Kanzler-Besuch in München:Scholz lässt sich von Reiter zeigen, wie soziales Bauen gelingen kann

Lesezeit: 4 min

Gruß vom Balkon: Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (beide SPD) bei der Besichtigung einer Siedlung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG. (Foto: Robert Haas)

Und die Stadtspitze nutzt die Gelegenheit, um ihre Wünsche an die Bundesregierung zu adressieren, wie Wohnen erschwinglicher werden soll. Von denen gibt es einige.

Von Anna Hoben

Es hat sich herumgesprochen, dass prominenter Besuch angekündigt ist. "Der Bürgermeister kommt!", ruft freudig ein Junge, vielleicht sieben Jahre alt. Damit hat er nicht unrecht, aber die große Aufregung am vergangenen Samstag rührt von einem anderen Gast her. Von dem nämlich, den die Kinder in der Krüner Straße in Sendling-Westpark eine halbe Stunde später mit "Olaf, Olaf!"-Rufen bedenken. Der Bundeskanzler steht derweil auf einem Balkon in luftiger Höhe und lässt sich, so viel kann man mutmaßen von unten, erklären, wie so ein Plusenergiehaus funktioniert. Er winkt den Kindern kurz zu, verschwindet aber fast hinter der Brüstung.

Zwei Stunden später tritt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Abschluss seines München-Tages vor ein Mikrofon und erklärt seinen Plan fürs Wohnen, "die entscheidende soziale Frage für unser Miteinander in Deutschland", wie er sagt. Es brauche insbesondere mehr bezahlbare Wohnungen, "gerade in der jetzigen Situation, die wirtschaftlich so schwierig ist, bleibt die Aufgabe besonders dringlich". Deshalb lasse man nicht ab von dem Ziel, jedes Jahr 400 000 Wohnungen zu bauen, davon 100 000 geförderte. "Wir werden uns Stück für Stück dahin vorarbeiten - und dann, wenn wir das erreicht haben, das Niveau dauerhaft stabilisieren."

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Entscheidend dafür sei es, die Voraussetzungen für schnelleres, aber auch günstiges Bauen zu schaffen. "Wir sind in den letzten Jahren nicht an der Spitze in der Welt, was preiswertes, schnelles Bauen betrifft", so Scholz. Deshalb habe die Bundesregierung ein Bündnis bezahlbares Wohnen gegründet. Hier, in der Siedlung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG, habe er gesehen, wie es funktionieren könne. Da sei überlegt worden, "was ist wirklich nötig, was kann man weglassen, um großartige Wohnungen zu schaffen, in denen sich toll leben lässt, die aber nicht so teuer in der Herstellung sind".

Viel Rummel: Olaf Scholz bekam bei seiner Stippvisite einiges zu sehen. (Foto: Robert Haas)

Zuvor hat der Bundeskanzler mit Mieterinnen der Wohnanlage gesprochen und mit der Münchner Stadtspitze über Verbesserungsmöglichkeiten im Wohnungsbau und für den Mieterschutz. Scholz habe sich viel Zeit dafür genommen, lobt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der Plan mit den 400 000 Wohnungen helfe "bei unserem Druck auf den Wohnungsmarkt in jedem Fall", auch wenn sie nicht überwiegend in München entstünden. Im Übrigen wisse der Kanzler auch "bei Fachdiskussionen mit meiner Planungsreferentin durchaus, wovon wir reden, weil er lang genug Bürgermeister einer großen Stadt war".

Am Morgen hatte Olaf Scholz im Bildungszentrum der Handwerkskammer mit Handwerkern gesprochen, danach war er zum Parteitag der Bayern-SPD gedüst. Währenddessen haben sich die Nachbarn in Sendling-Westpark postiert. Die einen vorne an der Straße, die anderen im Fensterrahmen der eigenen Wohnung, Jugendliche auf Spielhäusern aus Holz im Hof. Alle: die Handys gezückt. Überall dazwischen: Polizisten. Vor dem Hauseingang. Zwischen den Bäumen im grünen Hinterhof. Vorne an der Straße.

Dort steht auch Christa Mühlberger, Rentnerin. Sie möge die ruhige Art des Kanzlers, sagt sie, "weniger Show ist mir lieber". Auch das Machtwort im Atomstreit habe sie gut gefunden. Sie glaube, dass Scholz "in großen Teilen unterschätzt" werde. Aber klar, sagt Mühlberger, "es muss was rauskommen hinterher". Und die Ampelkoalition sei eine "schwierige Angelegenheit".

