Flucht und Vertreibung:Landräte warnen vor "heißem Herbst"

Lesezeit: 3 min

Beamte der Bundespolizei greifen Flüchtlinge auf, die in einem Lieferwagen nach Deutschland eingeschleust wurden. (Foto: dpa)

Sollten den Kommunen weiterhin so viele Geflüchtete zugewiesen werden, drohen laut Landräte-Sprecher Thomas Eichinger in Oberbayern Turnhallenbelegungen. Er fordert schärfere Grenzkontrollen und die Umstellung von Geld- auf Sachleistungen.

Von Bernhard Lohr, München

Die Landräte in Oberbayern schlagen Alarm. Sie sehen bei der Unterbringung Geflüchteter eine Grenze erreicht. Die wachsende Zahl an Menschen, die in den 20 Landkreisen ankommen, war das bestimmende Thema eines Treffens des Bezirksverbands im Bayerischen Landkreistag, zu dem 15 Landräte am Mittwoch im Münchner Landratsamt zusammengekommen sind. Der Bezirksvorsitzende und Landrat von Landsberg am Lech, Thomas Eichinger (CSU), warnte in einer Pressekonferenz im Anschluss vor einem "heißen Herbst zum Thema Asyl in Oberbayern", in dem wieder verstärkt Turnhallen belegt werden müssten. Dazu kommt eine drohende Überforderung der Ausländerbehörden, die wegen der anstehenden Lockerung des Staatsbürgerrechts mit einer Flut von Anträgen rechnen.

Klagen gibt es aus den Landratsämtern und Kommunen im südlichen Bayern seit Längerem. Doch nun schlagen die Verantwortlichen einen schärferen Ton an, weil sie offenbar große Konflikte heraufziehen sehen. Aktuell kommt etwa alle zwei Wochen ein Bus mit 50 Geflüchteten in jedem Landkreis an, die dann von der unteren Staatsbehörde auf die jeweiligen Städte und Gemeinden verteilt werden müssen. Bis jetzt klappte das weitgehend, indem Unterkünfte angemietet und Containerdörfer errichtet wurden. In den Landkreisen Bad Tölz, Rosenheim und Mühldorf aber sind Geflüchtete auch schon in Hallen untergebracht. Daran werden laut Eichinger auch bald viele andere Landkreise nicht mehr vorbeikommen, wenn der Trend anhält. Man könne nicht innerhalb von ein paar Wochen Containeranlagen errichten.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Und die Entwicklung wird sich sogar noch weiter verschärfen. Eine Vertreterin der Regierung von Oberbayern kündigte vor den Landräten am Mittwoch an, dass der Takt der zweiwöchigen Zuteilung nicht mehr zu halten sein wird, sondern womöglich bald wöchentlich Busse in den Landkreisen ankommen werden. Auslöser für den wachsenden Druck auf die Kommunen sind die Probleme in den Ankerzentren in Oberbayern, wie etwa in München, Ingolstadt und Fürstenfeldbruck, wo die Geflüchteten mittlerweile nur noch relativ kurze Zeit bleiben.

"Das hat Spaltpotenzial für das kommunale Gefüge", warnt Landsbergs Landrat

Laut Landsbergs Landrat sind unter den Ankommenden neben Ukrainern verstärkt Menschen aus anderen Weltgegenden, etwa aus Nahost und Afrika, auch kurdische Türken seien vermehrt unter den Geflüchteten. Selbst aus Indien kämen Menschen an. Wegen der Probleme bei der Unterbringung der Menschen beobachtet Eichinger zunehmend Spannungen zwischen den Kreisbehörden und den Rathäusern. Bürgermeister reagierten immer öfter abwehrend auf Anfragen der Landratsämter. "Das hat Spaltpotenzial für das kommunale Gefüge", warnte Eichinger. Er kündigte deshalb für den Herbst einen oberbayerischen Integrationsgipfel an, bei dem Landräte und Bürgermeister die Aussprache suchen wollen.

