Antisemitismus:Stolpersteine geschändet? Staatsschutz ermittelt

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Im Jahr 2009 verlegte der Künstler Gunter Demnig die ersten Stolpersteine in der Einfahrt zum Anwesen Kyreinstraße 3. Aktuell ermittelt der Staatsschutz wegen einer mutmaßlichen Schändung des Gedenkorts. (Foto: Robert Haas)

Gedenkplaketten für jüdische NS-Opfer in einem Hof an der Sendlinger Kyreinstraße wurden mit Fäkalien beschmutzt. Ein Anwohner alarmiert die Münchner Polizei.

Von Martin Bernstein

Zwölf "Stolpersteine" im Hof des Anwesens Kyreinstraße 3 im Münchner Stadtteil Sendling erinnern an die Schicksale ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner des von den Nazis so genannten "Judenhauses". In der Nacht zum 21. Juli ist der Gedenkort möglicherweise gezielt geschändet worden. Ein Anwohner entdeckte Exkremente auf den beschrifteten Messingsteinen und informierte die Polizei. Der Staatsschutz ermittelt wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Bis zu zwei Jahre Haft sieht das Strafgesetzbuch dafür vor.

Allerdings dürften sich die Ermittlungen schwierig gestalten. Die Steine waren bereits gereinigt, als die Polizei kam. Der Anwohner hatte zuvor aber Fotos gemacht. Ob es sich um menschliche oder tierische Fäkalien handelt, sei unklar, sagte eine Polizeisprecherin. Die Stolpersteine sind hinter einem Metallzaun verlegt, der den Hof von der Straße trennt. Auf öffentlichem Grund dürfen in München keine Stolpersteine verlegt werden, stattdessen bringt die Stadt Gedenkplaketten an oder errichtet Stelen, um ein Gedenken "auf Augenhöhe" zu ermöglichen.

Die Stolpersteine in der Kyreinstraße 3 für Betty, Esther, Hanna und Simon Berger, Julia Früh, Wilhelm Mamma, Natalie und David Mayer, Irma, Richard und Wolfgang Reiss sowie für Eugenie Isaac hatte der Künstler Gunter Demnig in den Jahren 2009 und 2011 auf Initiative der Hausgemeinschaft und anderer engagierter Münchnerinnen und Münchner verlegt. Kritiker dieser Gedenkform hatten immer wieder die Befürchtung geäußert, die in den Boden eingelassenen Steine könnten mit Füßen getreten und gezielt beschmutzt werden.

Immer wieder werden Münchner Gedenkorte für die Opfer der Schoa beschädigt, beschmiert oder verschmutzt. In der Tengstraße wurde im April 2022 in das Erinnerungszeichen für die in Theresienstadt ermordete Mina Bergmann ein Hakenkreuz geritzt, das Todesmarsch-Mahnmal an der Blutenburg wurde im Juli vor einem Jahr geschändet. Im November 2019 wurde in der Schwabinger Clemensstraße eine Stele, die an den von den Nationalsozialisten ermordeten Historiker Michael Strich erinnert, mit Farbe beschmiert. Die Skulptur "Gebeugter, leerer Stuhl" - ein Mahnmal zur Erinnerung an die in der NS-Zeit deportierten und ermordeten jüdischen Obermenzinger - wurde im April 2019 mit SS-Runen besprüht.

Im 1910 erbauten Haus an der Kyreinstraße mussten von 1940 an ausschließlich jüdische Münchnerinnen und Münchner wohnen, die zuvor aus ihren angestammten Wohnungen vertrieben worden waren. Die NS-Stadtverwaltung pferchte sie gezielt in "Judenhäusern" zusammen - Durchgangsstationen auf dem Weg in die physische Vernichtung. Allein aus dem Haus Kyreinstraße 3 sind die Namen von zwanzig ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern bekannt, die der Schoa zum Opfer fielen.

Die zwölf auf den Stolpersteinen in der Kyreinstraße namentlich genannten Menschen wurden in Kaunas, in Treblinka und in Theresienstadt umgebracht. Wolfgang Reiss, der jüngste von ihnen, war acht, Hanna Berger zehn Jahre alt, ihre Schwester zwölf, als sie ermordet wurden.

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