklich 100 Prozent Ökostrom aus jeder Steckdose kommt? Die Antwort lautet Nein.

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Wenn Ende 2022 die deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet werden und der Ausstieg aus der Kohle beschleunigt wird, wird es eng für die Stromversorgung, auch in München. "Wir brauchen ergänzend zu den erneuerbaren Energien auf jeden Fall noch eine ganze Weile Gaskraftwerke, weil Sonne und Wind nicht so zuverlässig Strom liefern, wie es nötig wäre, um jederzeit den Bedarf zu decken", erklärt SWM-Chef Bieberbach. "Also wird man 2025 noch Erdgas benötigen."

Der Strombedarf wird noch erheblich steigen

Der Strombedarf wird in Zukunft weiter steigen, angetrieben von der E-Mobilität und dem Einsatz von Strom zur Wärmeerzeugung. Ein neues Elektroauto verbraucht in etwa so viel Strom wie ein zusätzlicher Haushalt: 2500 Kilowattstunden im Jahr. Zudem kommen immer öfter Wärmepumpen zum Einsatz, die ebenfalls Strom fressen. Die SWM erwarten deshalb, dass der Strombedarf bis 2035 von 7,5 auf 8,4 Terawattstunden zunimmt. Auch dieser Bedarf soll mit regenerativen Energiequellen gedeckt werden.

In der Stadt liegt der Fokus auf dem Ausbau der Photovoltaik-Anlagen fürs Dach. Hier geht es allerdings nur langsam voran. "Es ist sehr schwierig, Hauseigentümer davon zu überzeugen, eine Photovoltaikanlage aufs Dach zu setzen. Da ist viel Überzeugungsarbeit nötig", sagt Hans Lerchl, Leiter der SWM Energiewirtschaft. Bei Eigentümergemeinschaften brauche es die Zustimmung von jedem Einzelnen. Oftmals seien die Hausbesitzer schon älter und hätten keine große Lust, eine solche Investition zu stemmen. Sie überließen diese Entscheidung gern den Erben. Und so bleibt den Stadtwerken nichts anderes übrig, als erst einmal die eigenen Gebäude mit Solarpanelen zu bestücken.

Die grün-rote Rathauskoalition will mehr Solaranlagen in München fördern, auf Dächern, aber auch auf Balkonen und Terrassen. (Foto: Nick Frank/SWM)

Oft wird behauptet, dass diese Maßnahmen in Konkurrenz zur Begrünung von Dächern stünden. Martin Glöckner, Geschäftsführer von Green City, lässt diesen Einwand nicht gelten. "München hat viele Schrägdächer, die lassen sich gar nicht begrünen", sagt der Experte. "Und auf Flachdächern würden wir zumindest eine extensive Begrünung empfehlen. Die kann man häufig mit einer Solaranlage kombinieren. Denn diese Anlagen produzieren Abwärme. Es ist also gut, wenn man mit Grün für Kühlung sorgt. Gleichzeitig dämmt das Grün und speichert Regenwasser."

Wärme und Kälte aus der Tiefe der Erde

"Wärme ist mit Abstand unsere härteste Nuss", sagt SWM-Chef Bieberbach. Hier klimaneutral zu werden, sei ungleich schwieriger als beim Strom. Das liegt auch daran, dass sie so viel Energie verschlingt. Mehr als 50 Prozent der gesamten Energie, die in Deutschland verbraucht wird, fließt in die Wärmeversorgung. In Privathaushalten machen Heizung und Warmwasser sogar rund 90 Prozent des gesamten Verbrauchs aus. Auch der Kältebedarf steigt kontinuierlich; Geschäfte, Restaurants, Büros und Privaträume werden immer öfter klimatisiert. Ob die Energiewende glückt oder nicht, hängt also entscheidend davon ab, einerseits Gebäude zu dämmen oder energieeffizient zu bauen und andererseits Wärme klimaschonend zu erzeugen.

