Kartenspiel-Apps:"Die Leute sind glücklich, wenn sie auf Augenhöhe spielen"

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Allein 600 000 Schafkopf-Partien laufen derzeit täglich über Heinleins Apps. (Foto: Florian Peljak)

Skat, Schafkopf, Doppelkopf: Peter Heinlein hat die erfolgreichsten deutschen Kartenspiel-Apps entwickelt, die gerade zu Hunderttausenden genutzt werden. Dabei hat der Informatiker gleich mehrere Trümpfe in der Hand.

Von Philipp Crone

Bevor er seine Trümpfe ausspielt, gibt Peter Heinlein den harmlosen Mitspieler. Der 46-jährige Hüne sitzt in seinem Haus und erklärt, zusammengefaltet auf einem Terrassenstuhl, warum die Kartenspiel-Apps von Isar Interactive die erfolgreichsten des Landes sind. Warum die Zugriffszahlen gerade durch die Decke gehen, und die ist bei Heinlein im Wintergarten bei knapp vier Metern, muss er nicht erklären.

Heinlein spricht mit dem langsamen Duktus eines Mathematikers, eines Menschen, der es gewohnt ist, dass man ihm nicht ohne weiteres folgen kann. Ab und an entfaltet er seine Arme, ein wenig wie eine Gottesanbeterin wirkt er dann, und gestikuliert, auch das sehr langsam. Der 1,98 Meter große Mann ist es nicht nur gewohnt, langsam zu sprechen, sondern sich auch vorsichtig zu bewegen. In seinem Wintergarten an die Decke zu stoßen, ist zwar selbst für ihn unwahrscheinlich, trotzdem sind die über Jahrzehnte antrainierten behutsamen Bewegungen klar zu sehen, wie sie große Menschen oft haben. Alles andere geht bei dem Mann mit den kurzen Haaren und den kleinen Karos auf dem Hemd schnell, derzeit rasend schnell.

Wie funktionieren Heinleins Programme? Er hat Tablets, Smartphones, Laptops und drei richtige Kartenspiel-Karten auf dem Biertisch vor sich liegen. Das Prinzip ist immer das gleiche: Wer etwa die Schafkopf-App öffnet, setzt sich virtuell an einen Tisch. Entweder spielt er dann gegen drei Computer-Gegner, wenn er das will. Oder er hat Freunde zum Mitspielen eingeladen, die dann zeitgleich die App öffnen und sich an den gleichen virtuellen Tisch setzen. Das ist gerade beliebt. Manche nutzen ein weiteres Smartgerät, um parallel eine Videokonferenz zu starten. Das kommt dann dem echten Kartenspielen noch am nächsten.

Um zu verstehen, warum täglich auf seiner Skat-App sechs Millionen Partien gespielt werden und auf der Schafkopf-App 600 000, mehr als jedes andere Programm, benötigt Heinlein Zahlen und Modelle. Und so weit weg in diesem Reihenhaus in Oberhaching die Corona-Krise zu sein scheint an diesem sonnigen Donnerstagnachmittag, so nah ist sie Heinlein beruflich. Zigtausende laden gerade sein Programm auf ihr Handy, um von daheim mit anderen zu spielen.

Peter Heinlein vertreibt und entwickelt schon seit 1988 Kartenspiel-Programme. (Foto: Florian Peljak)

Heinleins Trümpfe fallen manchmal ganz nebenbei, zum Beispiel der über seine guten Erfahrungen mit dem Home-Office. Ein Modell, das er seit Jahren in seiner Firma lebt, die Mitarbeiter treffen sich zweimal im Jahr. Nun spielt Heinlein seinen ersten Trumpf. Eine Zahl. 1988.

Als Computer noch Atari hießen, entwickelte der damals 15-Jährige ein erstes Skatprogramm. In der Schule in Olching wurde das gespielt, und der junge Mann hatte neben den Anforderungen an der Tafel noch Kapazitäten frei. "Skat ist algorithmisch anspruchsvoller als Schafkopf." Er meint: Man kann mehr berechnen, den Zufall besser minimieren. Skat liegt da irgendwo zwischen Schach und Schafkopf. Beim Schach gibt es keine Unbekannten auf dem Spielfeld. "Deshalb gewinnen die Computer auch längst gegen die besten Schachspieler." Und beim Schafkopf gibt es mit den vielen von anderen Spielern verdeckten Karten zu viele Unbekannte, als dass ein Computer für jede Situation die klar beste Spielmöglichkeit errechnen könnte. Heute, lange nach Atari und der Hobby-Analyse, setzt Heinleins Team auf Künstliche Intelligenz (KI), um seine Apps zu betreiben.

