Clubszene:Die Nächte bleiben still

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Über Crowdfunding will Christian Dengler 25 000 Euro für den Cord Club sammeln. (Foto: Robert Haas)

Münchens Clubs kämpfen um ihre Existenz. Das Cord verkauft lebenslange Plätze auf der Gästeliste, das Harry Klein bietet gegen Spenden einen Haarschnitt von einer Dragqueen. Doch all das wird kaum reichen.

Von Laura Kaufmann, München

Erst beim zweiten Blick fällt auf, dass es keine ganz normalen, seligen Frühlingstage sind in der Stadt. Dass da ein Gitter um den gut besuchten Biergarten im Viktualienmarkt ist, wo die Leute auf Wirtshausstühlen sitzen statt auf Bänken, dass in den Geschäftseingängen Desinfektionsmittelspender stehen und dass die Bedienung, die Cappuccino zu den in die Sonne blinzelnden Cafégästen bringt, Mundschutz trägt. Aber auf einen flüchtigen ersten Blick ließe sich denken, es wäre alles beim Alten an einem schönen Tag, so wunderschön, wie er in München sein kann.

David Muallem freut sich, auf der Terrasse des Blitz Restaurants an der Isar wieder ein Bier trinken zu können. Aber Muallem verantwortet nicht das Blitz Restaurant und Bar auf der Museumsinsel, sondern den dazugehörigen Club, den Blitz Club mit der besten Musikanlage des ganzen Landes. Und für den gibt es keine Perspektive. Die offenen Terrassen schließen diese Woche um 20 Uhr, nächste Woche ist für die Restaurants um 22 Uhr Schluss. Die Nächte, die Muallem vor Corona mit Leben gefüllt hat, bleiben still.

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Im Harry Klein stehen die DJs am Plattenteller und legen auf - obwohl der Elektroclub wegen der Corona-Krise gerade geschlossen ist. Die Beats gehen stattdessen per Livestream in die Wohnzimmer.

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DJs bucht er nun keine mehr. Alle Hände voll zu tun hat er trotzdem. Mit Home-Schooling, wie viele Eltern. Und dann sind da Anträge, Formulare, Regelungen, die für einen gesunden Betrieb keine Bedeutung haben, aber jetzt Woche für Woche das Überleben sichern. "Ich fühle mich, als würde ich bei einer Bank arbeiten", sagt Muallem. "Meine Aufgabe ist es, ein junges Unternehmen gesund durch den Sturm zu bringen."

Vor wenigen Tagen erst hätte der Club sein dreijähriges Bestehen gefeiert. "Unsere laufenden Hauptkosten sind noch Kredite, die wir zu bedienen haben", sagt Muallem. "Und dass wir einen befristeten Vertrag haben ist etwas, was man nicht ignorieren kann." So bleibt auch nur eine befristete Zeit, um geplante und ungeplante Schulden bedienen zu können.

Das ist die wirtschaftliche Seite. "Die emotionale Seite ist: Man weiß nicht, wann man wieder aufmachen kann. Ich habe nicht einmal einen Bescheid bekommen, dass ich nicht mehr öffnen darf", sagt Muallem. Wie seine Kollegen erfährt er Neuigkeiten aus den Medien. "Ich würde mir wünschen, dass da von der Politik mehr kommt. Dass man ernster genommen wird. Ich glaube wirklich, dass Musik und Tanzen ein Grundbedürfnis der Menschen sind."

"Streaming kann das soziale Miteinander nicht kompensieren."

Um die 50 Clubs gibt es in München. Dazu kommen noch mehr Bars, in denen sich auf engem Raum am Tresen gedrängt wird, wo getanzt wird und geflirtet, wo sich Freunde trunken um den Hals fallen und zwei gerade noch Fremde in der Ecke knutschen. Betriebe, die davon leben, Leute zusammenzubringen, Menschen glücklich zu machen, ihnen Gemeinschaftserlebnisse zu bescheren oder sie in Ekstase zu versetzen. Nichts davon ist gerade möglich oder auch nur in greifbarer Nähe, natürlich nicht. Die Ausgelassenheit losgelöster Nächte fehlt vielen - systemrelevant ist sie nicht. Tanzen mit Maske und Abstand, das würde höchstens zur einmaligen Kunstperformance taugen.

"Streaming kann das soziale Miteinander nicht kompensieren", sagt Benjamin Röder. Er betreibt die Bar Charlie unter dem gleichnamigen Restaurant in Giesing. Nur samstags war sie geöffnet, aufwendig betrieben mit internationalen Bookings. "Bis diese Art von Betrieb wieder aufgenommen wird, wird es sehr lange dauern", sagt Röder, der aus der Kunstszene zur Musikszene gekommen ist. "Ich denke, dass die Krise die Clublandschaft nachhaltig beeinflussen wird." Er glaubt schlicht nicht, dass es sich nach der Krise noch jemand leisten kann, internationale Künstler für eine Nacht einzufliegen und unterzubringen. Was wiederum, um es positiv zu sehen, die lokale Szene stärken würde.

