Kreis und quer:Da rutscht das Hirn nach unten

Lesezeit: 2 min

Spazieren fördert das Denken - kein Wunder, dass die Lieblingsfortbewegung in der Pandemie zu allerlei kuriosen Lösungen der Verkehrsprobleme führt.

Von Udo Watter

Philosophen, Neurowissenschaftler und Flaneure sind sich einig: Gehen fördert das Denken. Besonders der Hippocampus - die Schaltstelle im Hirn zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis - reagiert sehr fein auf bestimmte Rhythmen, wie sie sich etwa beim Spazieren oder Lustwandeln entfalten. Ob Autofahren das Denken fördert? Darüber ließe sich lange und kontrovers diskutieren. Nur so viel: Der Ex-Verkehrsminister und Träger des "kleinen Doktorgrades" in Philosophie, Andreas Scheuer, hat Ideen, ein Tempolimit einzuführen, mal als "gegen jeden Menschenverstand" bezeichnet.

Er steht nicht allein da: Deutsche Autobahnen förderten ja gerade aufgrund ihres temporeichen Charakters bis hin zur hemmungslosen Höchstgeschwindigkeit die Konzentration der Wagenlenker, wird argumentiert. Sapperlot, da geht einem ja die Lichthupe auf. Dass manchen im PS-Rausch das Hirn weit nach unten rutscht, nun ja. Freilich gibt es andererseits auch aktuell Spaziergänger (oder müsste man analog zu "Demonstrierende" inzwischen "Spaziergehende" sagen?), die nicht alle zur geistigen Zierde des Landes gerechnet werden können.

In jedem Fall gibt es eine Affinität des abstrakten Denkens zur Bewegung und Mobilität, die unsere Gesellschaft elementar prägt. Der moderne Mensch, in dem immer noch das uralte Nomaden-Gen steckt, ist gern und viel unterwegs, am liebsten staufrei, zügig und pünktlich. Manchmal sogar zweckfrei. Mobilität ist denn auch ein stetes Leitmotiv in der Politik, in der aktuellen Woche entfaltete es sich aber in ganz besonderer Dichte und Vielfalt im Landkreis München. Der ist ja urban und provinziell zugleich, fungiert quasi als Schaltstelle/Hippocampus zwischen Stadt und Land, und nicht zuletzt ist es auch das Verdienst seiner Bewohner, dass die benachbarte Millionenmetropole gewöhnlich Stauhauptstadt Deutschlands wird.

Die Leute vom Fahren mit dem Auto abzubringen, Alternativen anzubieten, den Verkehrsstrom smart zu kanalisieren - es ist eine Hauptaufgabe der politischen Gegenwart. Was das Münchner Umland angeht, wurden in den vergangenen Tagen diverse Weichen gestellt, wurde sozusagen ein Gang höher geschaltet, um nicht zu sagen: grünes Licht gegeben für eine Melange von Verkehrsvisionen - U5 nach Ottobrunn, Tram nach Haar, Raketen ("Bavaria One") ins All. Dazu gab's Neues zum Carsharing in Oberhaching, zu Rufbussen in Brunnthal oder Sauerlach, zur Umrüstung von Diesel- auf Elektro- oder Wasserstoffbusse und zum Radl-Highway durch Grasbrunn nach Haar. Fehlten nur noch News zur Seilbahn zwischen Grünwald und Pullach oder die Ankündigung einer neuen Höchstgeschwindigkeit für Flöße auf der Isar.

Ob U-, Tram- oder Seilbahn-Fahren klüger macht, ist indes noch nicht ausreichend erforscht. Wäre eventuell eine Aufgabe für Garchinger TU-Studenten, falls sie der Wahrscheinlichkeitsrechnungen ob des geplanten Radschnellwegs in die Universitätsstadt überdrüssig werden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: