Schon vor Beginn der Kundgebung gegen den Krieg in der Ukraine war der Königsplatz am Mittwochabend voller Menschen, da war er aber noch luftig gefüllt: Die Leute hielten Abstand. Doch mit jeder Minute, die verging, strömten mehr und mehr Demonstranten auf den Platz, rückten die Leute zwangsläufig mehr und mehr aneinander, bis sie irgendwann eng zusammenstanden, weil die Menge bereits über die Karlstraße hinweg in die Brienner Straße reichte und von dort bis zurück zum Karolinenplatz.
Eine Menschenmenge, die eng zusammensteht - das war das beabsichtigte Signal, das an diesem Abend ausgesandt werden sollte an den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Eine Menschenmenge, die eng zusammensteht - ist das in Zeiten von Corona auch ein gutes Zeichen in Richtung einheimische Bürger?
Es könnte zumindest eine Steilvorlage sein für diejenigen, die sich seit Wochen und Monaten unterdrückt und diskriminiert fühlen, weil sie nicht so demonstrieren dürfen wie sie wollen. Für diejenigen Gegner der Corona-Maßnahmen, die sich im Widerstand gegen den Staat wähnen und an der Legende von einer Diktatur hierzulande basteln - weil sie Vorgaben gemacht bekommen, die jeder anderen Interessensgruppe auch auferlegt werden im Rahmen der Infektionsschutzmaßnahmen. Wenn man diese Szene richtig einschätzt, dann wird bald lautstark die als Frage verkleidete Aufforderung kommen: Warum sollen wir uns an Vorgaben und Auflagen halten, wenn es die Kriegsgegner nicht tun?
Im Gegensatz zu den meisten Auftritten der Maßnahmen-Kritiker war bei allen bisherigen Kundgebungen in Sachen Ukraine der Wille und die Bereitschaft der Teilnehmenden deutlich zu sehen, sich bei ihren Protesten an die vorgegebenen Corona-Schutzmaßnahmen zu halten - wie Abstandhalten und Maskentragen. Auch an diesem Mittwochabend. Da gelang es zwar irgendwann beim besten Willen nicht mehr, die Distanz zu wahren. Aber die Polizei sah dennoch keinen Grund zum Einschreiten, weil "von allen ausnahmslos Masken getragen wurden", wie ein Sprecher am Donnerstag resümierte.
Überhaupt fällt das Fazit der Münchner Polizei bemerkenswert positiv aus, wenn es um die Anti-Kriegs-Demos geht: Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen seien durchweg sehr kooperativ, die Veranstaltungen komplett störungsfrei - "ein klarer Kontrast zu den vergangenen Wochen", wie der Polizeisprecher feststellte. Womit die Umzüge gegen die Corona-Maßnahmen gemeint sind.
Dort ist die Grundstimmung tendenziell aggressiv, wenn auch nicht mehr so sehr wie um die Jahreswende herum, als es zu Krawallen gekommen war. Aber auch hochfrequentes Trillern aus einer Pfeife, mit dem diese Demonstranten immer noch durch die Straßen ziehen, kann man als eine Form von Aggression verstehen, wenn damit unbescholtene Bürger traktiert werden.
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Um die unterschiedliche Atmosphäre bei den Demonstrationen mit Zahlen zu verdeutlichen: Anfang Januar bot die Münchner Polizei 1000 Beamte auf gegen rund 3000 auf Krawall gebürstete Demonstranten, die sich selbst als harmlose Spaziergänger bezeichneten und gegen die Corona-Maßnahmen ins Feld zogen. Unter anderem wegen körperlicher Auseinandersetzungen gab es danach mehr als 1000 Anzeigen. Am Mittwoch, als 45 000 Menschen bei der Friedensdemo auf dem Königsplatz zusammenkamen, waren 500 Beamte im Einsatz - und die waren in erster Linie damit beschäftigt, den Verkehr zu regeln.
Mittlerweile geht es auch bei den Demos, die sich gegen die Corona-Schutzmaßnahmen richten, ruhiger zu, die Polizei spricht davon, dass es eine deutliche geringere Mobilisierung gibt. Am Mittwoch waren auf der Ludwigstraße nur noch 700 Menschen, um eine Lichterkette zu bilden. Auch diese Versammlung sei störungsfrei verlaufen, hieß es. Offensichtlich spaltet sich die Szene der Maßnahmen-Gegner, die ursprünglich in der Bewegung "München steht auf" gebündelt war, gerade auf, in einen sich radikalisierenden Flügel und einen pragmatischen. Letztgenannter ist mittlerweile bemüht, sich an die Vorgaben zu halten.
Zu einer Demokratie gehört auch, dass man Entscheidungen akzeptiert, selbst wenn sie einem nicht gefallen. Als im vergangenen Herbst die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in München gastierte, machten auch Aktivisten mobil. Bei einer Fahrrad-Sternfahrt wollten die Demonstranten am liebsten auch über die Autobahn radeln. Das wurde vom Kreisverwaltungsreferat untersagt und von den angerufenen Gerichten bestätigt. Ebenso wie jetzt die Auflagen des Kreisverwaltungsreferats und auch die Rechtmäßigkeit einer Allgemeinverfügung in Sachen Corona-Demonstrationen.
Mit dem Auslaufen der allgemeinen Corona-Regelungen am 20. März wird sich einiges ändern. Dann dürfen sicher auch die Maßnahmen-Gegner wieder eng zusammenstehend oder -gehend demonstrieren. Es wäre gut, wenn sie dabei so friedlich blieben wie die 45 000 vom Mittwoch.