Kinderbetreuung:Erzieherinnen ärgern sich über wechselnde Corona-Regeln

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Der Freistaat Bayern hat kurzfristig den bisherigen Drei-Stufen-Plan ausgesetzt, der je nach Infektionslage unterschiedliche Einschränkungen erlaubte. Jetzt gilt in allen Kitas Regelbetrieb mit regulären Öffnungszeiten. In den Einrichtungen herrscht Unverständnis.

Von Daniela Bode und Jakob Wetzel

"Die Stimmung kippt gerade", sagt Martina Meyer. Sie leitet die Bundesfachgruppe für Kinder- und Jugendhilfe der Gewerkschaft Verdi, und sie ist noch dazu im Personalrat der städtischen Kitas in München. Das Personal dort gehöre zu den am stärksten durch das Coronavirus bedrohten Berufsgruppen, sagt sie: Je nach Einrichtung hätten die Erzieherinnen und Erzieher Kontakt mit vielleicht 100 oder mehr Haushalten. Und auch wenn sich die Stadt bemühe, ihre Belegschaft gut zu schützen: In den Kitas schwele der Ärger.

In der vergangenen Woche hat sich der Unmut in einigen Einrichtungen offenbar noch gesteigert. Denn der Freistaat Bayern hat kurzfristig den bisherigen Drei-Stufen-Plan ausgesetzt, der es den Gesundheitsämtern vor Ort erlaubte, je nach Infektionslage unterschiedliche Einschränkungen zu verhängen. Bis Ende November gilt nun in allen Kitas Regelbetrieb mit regulären Öffnungszeiten. So steht es in einem am 11. November verschickten Newsletter des Sozialministeriums. Allerdings müssen die Kinder weiterhin in festen Gruppen betreut werden, um mögliche Ausbrüche des Coronavirus eindämmen zu können; es ist also ein Regelbetrieb unter Vorbehalt. Neu dagegen ist: Um die regulären Öffnungszeiten aufrechterhalten zu können, darf Personal gruppenübergreifend arbeiten.

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Im selben Newsletter bestätigte der Freistaat auch die zuvor in München schon gültigen Attest-Regeln für Kinder mit leichten, sich nicht verschlimmernden Erkältungssymptomen: Sie dürfen in die Kita, ohne Attest oder negativen Corona-Test. Ernsthaft erkrankte Kinder dagegen, die etwa Fieber haben oder heftig husten, dürfen erst wieder kommen, wenn sie 24 Stunden keine schweren Symptome zeigten und zusätzlich ein ärztliches Attest oder einen negativen Corona-Test vorweisen können - diese Regel ist neu.

Anfangs sollten auch noch strengere Regeln für das Kita-Personal gelten. Schon nach leichten Symptomen sollten die Beschäftigten ein Attest oder ein negatives Testergebnis vorlegen, bevor sie wieder arbeiten dürfen. Am Montag wurde das allerdings wieder gelockert: Erzieherinnen können sich nun wahlweise ein Attest ausstellen oder sich testen lassen - oder sie warten 48 Stunden ab. Bekommen sie in dieser Zeit kein Fieber, dürfen sie arbeiten.

Die neuen Regeln haben viele Einrichtungen überrascht. In Kitas der Arbeiterwohlfahrt (Awo) habe es "Unverständnis, Verärgerung und Protest" gegeben, sagt zum Beispiel Stephanie Haan, die beim bayerischen Awo-Landesverband für Kitas zuständig ist. Die sich ständig ändernden Regeln stellten die Einrichtungen vor große Herausforderungen. Der katholische Pfarrverband Laim wiederum beschwor Eltern, nun erst recht bestmöglich die Hygiene-Maßnahmen zu befolgen. Die Streuung einer Infektion könne nun deutlich größer sein und "zu übergreifenden Gruppenschließungen führen", heißt es in einem Rundschreiben. Mitarbeiter, die einer Risikogruppe angehören, seien einem noch größeren Risiko ausgesetzt.