Zusätzlich zu den Belastungen sehen die Landräte eine Welle neuer Aufgaben auf ihre Behörden zukommen: Weil der Bund das Staatsbürgerrecht und das Aufenthaltsrecht reformiert, um Arbeitskräfte leichter ins Land zu holen, sind wiederum die Ausländerbehörden in den Landratsämtern gefordert, und das schon zum Jahreswechsel. An der politischen Zielrichtung haben Eichinger und auch der Münchner Landrat Christoph Göbel (CSU) nichts auszusetzen. Aber vor allem Göbel beklagte in der Presserunde, dass die "unteren Staatsbehörden überhaupt nicht mehr wissen, wie sie das bewältigen sollen". Alleine bei ihm fehlten dadurch "über 100 Stellen" in der Ausländerbehörde. "Das hat mit ordnungsgemäßer Verwaltung staatlicher Aufgaben überhaupt nichts zu tun."

"Das ist eine Art Geschäftsmodell": Landsbergs Landrat Thomas Eichinger fordert von der Bundespolitik in Berlin Maßnahmen gegen die Flüchtlingsbewegung. (Foto: Leonhard Simon)

Die Herausforderungen für die Landratsämter seien gewaltig, bestätigte Landkreistag-Geschäftsführer Schulenburg. Man sei in der Flüchtlingsfrage an einer Überforderung. Und bei der Bearbeitung der Fälle im Staatsbürgerrecht und Ausländerrecht "droht uns Gleiches". Wenn künftig Arbeitssuchende nicht mehr in den Botschaften ihrer Länder Anträge stellten, sondern direkt in Deutschland, würden die Landratsämter überrollt.

Damit bei der Aufnahme von Geflüchteten in den nächsten Wochen nichts aus dem Ruder läuft, fordern Oberbayerns Landräte von der Bundespolitik schnelle Maßnahmen. So pochte Thomas Eichinger auf eine "bessere Kontrolle" an den Außengrenzen der EU. Die Zahl der sicheren Herkunftsländer müsse erweitert werden und es müssten bilaterale Gespräche mit Staaten aufgenommen werden, wie etwa ganz dringend wieder mit der Türkei. Außerdem müssten Eichinger zufolge Geld- in Sachleistungen umgewandelt werden. Die bisherigen Zahlungen seien ein Anreiz für viele aus Afrika, um Angehörige zu Hause unterstützen zu können. 50 Euro seien dort viel Geld. "Das ist eine Art Geschäftsmodell", so der Landsberger Landrat.

Eichinger kritisierte auch die Besserstellung ukrainischer Geflüchteter, die Leistungen aus der Grundsicherung erhalten. Dies locke vermehrt sozial schlechter gestellte Menschen aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland, was zu Konflikten mit bisher aus der Ukraine Angekommenen schüre. All diese Themen sind nach Eindruck des Sprechers der Landräte in Oberbayern mittlerweile in Berlin angekommen. Die Themen seien komplex, einfache Antworten gebe es nicht, und in jedem Landkreis sei die Situation etwas anders. Er selbst habe im Landkreis Landsberg etwa 3000 Geflüchtete und relativ gute Möglichkeiten zur Unterbringung durch Liegenschaften des Bundes. Aber bei der Rückführung von Geflüchteten komme man nicht weiter. Vergangenes Jahr sei aus dem Landkreis Landsberg nur ein einziger nicht anerkannter Asylbewerber zurückgeführt worden, in diesem Jahr sei dies bisher fünf Mal der Fall gewesen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAsylpolitik
:Wo München Platz für Flüchtlinge schafft

Noch reichen die Unterkünfte aus, Hunderte Betten sind unbenutzt. Doch weil nun wieder mehr Menschen ankommen, errichtet die Stadt schon jetzt neue Quartiere. In den betroffenen Vierteln gibt es Protest - die Standorte seien ungerecht verteilt.

Von Patrik Stäbler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: