Schülerproteste:Schwänzen für eine bessere Welt

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Drei von tausend: Sabrina, Alina und Annika (von links nach rechts) aus Haar demonstrieren auf dem Marienplatz für den Klimaschutz. (Foto: Stephan Rumpf)

"Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels sieht": Warum sich Schüler aus Haar, Garching und Oberhaching an den Freitagsdemos beteiligen.

Von Christina Hertel

Da ist Ben, 17 Jahre alt, der für das Volksbegehren gegen das Bienensterben Plakate klebt. Und Maja, 14, die gemeinsam mit ihrer Umwelt-AG Pfandflaschen sammelt und von dem Geld ein Stück Regenwald kauft. Außerdem Sabrina, die vegan lebt und ihr Shampoo, ihre Schminksachen und ihre Wattepads selbst herstellt.

Die drei Schüler aus Haar und Oberhaching sind am Freitag nicht in die Schule gegangen. Stattdessen demonstrierten sie auf dem Marienplatz in München für den Klimaschutz - mit etwa tausend anderen Jugendlichen.

Ihr Vorbild ist Greta Thunberg, ein 15-jähriges Mädchen aus Schweden mit langen Zöpfen, die seit August vor dem Parlament in Stockholm demonstriert und so lange nicht mehr zur Schule gehen will, bis ihr Land die Ziele des Pariser Klimaabkommens erfüllt.

"Es geht nur um die Kohle."

Mit ihrer Aktion hat die Schülerin eine Bewegung ausgelöst, die auch junge Menschen im Raum München ergreift: 3500 demonstrierten vergangene Woche in der Stadt, etwa 1000 waren es diesen Freitag. Doch wie gehen die Schulen mit dem Protest um? Und wie ernst gemeint ist er tatsächlich? Ist es nicht einfach, Freitagvormittag bunte Plakate in die Luft zu halten, wenn man dafür nicht im Klassenzimmer sitzen muss?

Es ist 10.15 Uhr, eine Dreiviertelstunde bevor die Demo offiziell beginnt, und Ben Sievers beklebt am U-Bahn-Aufgang noch sein Plakat. "Es geht nur um die Kohle", steht darauf. Der 17-Jährige besucht das Oberhachinger Gymnasium, hilft beim Ortsverband der Grünen, fährt meistens mit dem Rad.

Natürlich, sagt er, sei eine Art Gruppendynamik entstanden. Als er im Sommer auf eine Umweltdemo gehen wollte, kamen gerade mal zwei Freunde mit. Vergangenen Freitag standen plötzlich 80 seiner Mitschüler mit ihm auf dem Marienplatz. Dieses Mal sind kaum halb so viele gekommen. Schon wieder alles vorbei also? "Es sind nicht mehr so viele da, weil sie dem Schulleiter nicht in den Rücken fallen wollen", sagt Maja Hengge, die auch aufs Oberhachinger Gymnasium geht. "Der hat so nett reagiert letztes Mal."

Direktor Mathias Müller hielt diese Woche vor seinen Schülern eine Rede, in der er für die Bildung warb. "Auf eine Demo während der Schulzeit ist schnell gegangenen", sagt er. "Doch die Welt verändert sich nur durch Handlungen." Er erwarte von seinen Schülern, dass sie nun konkrete Projekte initiieren. Wie die aussehen, steht noch nicht fest.

Doch am Montag sind in der Oberhachinger Aula Plakatwände aufgebaut, auf denen die Schüler ihre Ideen festhalten sollen. Bereits am Freitag nach Unterrichtsschluss traf sich eine Gruppe Schüler auf dem Pausenhof zum Müllsammeln anstatt auf dem Marienplatz zum Demonstrieren.

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Auch gemeinsam mit dem Oberhachinger Rathaus kann sich Müller Kooperationen vorstellen. Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) schrieb ihm, dass er sich die kommenden Freitage für Gespräche freihalte. "Die Demos", sagt der Schulleiter, "sind eine Chance, die Schüler für einen guten Zweck zu motivieren." Deshalb habe er bis jetzt auch noch keine Verweise ausgestellt.

Um 11.10 Uhr kommen Annika, Alina und Sabrina, 18 und 17 Jahre alt, mit der S-Bahn aus Haar am Marienplatz an. "Umweltschutz statt Kohleschmutz" haben sie auf ihre Plakate geschrieben. Und: "Wenn die Biene geht, gehen wir." Auf dem Platz stehen inzwischen an die tausend Schüler. Aus den Boxen klingt ein Lied von der Band "Die Ärzte": "Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt."

Auch die drei Mädchen interessieren sich nicht nur freitags zwischen 11 und 14 Uhr, wenn die Schule ausfällt, für den Klimawandel. Alina, eine Veganerin, sagt, sie sei schon bei einigen Umweltdemos gewesen, auch samstags. Sabrina isst nur rohes Gemüse und stellt ihre Kosmetik selbst her. Und Annika kauft kein Essen unterwegs, hat immer eine Trinkflasche dabei und in der Schule eine Tasse, damit sie für den Kaffee keinen Pappbecher braucht.

Dass Jugendlichen Klimaschutz wichtig ist, zeigt auch eine Studie, die das Umweltministerium im April 2018 veröffentlichte: Für 44 Prozent gehört demnach eine natürliche Umwelt unbedingt zu einem guten Leben. Doppelt so vielen ist es sehr wichtig, sich unter allen Umständen umweltbewusst zu verhalten, wie sich politisch zu engagieren.

Das geht auch den drei Freundinnen so. Das Thema Umwelt sei für Leute in ihrem Alter so wichtig, meinen die drei übereinstimmend, "weil wir die erste Generation sind, die die Auswirkungen des Klimawandels sieht". Dürre in Afrika, überflutete Strände, ein Meer voller Plastikinseln so groß wie ganze Länder. Zumindest zum Teil, sagen die Schülerinnen, hätten ihre Eltern ihre Einstellungen geprägt.

Die Lehrer haben sich nicht beschwert

Mit Mama und Papa besuchte Annika ihre erste Demo: 2011, als das Kernkraft in Fukushima havarierte. Ihre Eltern hätten nichts dagegen, sagt Annika, dass sie heute demonstriert statt in die Schule zu gehen. Und auch die Lehrer hätten sich nicht beschwert.

Auf den Tisch zu hauen und an alle Schüler, die fehlen, Verweise zu verteilen, sei tatsächlich nicht ihr Weg, sagt Gabriele Langner, die Schulleiterin des Haarer Ernst-Mach-Gymnasiums. Sie erwartet aber, dass die Schüler den versäumten Stoff nachholen. Außerdem sollen sich alle, die an den Demos teilnahmen, nächste Woche an zwei Nachmittagen zusammensetzen und über Umweltschutz sprechen.

Wie der Oberhachinger Schulleiter will auch die Haarer Rektorin verhindern, dass das Thema in Vergessenheit gerät, sobald die erste Begeisterung abflacht. Insgesamt, schätzt Langner, seien an den vergangenen beiden Freitagen etwa 30 bis 40 Schüler aus dem Gymnasium auf dem Marienplatz gewesen.

Aus Garching kamen sogar noch mehr. Laut Schulleiter Armin Eifertinger meldeten sich rund 70 Schüler ab. Dort müssen sich Schüler, die demonstrieren wollen, auf einer Liste eintragen. Das Sekretariat ruft dann bei sämtlichen Eltern an, um mit ihnen zu klären, ob sie damit einverstanden sind.

Eine Anweisung des Ministeriums gibt es nicht

Tatsächlich ist es den Schulen selbst überlassen, wie sie mit den Protesten umgehen. Eine Anweisung des Kultusministeriums gibt es nicht. Die Haarer Schulleiterin sagt, sie finde das gut - schließlich müsse man von Fall zu Fall unterscheiden. Doch was passiert, wenn sich Demonstrationen noch wochenlang hinziehen? Eine pauschale Antwort wollen alle drei Direktoren nicht geben. Das müsse man dann sehen, sagen sie.

Mit Schulschluss, also gegen 13 Uhr, habe sich die Zahl der Demonstranten halbiert, teilt die Pressestelle der Münchner Polizei am Nachmittag mit. Woran das liegt, will niemand bewerten - das überlasse man dem Ministerium. Natürlich sei es schwer zu beurteilen, wie ernsthaft die anderen demonstrieren, sagt Annika. "Aber alleine, wie viel Mühe sich alle mit den Schildern gegeben haben, zeigt doch etwas." Um an der Demo teilnehmen zu können, habe sie keinen Unterricht verpasst, sondern die Theaterprobe - die sei ihr eigentlich auch wichtig.

In Zukunft, sagt Annika, wolle sie darauf achten, sich noch umweltbewusster zu verhalten - so wie Ben Sievers aus Oberhaching. Er hat sich vorgenommen, in die Umwelt-AG seiner Schule einzutreten. Die Idee für sein erstes Projekt: Recyclingpapier in der Aula verkaufen.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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