Feste Gruppen und reguläre Öffnungszeiten nicht vereinbar

Neben dem Ärger herrscht unter Trägern allerdings auch Verwunderung. Denn feste Gruppen zu bilden und zugleich wieder die regulären Öffnungszeiten anzubieten - das lasse sich schlicht nicht miteinander vereinbaren, heißt es etwa aus dem Erzbistum München und Freising. "Das geht nicht auf", sagt auch Julia Sterzer, die für Kitas zuständige Geschäftsführerin der Awo München, die in Stadt und Landkreis 54 Kitas betreibt. Früher habe man frühmorgens und am späten Nachmittag alle Kinder, deren Eltern entsprechend lange gebucht hatten, gemeinsam betreut. Nun aber sollten die Kinder ja weiterhin fest in ihren regulären Gruppen bleiben. Mit einem Neuzuschnitt lasse sich das nicht lösen. Und es fehle auch das Personal. Die Besetzung sei noch enger als sonst, weil Beschäftigte zu Risikogruppen gehören oder in Quarantäne hocken. Und eine Erzieherin parallel in mehrere Gruppen einzusetzen, könne allenfalls im Einzelfall eine Option sein. Gerade kleinere Kinder könne man ja nicht mal eben kurz alleine lassen.

Was eine Rückkehr zur Normalität konkret heißen würde, rechnet Mona Schweiger vor, die Leiterin des evangelischen Hauses für Kinder in Ottobrunn. Die alten Öffnungszeiten von 7.15 Uhr bis 17.15 Uhr könne man nur wieder anbieten, wenn man zum einstigen offenen Konzept zurückkehren, Kinder und Personal also mischen könne, sagt sie. Andernfalls brauche sie für Kindergarten und Krippe "vier Frühdienste, zwei mehr als vorher und vier Spätdienste, vier mehr als vorher". Diese hat sie nicht; es bleibe also bei den kürzeren Öffnungszeiten von 7.45 Uhr bis 16 Uhr.

Kitas beklagen widersprüchlichen Newsletter

Wie in Ottobrunn hat sich auch in München in vielen Einrichtungen mit den neuen Vorgaben nichts geändert. Die Newsletter des Freistaats seien widersprüchlich, sagt Christian Müller, Fachbereichsleiter für Kitas der Münchner Caritas. Maßgeblich aber sei, dass die Kinder weiter in festen Gruppen betreut werden müssen. Vom städtischen Bildungsreferat, dem größten Münchner Kita-Träger, heißt es lapidar: Geändert habe sich "nicht viel". Das bayerische Sozialministerium hat am Montag erneut einen Newsletter verschickt und darin den alten erklärt: Die Anpassungen seien notwendig gewesen, um die Beschlüsse der Regierungschefs umzusetzen, heißt es. Inhaltlich stimme der neue Rahmenhygieneplan mit der bisherigen Stufe zwei, dem eingeschränkten Regelbetrieb, überein - also mit dem, was in München zuvor bereits gegolten hatte.

Nichts geändert hat sich aber auch am Ärger in den Kitas. Dort staut sich der Unmut seit Monaten an; als die Gewerkschaften Verdi und GEW im September zum Streik aufriefen, beteiligten sich auch deshalb mehr Kita-Beschäftigte als erwartet. Der Ärger rühre auch daher, dass die Behörden für die Stadtverwaltung die strengste Sicherheitsstufe ausgerufen hätten, für die Kitas aber nicht, sagt Martina Meyer. Dort könnten sich die Beschäftigten nicht zurückziehen, um sich zu schützen. Mit der Option, auch gruppenübergreifend eingesetzt zu werden, sei nun erneut gelockert worden, was vorher schon lockerer war. "Das ist eine Sauerei."

Sie verstehe natürlich, dass es für Kinder und Eltern gut sei, wenn die Kitas offen bleiben, sagt Martina Meyer. "Aber wenn man das erreichen will, muss man die Bedingungen dafür schaffen." Und das bedeute, die Beschäftigten zu schützen.

© SZ vom 21.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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