Corona-Debatte in München:Kontaktnachverfolgung - notfalls mit Leiharbeitern und Callcenter

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November 2021: Treffen der Stadträte im weihnachtlich dekorierten Löwenbräu-Keller. (Foto: Catherina Hess)

Oberbürgermeister Dieter Reiter übernimmt die Verantwortung für alle Corona-Pannen, ist aber sicher, die Korrektheit der Zahlen nun auf Dauer gewährleisten zu können.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Der Oberbürgermeister wollte ein Signal an die Münchnerinnen und Münchner senden, das machte er in der Vollversammlung des Stadtrats im Löwenbräukeller am Donnerstag früh klar. Er würde es sehr begrüßen, sagte Dieter Reiter (SPD) gleich zu Beginn, wenn der Stadtrat zu "einer sachlichen Diskussion zurückkehren" und an "Lösungen orientiert arbeiten" würde. Diesem Wunsch ebnete er selbst den Weg, indem er die politische Verantwortung für die Pannen in der Fallerfassung und Kontaktnachverfolgung übernahm.

"Das habe ich falsch eingeschätzt. Ich habe mich viel zu lange darauf verlassen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das schon hinbekommen." Diese nahm er jedoch ausdrücklich in Schutz, sie würden hart arbeiten. "Die Kritik soll sich an mir abarbeiten."

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Dazu betonte der Oberbürgermeister ausdrücklich, dass Ideen und Vorschläge der Fraktionen gerne im Stadtrat präsentiert und diskutiert werden sollten. Gute Ideen fänden so Eingang in die Corona-Strategie der Stadt, egal von wem sie kämen. Dafür sah CSU-Fraktionsvize Hans Theiss, einer der härtesten Kritiker am Corona-Kurs Reiters und seiner Koalition, bisher keine große Bereitschaft.

Mehr als 50 Anfragen und Anträge habe die CSU eingebracht, doch diese seien gar nicht, unbefriedigend oder ablehnend bearbeitet worden, sagte er. Mit direkter Kritik an OB Reiter und Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) hielt er sich spürbar zurück.

Theiss attackierte nur einmal hart. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden von den Grünen ducke sich in einer so heftigen Krise der Stadt komplett weg, sagte Theiss. "Wo steckt die Frontfrau?", fragte er in Richtung der Grünen. Und antwortete selbst: Sie verreise lieber für einen guten Zweck oder gehe auf Preisverleihungen, als dass sie in Altenheimen oder Schulen präsent sei. Grünen-Fraktionschef Florian Roth konterte: "Wir ducken uns nicht weg. Wir haben uns immer allen Debatten gestellt." Später wies Habenschaden die Vorwürfe persönlich zurück. Sie sei Teil der Fraktion und über diese auch aktiv beteiligt. Die Kritik an der Corona-Politik teile sie, aber die richtige Adresse dafür sei die bayerische Staatskanzlei, dort werde der Rechtsrahmen der Corona-Politik entworfen. Experten hätten bereits im Juni vor einer vierten Welle gewarnt, "Herr Söder hat das leider ignoriert. Als Fraktion haben wir bereits früh 3-G-plus beziehungsweise 2-G für München gefordert, leider wollte das damals niemand hören."

Diese Kontroverse blieb im Grunde die einzige, Reiters Wunsch nach einem Zeichen in die Zukunft wurde erfüllt. Parteikollegin Zurek, der die CSU und die FDP Versagen im Vorfeld vorgeworfen hatten, holte er komplett aus der Schusslinie. Sie konnte sich ausschließlich auf die konkreten Maßnahmen und Forderungen konzentrieren, auf die sich der Stadtrat schließlich weitgehend einstimmig einigte.

Impfen per Hochdruck

"Wir werden alles möglich machen, was es gibt", sagte Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek - auf dass die Impfkampagne vorankomme. Von Gesundheitslotsen über Impfstreetworker bis zu niederschwelligen Angeboten in den Stadtvierteln. Man wolle zudem verstärkt fürs Impfen werben, im Fahrgast-TV der MVG, in Wochenblättern und in den sozialen Medien. Auch die klassischen Litfaßsäulen würden geprüft. Alle Impfzentren sollen demnächst außerdem an sieben Tagen pro Woche betrieben werden - derzeit ist das Impfzentrum in Riem noch sonntags und montags geschlossen.

Das größte Problem, so Zurek, sei es, medizinisches Personal zu finden. Ein Dringlichkeitsantrag der CSU zum Thema Impfpflicht wurde vertagt. Die Fraktion fordert, dass der OB sich auf den übergeordneten politischen Ebenen dafür einsetzen solle - eine Impfpflicht erscheine bei einer viel zu niedrigen Impfquote und einer steigenden Zahl von Impfdurchbrüchen unter Abwägung aller Vor- und Nachteile als das kleinste Übel.

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Gesundheitsreferat sieht Nachholeffekte der vergangenen Tage inzwischen als weitgehend abgebaut und die Werte damit als realistisch an. Der Oberbürgermeister aber fürchtet weitere Anstiege.

421 neue Stellen für die Kontaktnachverfolgung

Über mehrere Wochen hatte die Stadt zuletzt zu niedrige Inzidenzzahlen gemeldet. Dass das nicht funktioniert habe, ärgere ihn immer noch, räumte OB Reiter ein. Mittlerweile sei das Problem behoben, "durch eine relative Gewaltaktion". Die Zahlen stimmen also wieder, und "das können wir auch auf Dauer sicherstellen", so Reiter. Am Donnerstag hat der Stadtrat nun 421 befristete Stellen für die Fallerfassung und Kontaktnachverfolgung beschlossen.

Das Gesundheitsreferat rechnet jedoch damit, dass es schwierig werden könnte, diese zu besetzen. Deshalb will man auf eine Leiharbeitsfirma oder auf ein Callcenter zurückgreifen - oder auch auf beides. Die Stadt rechnet mit Kosten in Höhe von 20,8 Millionen Euro.

Mehr Krankenhäuser sollen beteiligt werden

"Wir sind weiterhin im exponentiellen Wachstum, und die Vorhersagen machen uns Sorgen", sagte der Geschäftsführer der München Klinik, Axel Fischer. "Wenn wir so weitermachen wie bisher in München, werden wir absehbar Schwierigkeiten haben mit den Intensivkapazitäten." Es gebe viele Fachkliniken, die weiterhin Operationen an Knien oder Hüften durchführten; diese seien bisher nicht verpflichtet, an der Corona-Bekämpfung mitzuwirken. "Das frustriert uns seit Wochen extrem."

Noch am Donnerstag war zu diesem Thema eine Videoschalte mit dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) angesetzt. "Ich hoffe, dass wir zu einer Lösung kommen", sagte Fischer im Stadtrat. OB Reiter sprang dem Klinikchef bei: "Ich will nicht einsehen, dass sich bei 50 Kliniken in der Stadt so wenige beteiligen bei der Pandemie-Bekämpfung. Das geht nicht." Bei den Unikliniken habe es etwas gedauert, sich aber mittlerweile deutlich verbessert. Bei den Privatkliniken sei die Beteiligung noch "völlig unterentwickelt".

Schanigärten bleiben bis Ende März

Die Freischankflächen auf Parkplätzen dürfen nun doch bis zum 31. März 2022 bleiben. Eigentlich sollte Ende November Schluss sein. Auch mit Ökostrom betriebene Heizstrahler sind weiter erlaubt. In die Schanigärten dürften aber ausschließlich genesene und geimpfte Münchner, betonte OB Reiter. Es gelte also die 2-G-Regel.

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