Der Mathematiker bevorzugt Skat, das brauche mehr strategische Überlegungen, man könne eine optimale Spielstrategie besser entwerfen als beim Schafkopf. "Vereinfacht: Bei vier Spielern statt drei beim Skat ist eben auch einfach mehr Glück dabei." Heinlein arbeitet gegen das Glück im Spiel, aber für das Glück im Spieler. Seit 1988.

Nach der Schule studierte er Mathematik, im Nebenfach Informatik, und spezialisierte sich auf Bildgebende Verfahren. Heinlein arbeitete nach dem Abschluss zunächst bei einer kleinen Firma für Mammografie-Diagnostik und entwickelte Algorithmen, die dabei halfen, die Aufnahmen besser zur Krebs-Früherkennung zu nutzen. Er interpretierte und verrechnete Bilder, im Prinzip machte er da schon das gleiche wie heute bei Kartenspielen. Nächster Trumpf. Heinlein öffnet eine App auf dem Smartphone, fächert mit seiner anderen Hand ein Blatt Skatkarten auf und hält sie so, dass die Handy-Kamera sie erfassen kann. Die aktuelle App seiner Firma ermöglicht es dem Spieler, ein Blatt zu scannen und sich von Heinleins Programm sagen zu lassen, wie hoch er reizen kann. "Das richtige Reizen ist gerade für Anfänger die größte Hürde und macht es schwierig, in einer Runde mit geübten Spielern zu bestehen."

In einer Ecke des Raumes, der zum Garten führt, steht ein Kinder-Teleskop. Den Drang, sich Dinge genau anzusehen, haben Heinlein und seine Frau offenbar an die beiden Söhne, neun und elf, weitergegeben. "Den zur Mathematik aber eher nicht", sagt Heinlein, was durchaus erstaunlich ist. Seine Frau ist Mathematik-Professorin.

Peter Heinlein legt ein iPad auf den Tisch und öffnet die App. Lange Arme, lange Finger, ruhige Stimme. Und ein Lächeln, das gerade nicht überheblich wirkt, gerade noch kein Besserwisserlächeln. Obwohl er natürlich ein Besserwisser ist. Es wirkt wie das Lächeln von einem Mann, der damit gerne Momente glättet, in denen er dem Gegenüber überlegen ist, nicht nur körperlich.

Nach Jahren der Bildverarbeitung übernahm ein Großkonzern Heinleins kleinen Betrieb, und er verkaufte sein Programm auf einmal in die ganze Welt. "Das war beeindruckend." Aber bald auch anstrengend. Wenn man im Anzug am Strand von LA vorbeihetzt. Vor fünf Jahren kam dann einiges zusammen. Ermüdung bei den in einem großen Laden nun so alltäglichen Abstimmungspflichten, die Kinder waren auf der Welt und das erst so tolle Fliegen war nur noch das olle Fliegen. "Ich weiß nicht, wie oft ich damals die erste S-Bahn zum Flughafen genommen habe." Er hätte in den USA Manager werden können. Aber dann war da eben noch immer dieses Kartenspielprogramm. All die Jahre hatte er das System immer wieder nebenher aktualisiert. Warum?

"Als Student hatte ich da immer einen angenehmen Nebenverdienst." Und allein schon, um den nicht einzubüßen, musste er die Software immer anpassen. An Windows 3.11, an iOs, an neue Betriebssysteme. "Und plötzlich hatte ich kein Nebeneinkommen, sondern ein solides richtiges Einkommen damit." Das war, nachdem das erste iPhone 2007 rauskam und seine Skat-App damals sofort Marktführer war.

Besser wissen heißt für sein Programm, es dann auch besser machen zu können, doppelte Motivation. Beim Skat spielen viele ohnehin schon lange und gerne gegen einen Computer. "Da geht es ernst zu", es ist strategisch, das Drumherum wird eher ausgeblendet. Beim Schafkopfen spielt das Gesellschaftliche eine größere Rolle. Das Miteinander, das Treffen, der Zeitvertreib, "und beim Doppelkopf noch einmal mehr, da wird immer viel geredet". Diese Apps kamen später dazu und sind in diesen Wochen der Renner.

"Wir hatten da unsere eigene Corona-Kurve", sagt Heinlein und lacht. "Wir mussten in drei Nächten hintereinander die Kapazitäten hochfahren." Auf jetzt das fast Zehnfache. Alle drei Apps verzeichnen die meisten Downloads. "Und man kann sehen, wann die Leute spielen: um 21 Uhr." 600 000 Schafkopfspiele täglich, "das sind für einen Spieler vier Jahre Spielzeit, wenn er jeden Tag spielt". Solche Zahlen, die spielt er flüssig wie ein Solo mit vier Läufern. "Eineinhalb Milliarden Skat-Spiele waren es im Jahr 2019."