"Wir haben uns keinen Zeitpunkt gesetzt, wann wir kapitulieren", sagt der Betreiber. Aber wir können das nicht ewig allein stemmen. Wir müssen auch davon leben. Ich bin jetzt einfach arbeitslos geworden." Auf unbestimmte Zeit zum Nichtstun verdammt sein und zusehen zu müssen, wie unverschuldet sämtliche Rücklagen verrinnen, das schmerzt.

Wobei die meisten Betreiber durchaus etwas tun. Viele produzieren Livestreams, um nicht vergessen zu werden und um DJs eine Bühne zu geben. Das "Contact Festival", das dieses Jahr ausfallen muss, vertreibt jetzt Masken. Manche Gastronomen stellen ihre Räume Künstlern zur Verfügung. Und viele setzen jetzt auf Crowdfunding, auf Spenden von Gästen, um weiter über die Runden zu kommen.

Die Corleone Bar am Sendlinger Tor zum Beispiel, die trotz ihrer sehr kleinen Räume immer ein anspruchsvolles Programm mit Live-Sets und kleinen Konzerten bietet. "Das haben wir so nicht erwartet und sind sehr gerührt über so viel emotionalen und finanziellen Beistand", schreiben sie in ihrem Online-Aufruf. Die Fixkosten wie Miete, Versicherungen und Gema betragen 5000 Euro im Monat, und den April hat die kleine Bar schon allein mit den Spenden von Gästen überlebt.

Nur ein paar Hundert Meter weiter sammelt auch der Cord Club Spenden ein. Auf der Plattform Startnext bekommen die Geldgeber dafür ein Dankeschön: Das reicht vom bedruckten Jutebeutel bis zum - für 500 Euro - lebenslangem Gästelistenplatz. Seinem Ziel von 25 000 Euro, das Betreiber Christian Dengler erreichen will, sei der Indie-Club schon ziemlich nahe. "Das Crowdfunding läuft besser als gedacht, das hat mir einen riesigen Motivationsschub gegeben", sagt Dengler. Er hofft, dass er vielleicht im September wieder aufsperren kann. "Am 14. März hatten wir unseren letzten Abend. Das wären dann sechs Monate, die wir zu hatten", sagt er.

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"Die ersten beiden Monate mussten wir nur reduzierte Miete zahlen, was ich der Vermieterin hoch anrechne", berichtet Dengler. "Aber ab Mai zahlen wir wieder normal, 10 000 Euro kalt. Wenn das bis Ende des Jahres so geht ..." Dengler ist Gastronom, seit er mit 18 Jahren in einer Bar gejobbt hat, seit 1997 ist er selbständig. "Von außen betrachtet würde ich sagen: Schau, dass du mit einem blauen Auge da rauskommst", sagt er. Gute 70 000 Euro müsste er nun bis Oktober "investieren", um den Club am Leben zu erhalten. Finanziell sei das riskant für so einen kleinen Laden. "Aber das Herz spielt dann doch die größere Rolle."

Das Strom in der Poccistraße hat online Tickets für ein imaginäres "Soli"-Fest verkauft, um sich über Wasser zu halten, die Bar Unter Deck setzt ebenfalls auf Crowdfunding, für fünf Euro gibt es ein Seepferdchen-Abzeichen. Das Harry Klein setzt auch gerade eine solche Kampagne auf - mit Dankeschöns wie einem Haarschnitt von einer Dragqueen, einer Biergartensession mit dem Lieblings-DJ oder einer Posaunenstunde mit einem Mitglied der Jazzrausch Bigband, wie Betreiber Peter Fleming erzählt. Dankeschöns, die den Fans einen Mehrwert bieten.

Clubs im ganzen Land haben sich für einen Appell an die Politik zusammengeschlossen

"Es geht nur, wenn viele Leute mithelfen und unterstützen", sagt Fleming. Dass das Harry Klein in diesem Jahr noch öffnen darf, glaubt er nicht. "Wenn wir zu denen gehören, die es am härtesten trifft, muss eben noch etwas fließen. Sonst sind Clubs und sonstige Spielstätten einfach weg." Die monatlichen Fixkosten sind hoch und keine Einnahmen da. Fleming setzt seine Hoffnungen auch darauf, dass die Politik weitere Zuschüsse bewilligt.

Deutschlandweit haben sich die Clubs nun für einen Appell an die Politik zusammengeschlossen. Sie fordern unter anderem weitere Soforthilfen, umgestaltete Kreditprogramme und einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz. David Süß, der vor Kurzem seine Geschäftsführertätigkeit im Harry Klein abgegeben hat, aber Mitglied im Verband der Münchner Kulturveranstalter ist, sieht das ähnlich.

"Die Soforthilfe war vielleicht so geplant, dass man damit ein Vierteljahr über die Runden kommt, mit allem anderen verschuldet man sich nur. Von der Idee, die Krise solidarisch als Gesellschaft auszuhalten, müsste die Mietbelastung zumindest halbe-halbe bei Mieter und Vermieter liegen." Hochprofitabel würden Clubs nicht arbeiten, sagt Süß. Und wenn es so weitergehe, sei die Überschuldung nicht mehr aufzuholen. "Stand heute ist die Clublandschaft in München extrem gefährdet."

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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