Erklärtes SWM-Ziel ist es deshalb, die Fernwärme bis spätestens 2040 klimaneutral zu machen. Das beißt sich allerdings mit dem Plan der Stadt, bereits 2035 klimaneutral zu sein. Gelingen soll das vor allem mit Hilfe der Geothermie, also heißem Thermalwasser aus tieferen Erdschichten, dessen Energie genutzt wird. Rund 13 Prozent der Münchner Fernwärme stammten derzeit aus regenerativ erzeugter Wärme, und damit aus Geothermie, Biogas, Biomüll und Klärschlamm. Der Rest kommt vorwiegend aus der Kraft-Wärme-Koppelung.

Das Heizwerk im neuen Münchner Stadtteil Freiham mit seinem weithin sichtbaren Turm: Seit Herbst 2016 deckt Geothermie dort die Grundlast des Wärmebedarfs. (Foto: Markus Schlaf / Stadtwerke München)

Dabei handelt es sich um Abwärme aus der Stromerzeugung, die ins Fernwärmenetz eingespeist wird; sie beruht auf fossilen Brennstoffen und der Müllverbrennung. Insgesamt deckt die Fernwärme ungefähr 30 Prozent des gesamten Wärmebedarfs der Stadt. Überall dort, wo die Fernwärme nicht hinkommt, sind heute vor allem Gas- und Ölheizungen im Einsatz, wobei ganz überwiegend mit Gas geheizt wird. Zu einem geringeren Teil spielen auch Wärmepumpen eine Rolle, mit denen zum Beispiel die thermische Energie des Grundwassers oder der Außenluft genutzt wird.

Hier bleibt also noch viel zu tun. Die Stadtwerke verweisen darauf, dass eine neue Geothermie-Anlage in der Schäftlarnstraße kurz vor der Fertigstellung sei; der Bau der nächsten - beim Michaelibad - werde gerade vorbereitet; und eine weitere sei gemeinsam mit Pullach in Planung. "Das ist ein mühsames Geschäft", sagt SWM-Manager Biberbach. "Selbst sehr große Anlagen erreichen nur etwas mehr als zehn Prozent der Leistung eines größeren Kraftwerks." Glöckner von Green City geht der Ausbau zu langsam voran. Statt eine Bohrung nach der anderen vorzunehmen, sollten genügend Geld und geeignete Bohrplätze vorhanden sein, um gleichzeitig an mehreren Orten neue Anlagen zu bauen. Damit ist es aber noch nicht getan: Parallel dazu muss auch das 900 Kilometer lange Fernwärmenetz für die Ökowärme fit gemacht werden.

Für die Geothermie muss auch das 900 Kilometer lange Fernwärmenetz fit gemacht werden. (Foto: SWM)

Selbst, wenn das Potential zügig ausgeschöpft wird, bleibt ein Problem: "Geothermie kann nur ungefähr die Hälfte des Wärmebedarfs decken, wo die andere Hälfte herkommt, ist noch nicht so ganz klar", sagt Umweltschützer Glöckner. "München braucht also wohl bis auf weiteres Erdgas, bis das Methan irgendwann von Wasserstoff abgelöst wird." Das sollte im Sinne der Klimaneutralität eigentlich bis 2035 gelingen. Nur hat die Stadt darauf keinen Einfluss. Wann das Wasserstoffnetz, für das im Wesentlichen der Bund verantwortlich ist, München erreicht, ist bislang ungewiss. Das kann sich bis in die 2040er-Jahre hinziehen.

Bis zur Klimaneutralität ist es also noch ein weiter Weg. Mit 2035 hat sich München ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. "Damit die Energiewende gelingt, reichen technisch-wirtschaftliche Lösungen allein nicht aus", sagt Timpe vom Öko-Institut. "Der OB muss die Herzen der Menschen erreichen, wenn München ein leuchtendes Vorbild für andere Städte sein will."

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