Heinleins lange Finger finden Diagramme zu allen Fragen rund ums Kartenspiel auf seinem Rechner. Wo wird das kurze und wo das lange Blatt beim Schafkopf gespielt? "Oberpfalz und Oberfranken spielen kurz, der Rest Bayerns lang." Die nächste Motivation des Mathematikers neben Berechenbarkeit und Verbesserung: Klarheit. Klare Regeln. Vielleicht bevorzugt er deshalb Skat. Da gibt es offizielle Regeln des Skatverbands, der in Deutschland 20 000 Mitglieder hat. Die besten von ihnen machen regelmäßig bei den Rätseln mit, die es auf der Skat-App gibt. Da kann man knifflige Partien nachspielen, die wirklich stattgefunden haben.

Heinlein hat früher Basketball gespielt, bei der Größe nicht ganz überraschend. "Dann saß ich aber zu viel im Hörsaal und wurde von athletischeren Spielen vom Korb weggehalten." Jetzt ist sein Lachen anders, noch ein bisschen weniger wissend, einfach ein Loslachen. Heute begleitet er seine Kinder zum Basketball-Verein. "Es ist da gerade bei den Jugendschiedsrichtern immer unklar, wann was ein Foul ist." Mathematiker brauchen eben Klarheit. Wenn etwas nicht funktioniert, nicht zusammenpasst, Jugendschiedsrichter und Basketballregeln oder Screening-Software und ihre Verbreitung, dann sagt Heinlein: "Das skaliert nicht."

"Wichtig ist einfach, dass die Leute dieses Spiel spielen"

Was wunderbar skalierte, war das Arbeiten im Home-Office nach seinem Wechsel zum hauptberuflichen Karten-App-Anbieter. "Am Anfang hat man allerdings erst einmal ein schlechtes Gewissen, dass man nicht ins Büro fährt." Ein Mitarbeiter arbeitet in Olching, einer zwei Straßen weiter, sie entwickeln vor sich hin, jeder mit zwei Spezialgebieten, einem Kartenspiel und einem Gerät. Heinlein, Skat und iOs, sagt: "Wir sind wahrscheinlich deshalb erfolgreich, weil andere nicht so auf die Entwicklung des Computergegners setzen." Der kann heute mitlernen, wie stark der Spieler ist, und sich anpassen, künstlich intelligent eben. Mehrere Milliarden Spielzüge rechne der Computer nach jedem Zug, um das zu erkennen. Heutige Smartgeräte können das. "Die Leute sind glücklich, wenn sie auf Augenhöhe spielen", sagt Heinlein.

Stefan Aldenhoven, Leiter der Münchner Schafkopfschule, sagt: "Wichtig ist wirklich in erster Linie, dass die Mitspieler ein ähnliches Niveau haben wie man selbst." Heinleins Apps findet er "sehr gut", aber auch die der Konkurrenz von Sauspiel.de oder Scharfkopf.de. "Wichtig ist einfach, dass die Leute dieses Spiel spielen." Und so die Tradition erhalten bleibt. Wo auch immer man spielt. Im Wirtshaus oder im Smartphone. Bei Heinlein kann man da von der urigen Kneipe über Alter und Geschlecht der Gegner bis zum Karibik-Strand seinen Hintergrund wählen.

Manches wird auch der Informatiker nicht in sein Programm bringen, den Geschmack von Bier, den Geruch von altem Holz. Auch nicht den Witz auf Kosten des Mitspielers, den Ruhm nach einem Sieg mit unmöglichen Karten und vier Halben im Kopf oder die Anekdote in der langen Pause beim Mischen. Dafür bekommt man, wenn man will, Siege im Akkord und eine garantierte Lernkurve.

Letzter Trumpf: die Schafkopf-Scan-App. "Die kommt demnächst." Das Blatt wird auch hier eingescant. Der Computer denkt dann kurz ein paar Milliarden Spielzüge und Spielverläufe durch und sagt dem Spieler, was er und ob er überhaupt spielen würde.

Peter Heinlein kennt jedes Blatt, jede Konstellation, seine Programme rechnen immer die beste Lösung, dadurch verdient er Geld. Eine Frage ist allerdings nicht so leicht zu beantworten: Ob er sich nicht wünschen müsste, dass bald wieder sehr viel weniger Menschen seine Programme nutzen, weil sie ihre Karten wieder im Wirtshaus austeilen? Heinlein sagt: "Wenn unsere Online-Zahlen nach Corona wieder zurückgehen und dafür noch mehr Menschen Schafkopf spielen als vorher, haben wir unser Ziel auch erreicht." So klingt wohl bei einem Mathematiker ein Ja.

© SZ vom 11.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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