Verkehrspolitik:"Wir sollten nicht alles zu Tode diskutieren"

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Während der Pandemie gab es eine starke Zunahme beim Radverkehr. (Foto: Stephan Rumpf)

Stattdessen wolle man einfach mal ausprobieren, sagt OB Dieter Reiter. An fünf Straßen werden deshalb neue Radwege markiert, die den Autos Platz wegnehmen - eine temporäre Maßnahme.

Von Kassian Stroh

Keine Vorentscheidung, nichts Dauerhaftes - zumindest nicht, ohne zuvor mit den direkt Betroffenen gesprochen zu haben: Wenn bald auf fünf größeren Münchner Straßen Autospuren zu Radwegen werden, dann sei das ein Versuch, temporär. Das zu betonen, ist den Regierenden im Rathaus wichtig. Der Plan sei bis Ende Oktober befristet, "und am 31. Oktober kommt nicht die Teermaschine und macht das endgültig", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). "Wir werden keine zweite Fraunhoferstraße schaffen."

Die Fraunhoferstraße als abschreckendes Beispiel: Dort ließ die Stadt im vergangenen Juli beinahe über Nacht alle Parkplätze abbauen und stattdessen Radwege markieren - ein Vorgehen, das die Proteste der Anwohner und Geschäftsleute nur noch verschärfte. Man habe versäumt, sie rechtzeitig einzubinden und an den Planungen zu beteiligen, räumt Reiter ein und verspricht, diesen Fehler nicht zu wiederholen: Sollte sich einer der neuen temporären Radwege auch als dauerhaft mögliche Option herausstellen, dann werde man das mit Anwohnern, Ladenbesitzern und den Bezirksausschüssen besprechen.

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Dafür sollen mehrere Straßen vorübergehend für Autos gesperrt werden, von Ende Juli an bis Ende September. Konkret entscheiden soll das der Stadtrat erst im Juli.

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Kommende Woche wird die grün-rote Mehrheit im Stadtrat aller Voraussicht nach beschließen, bis zum Herbst an sechs Stellen auf fünf Straßen Fahrspuren für Autos zu sperren und für Radfahrer zu reservieren. Im Einzelnen sind das: Die Rosenheimer Straße zwischen Orleansstraße und Rosenheimer Platz: In beiden Richtungen wird je eine der beiden Fahrspuren zum Radweg, die Parkplätze daneben bleiben erhalten. Die Rosenheimer Straße zwischen Lilienstraße und Am Lilienberg: Stadtauswärts wird die rechte Fahrspur zum Radweg, Park- und Haltemöglichkeiten für Autos entfallen, der Gehweg wird breiter. Stadteinwärts ändert sich nichts.

Die Zweibrückenstraße zwischen Erhardt-/Steinsdorfstraße und Rumford-/ Thierschstraße: In beiden Richtungen wird die rechte Fahrspur zum temporären Radweg. Der bestehende könnte dem Gehweg zugeschlagen werden. Die Elisenstraße zwischen Lenbachplatz und Dachauer Straße: Auch hier wird in beiden Richtungen eine Spur für Radfahrer reserviert. Die Theresienstraße zwischen Türken- und Schleißheimer Straße: In der Einbahnstraße wird die rechte Spur zum Radweg, den auch MVG-Busse nutzen dürfen. Sowie die Gabelsbergerstraße zwischen Arcis- und Türkenstraße: Auch in dieser Einbahnstraße wird die rechte der drei Autospuren für Räder und Busse reserviert.

Da wegen der Corona-Pandemie viele Münchner derzeit öffentliche Verkehrsmittel meiden, wollen Grüne und SPD kurzfristig mehr Platz für Radfahrer schaffen. "Da muss man schauen, dass die Leute nicht alle aufs Auto umsteigen und sich daran gewöhnen", sagt Reiter. Welche der neuen Radwege dann von Dauer sein könnten, das werde sich zeigen, sagt die Grünen-Stadträtin Gudrun Lux. Wer mit ihr oder anderen Grünen spricht, hört diesbezüglich deutlich mehr Hoffnung mitschwingen, als Reiters Beschwichtigungen verheißen.

Auch die Münchner Fahrrad-Lobbyisten jubelten am Freitag über den Vorstoß aus dem Rathaus in der Hoffnung auf mehr: auf dauerhafte Fahrradspuren an diesen und weiteren Stellen in der Stadt. An vielen davon aber kämen aus Sicherheitsgründen nur Dauerlösungen in Frage, für die man die Straßen auch umbauen müsse, sagt Nikolaus Gradl (SPD) - etwa an der Isarparallele, in der Leopold- oder der Lindwurmstraße. Das hätten die Fachleute in der Stadtverwaltung überzeugend dargelegt. "Wirkliche Verbesserungen für den Radverkehr" könne es da auf die Schnelle nicht geben. Und auch Lux gibt zu, gerne 15 bis 20 temporäre Radwege beschließen zu wollen. "Aber das bringt ja nichts, wenn es dann nicht geht."

Die Stadtrats-CSU, die die aus ihrer Sicht ideologische, autofeindliche Verkehrspolitik von Grün-Rot stets laut kritisiert, hielt sich am Freitag zurück. Er kenne die Vorlage des Planungsreferats noch nicht, sagte CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl, "man muss sich das in jeder Straße genau anschauen, ob das sinnvoll ist und geht". Ein Rätsel aber sei ihm, wie künftig die Geschäfte beliefert werden sollten, wenn die jeweils rechte Fahrspur nur für Radfahrer frei sei, sagte Pretzl. Der Lieferverkehr müsse sichergestellt sein.

Für die sogenannten Pop-up-Bike-Lanes will die Stadt kaum etwas umbauen, sondern nur die Straße neu markieren. In ein, zwei Wochen sollte das zu schaffen sein, sagt Reiter. Er gibt als seine Linie aus: "Wir sollten nicht alles zu Tode diskutieren, sondern einfach mal ausprobieren, ohne große Investitionen - und dann schauen, ob es funktioniert."

© SZ vom 23.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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