Alles andere als ein gewöhnlicher Samstag: Viele Bewohner der Anlage in der Krüner Straße erwarteten den Bundeskanzler gespannt. (Foto: Robert Haas)

Vor zehn Jahren hat die städtische Wohnungsbaugesellschaft GWG die Plusenergiehäuser in der Siedlung fertiggestellt. Es waren damals die ersten ihrer Art im geförderten Wohnungsbau in München. Auf den Kopfbauten zur Parkseite hin sind riesige Dachsegel mit jeweils 98 Photovoltaikmodulen platziert. Mit dieser Anlage wird so viel elektrische Energie produziert und ins öffentliche Netz eingespeist, dass der Primärenergiebedarf mehr als gedeckt wird und die Bilanz über einen Zeitraum von einem Jahr im positiven Bereich liegt. Dass sie gerade diese Häuser besichtigen wollen, haben die Berliner selbst entschieden.

Katharina Politzki wohnt gerne hier, sie ist Bewohnerin von Anfang an. Ihre Wohnung im Erdgeschoss ist einkommensorientiert gefördert, 1300 Euro warm bezahle sie für ihre 98 Quadratmeter, sagt sie. Das ist zwar vergleichsweise günstig für München. Doch Politzki ist alleinerziehend, und wegen der steigenden Energiepreisen sei ihr nun angst und bange vor der Nebenkostenabrechnung, sagt sie. Den Besuch des Kanzlers in ihrem Haus wollte sie sich nicht entgehen lassen. Tags zuvor habe sie davon erfahren - und ihre Verabredung für den Samstag prompt abgesagt. "Ich hoffe, dass ich an ein gutes Foto komme."

Am Ende des Tages wird sie ihr Foto haben, und Bundeskanzler Scholz wird bei Twitter schreiben, er habe in München mit Mieterinnen gesprochen, die durch energieeffiziente Wohnungen geringe Nebenkosten haben. "Das ist sozial und klimagerecht."

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Für 14 Uhr war der Besuch angekündigt, um 14:38 Uhr flitzt Politzkis Sohn den Weg zum Haus entlang, er hatte an der Straße als Späher die Lage ausgekundschaftet. "Mama, er ist da!" Und dann kommt der Tross. Rein ins Haus, rauf auf den Balkon. Und kurz darauf wieder runter. Nächste Szene, ein Herbstspaziergang durch den grünen Hof mit Herbstlaub. Eine Kinderschar folgt dem Kanzler auf Schritt und Tritt, immer mehr schließen sich dem Tross an. Das Ganze hat etwas von "Emil und die Detektive".

Beim nächsten Stopp erklärt Ole Beißwenger, bei der GWG verantwortlich für Neubau und Modernisierung, dem Kanzler das sogenannte Minimalprojekt. Als das Unternehmen dieses plante, wurden alle vermeintlichen Notwendigkeiten hinterfragt - mit dem Ergebnis, dass der Bau deutlich günstiger war als sonst üblich. Seit 2017 sind die Wohnungen bezogen.

Nutzte die Gelegenheit, um für ihre Anliegen zu werben: Beatrix Zurek (SPD), Vorsitzende des Münchner Mietervereins. (Foto: Robert Haas)

Neben OB Reiter und Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) sind beim Gespräch mit Scholz später auch Stadtbaurätin Elisabeth Merk und Beatrix Zurek (SPD), die Vorsitzende des Mietervereins, dabei. "Beeindruckt" seien sie gewesen, sagen beide hinterher, angesichts des Detailwissens des Bundeskanzlers. Sie habe vor allem über die Zukunft des Vorkaufsrechts und eine mögliche Mietrechtsreform gesprochen, berichtet Zurek. Bei der Entbürokratisierung des Antragsverfahrens für das Wohngeld habe Scholz sich "offen für Vorschläge" gezeigt.

Merk sagt, sie habe ein Plädoyer für klare Vorgaben vom Bund gehalten, etwa bei einem Umwandlungsverbot von Mietwohnungen in Eigentum. Diese Möglichkeit sieht das Bundesgesetz eigentlich vor, doch die dafür nötige Verordnung vom Freistaat lässt auf sich warten. Zudem habe sie dafür geworben, die Bindungsdauer für geförderte Wohnungen entweder zu verlängern oder ganz aufzuheben. Merks genereller Eindruck: Scholz sei "sehr konzentriert auf Schritte, die sich schnell umsetzen lassen".

Mieterverein-Chefin Zurek hat dann auch noch einen kleinen persönlichen Wunsch an den Bundeskanzler herangetragen. Sie hatte die ganze Zeit über eine große Papp-Hand mit dem Schriftzug "Mietenstopp" mit sich herumgetragen. Die hat sie Scholz schließlich überreicht, mit der Bitte, sie im Bundestag auf den Platz von Finanzminister Christian Lindner (FDP) zu legen.

Scholz' Reaktion? "Er hat gelächelt."

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