Fakes in sozialen Medien:Wie prorussische Propaganda Münchner Hauswände als Bühne missbraucht

Lesezeit: 2 min

Die angeblichen anti-ukrainischen Graffiti auf dieser Hauswand in Giesing hat es nie gegeben. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Im Internet kursieren Fotos von Fassaden mit angeblichen anti-ukrainischen Graffiti. Doch diese hat es nie gegeben, die Bilder sind manipuliert. Ein Faktencheck.

Ein Phänomen in der Welt der Desinformation: Kahle Häuserwände in München müssen derzeit für prorussische Propaganda herhalten. In sozialen Medien tauchen immer wieder Fotos vermeintlicher Graffiti auf, die den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij in ein schlechtes Licht rücken. Doch die leeren Fassaden sind in Wirklichkeit gar nicht beschmiert worden. Eine Expertin erklärt, was hinter solchen Fälschungen steckt.

Die angeblichen Graffiti zeigen den ultrakonservativen US-Fernsehjournalisten Tucker Carlson, wie er die vermeintliche Gefühlslage in Deutschland zur Ukraine wiedergeben soll. Das Bild mit seinem schwarz-weißen Konterfei zeigt ihn mit gestrecktem Mittelfinger in Richtung US-Präsident Joe Biden. Eine Aufnahme der so bemalten Hauswand geistert Anfang Februar durch soziale Medien. Der Ort, an dem das Foto angeblich entstand: vor der ukrainischen Botschaft in Berlin. Allein: Alles daran ist gelogen.

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Das Mehrparteienhaus auf dem Foto steht nicht in der deutschen Hauptstadt, sondern in München. Und auch die vermeintlichen Graffiti gibt und gab es dort überhaupt nicht. Reporter der Deutschen Presse-Agentur (dpa), die sich an der entsprechenden Straßenecke in Giesing umsahen, stießen auf eine unbefleckte Wand. Durch Dreck in den Fugen wurde ein frischer Anstrich oder eine kürzliche Reinigung ausgeschlossen.

Für Pia Lamberty vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) ist die Verbreitung erfundener Graffiti keine Überraschung. "Fälschungen können eine simple Möglichkeit sein, um bestimmte Positionen zu verstärken", sagt die Co-Geschäftsführerin des Instituts, das sich unter anderem mit Desinformation und Verschwörungstheorien im Netz beschäftigt. Bereits in der Vergangenheit seien ähnliche Fake-Bilder viral gegangen.

Auch anti-ukrainische Streetart im Stil Banksys gefälscht

Schon Ende 2023 hatte eine andere Münchner Hauswand online eine rasante Karriere gemacht. An einem Mehrfamilienhaus in Berg am Laim soll im Stil des britischen Streetart-Künstlers Banksy das Bild eines Mannes in orangefarbener Latzhose zu sehen gewesen sein, der mit einem Hochdruckreiniger eine blau-gelbe Flagge der Ukraine entfernt. Doch auch hier stellte sich bei einer Visite vor Ort heraus: Das angebliche Bild hat es nie gegeben.

Eine Anwohnerin, Mitglied der Eigentümergemeinschaft, versicherte seinerzeit der dpa, dass es an der Stelle nie solche Graffiti gegeben habe. Es sei auch keines frisch überstrichen worden. "Ein wesentliches Ziel von Desinformation ist es, Unfrieden und Chaos zu stiften und für Destabilisierung zu sorgen", erklärt Lamberty die Intention solcher Beiträge. Bestimmte Positionen und Narrative sollen verbreitet und oft größer dargestellt werden, als sie es in Wirklichkeit sind.

Im Fall der erfundenen Tucker-Carlson-Graffiti wird über einen QR-Code für dessen viel kritisiertes Interview mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin geworben. Der Cemas-Expertin zufolge kursierten auch schon antisemitische Fake-Darstellungen von Davidsternen in Öfen. Nach Recherchen von T-Online gab es dabei einen Zusammenhang zu der sogenannten Doppelgänger-Kampagne - einem prorussischen Netzwerk von echt wirkenden, aber gefälschten Nachrichtenseiten. Verwendet wurden Bilder von Flächen im Stadtteil Hasenbergl.

Noch mehr Fakes an Münchner Fassaden

In sozialen Netzwerken kursieren noch weitere Fake-Graffiti aus der Stadt. Die dafür abfotografierten Wände liegen teilweise nur wenige Schritte voneinander entfernt. So wurde beispielsweise gerade einmal zwei Gehminuten von der Hauswand für den Carlson-Fake ein weiteres Wohnhaus in Giesing abgelichtet. Auf diese Fläche wurde dann eine Darstellung Selenskijs im Clownskostüm per Photoshop hineinmontiert. 80 Meter in eine andere Richtung wiederum wird eine leere Fassade genutzt für Fake-Graffiti, die angeblich einen von der Ukraine verursachten Leichenberg zeigen.

Für ein erfundenes Bild des ukrainischen Präsidenten als Ratte musste die Seitenwand einer Garage im Stadtteil Ramersdorf-Perlach herhalten. In allen Fällen ließen sich die vermeintlichen Bilder an Ort und Stelle nicht finden. Die Aufnahmen wurden also im Nachhinein manipuliert. Bei der Polizei München sind in den vergangenen Wochen keine Anzeigen wegen Graffiti oder Schmierereien in den entsprechenden Straßen eingegangen.

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