LMU-Projekt:Grundrechte per App

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Das Smartphone soll helfen, häufige Missverständnisse zwischen Polizei und Migranten auszuräumen. In acht Sprachen wird erklärt, was etwa ein Platzverweis ist und welche Rechte man als Beschuldigter hat.

Von Julian Hans, München

Eine App soll Münchner Polizistinnen und Polizisten künftig bei der Verständigung mit Migranten unterstützen und so helfen, Konflikte zu vermeiden, die aus Missverständnissen erwachsen. Das Programm wird derzeit am Institut für Deutsch als Fremdsprache der Ludwig-Maximilians-Universität in enger Abstimmung mit dem Polizeipräsidium München entwickelt. Ein Pilotversuch könnte noch in diesem Jahr starten, sagte der Koordinator des Projekts an der LMU, Patrick Zahn.

Die App solle von einer oder mehreren Pilotdienststellen erprobt werden, sagte Polizeisprecher Sven Müller am Dienstag. "Die App kann und soll nicht die Interaktion der eingesetzten Polizeikräfte mit den betroffenen Personen ersetzen." Vielmehr sollen die Beamten nach eigenem Ermessen entscheiden, ob der Einsatz in der jeweiligen Situation hilfreich und angebracht ist. Wenn sie sich bewährt, könnten mittelfristig alle Polizeibeamten in der Landeshauptstadt und später auch in ganz Bayern mit der App ausgestattet werden. Finanziert wird das Projekt vom Staatsministerium des Innern mit insgesamt 500 000 Euro verteilt über mehrere Jahre.

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Aufgrund von Erfahrungen aus der Praxis wurden vier Bereiche ausgewählt, bei denen Zuwanderer besonders häufig in Kontakt mit der Polizei kommen: Personenkontrollen, Fahrzeugkontrollen, häusliche Gewalt und ausländerrechtliche Verstöße. "Den Polizeibeamten soll ein Kommunikationshilfsmittel in Situationen zur Verfügung stehen, bei denen das polizeiliche Gegenüber die Maßnahmen offensichtlich nicht versteht", erläuterte Polizeisprecher Müller. In kurzen Animationen wird zum Beispiel erklärt, was ein Platzverweis ist oder dass ein Alkoholtest durchgeführt werden soll. Dazu kommen Belehrungen über die Rechte bei polizeilichen Maßnahmen: Niemand muss sich selbst belasten. Beschuldigte haben ein Zeugnisverweigerungsrecht und sie dürfen einen Anwalt verständigen. Für die Erklärungen können die Beamtinnen und Beamten zwischen acht Sprachen wählen. Vier weitere sollen dazukommen.

In die Entwicklung fließen die Erfahrungen ein, die am Institut für Deutsch als Fremdsprache seit 2015 im Umgang mit Geflüchteten gesammelt wurden. Jörg Roche, Professor für Deutsch als Fremdsprache hat bereits gemeinsam mit Helferkreisen einen Leitfaden zur sprachlichen und kulturellen Orientierung entwickelt, der unter dem Namen "Navi-D" auch auf das Smartphone geladen werden kann. In Bildern und kurzen Szenen erklärt er alltägliche Dinge wie die Nutzung eines Fahrkartenautomaten oder eine Hausordnung ("Kein Lärm nach 20 Uhr!").

Um sich in einem fremden Land und in einer fremden Kultur zurechtzufinden, genüge es nicht, Vokabeln und Grammatik zu lernen, erklärt der Sprachwissenschaftler Roche. "Solange die Begriffe nicht in einen kulturellen Kontext eingebettet werden, bleibt das totes Wissen." So könne man zum Beispiel die Wörter Mann und Frau leicht übersetzen. Trotzdem hätten die Geschlechter in unterschiedlichen Kulturen ganz unterschiedliche Rollen.

Helfer hatten den Wissenschaftlern immer wieder von Konflikten berichtet, die entstanden, weil Geflüchtete ein falsches Bild von der Polizei hatten. Aus der Erfahrung in ihren Heimatländern heraus verbinden sie Polizei mit Willkür und Gewalt. "Viele haben Angst, dass jeglicher Kontakt mit der Polizei sich negativ auf ihren Aufenthaltsstatus auswirken könnte", sagt Roche. Statt also bei einer Kontrolle zu kooperieren, wehren sich einige - und begehen damit tatsächlich eine Straftat.

In einer zweiten Stufe sollen Kontaktbeamte gemeinsam mit Kulturmoderatorinnen, die selbst Migrationsgeschichte haben, präventiv in Unterkünften über Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Deutschland aufklären. Ziel sei neben der Kommunikationshilfe im Einsatz auch die Vermittlung zivilgesellschaftlicher Spielregeln, sagt Roche. Dabei gehe es nicht um Leitkultur: "Wir sind der Überzeugung, dass die Zugewanderten ein Recht haben, zu wissen, was die Regeln sind". Ob sie sich auch den kulturellen Kontext zu eigen machen, bleibe ihnen überlassen.

© SZ vom 28.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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