Gastronomie:Angst vor dem frühen Zapfenstreich

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Anzapfen nur bis 22 Uhr, womöglich bald nur noch bis 21 Uhr: "Was soll ich sagen, das ist alles ganz großer Mist", sagt Holger Müller, der in Unterhaching die Waldeslust betreibt. (Foto: Claus Schunk)

Wirte im Landkreis hadern bereits jetzt mit der Sperrstunde um 22 Uhr. Wegen der steigenden Infektionszahlen müssen Lokale demnächst noch eher zusperren.

Von Stefan Galler, Unterhaching/Neubiberg

Eigentlich soll die Happy Hour vor allem dem Zweck dienen, die Gäste auch schon am frühen Abend in die Kneipe zu lotsen und mit gleichsam lukrativen wie animierenden Angeboten den Getränkeabsatz auch für die folgenden Stunden nach oben zu treiben. Getreu dem Motto: Der Durst kommt beim Trinken.

Dass diese Strategie in diesen bewegten Zeiten nicht recht hinhaut, hat einen einfachen Grund: Nach der Happy Hour ist gar nicht genug Zeit, die Bilanz aus subventionierten Drinks und solchen zum Normalpreis ins für den Wirt vernünftige Gleichgewicht zu bringen: Durch den stark gestiegenen Inzidenzwert auf 95,3 bei Neuansteckungen mit dem Coronavirus innerhalb einer Woche pro 100 000 Einwohnern im Landkreis München gilt zwar noch eine auf 22 Uhr vorgezogene Sperrstunde für Gastronomiebetriebe. Wenn die 100er-Marke erreicht ist, wie seit Sonntag in der Landeshauptstadt München, dann ist bereits um 21 Uhr Zapfenstreich.

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Die Sperrstunde um 22 Uhr bedeutete beispielsweise für Thorsten Treu, der mit seiner Frau Ingrid in Ismaning die Kneipe "Rick's Café" betreibt, dass er bereits am Freitag frühzeitig zahlreiche junge Leute nach Hause schicken musste. "Gerade freitags, wo auch wir eine Happy Hour haben, ist am Abend viel los bei uns. Da ist es schon einschneidend, wenn man statt um 2 Uhr morgens schon um zehn zumachen muss." Unter der Woche sei das nicht so dramatisch, selbst wenn auch von Montag bis Donnerstag Stammgäste kämen, die am Abend schon mal fünf bis sechs Weißbiere trinken würden. "Aber die Geschäftsleute, die in Ismaning oder Unterföhring arbeiten und zum Essen vorbeikommen, sind um zehn eigentlich schon weg", sagt Thorsten Treu. Die Belegschaft in Rick's Café achte genauestens darauf, dass die Kundschaft Masken trage und die Abstände wahre. "Von den Jungen kennen wir die meisten persönlich. Da schreiten wir schon mal ein, wenn die sich nicht so verhalten, wie es die Hygieneregeln verlangen", so Treu.

Dass es ohne dieses Engagement nicht geht, bestätigt auch Kim Hoffmann, Betriebsleiterin des "Die 2" in Neubiberg, einer Gaststätte, die die gute Küche eines Restaurants mit dem Flair eines Nachtlokals verbindet. "Bei uns hat seit Monaten kein Gast mehr einen Salzstreuer oder eine Pfeffermühle in die Hand bekommen. Wir geben keine Speisekarten mehr aus, haben ein super Hygienekonzept entwickelt, das Infektionen bei uns praktisch unmöglich macht", schildert die Tochter von "Die-2"-Gründer und -Eigentümer Klaus Hoffmann. Sie hätten die Räume so umgestaltet, dass "wir mit 60 Gästen ausreserviert sind", man habe das Abo fürs Sportfernsehen gekündigt, weil es wegen der Abstandsregeln gar nicht mehr möglich sei, ein Fußballspiel in der Bar zu zeigen. Und nun komme es ihr so vor, als ob alle Anstrengungen umsonst gewesen seien. "Unter der Woche ging es gerade noch, um 23 Uhr zuzumachen. Freitag und Samstag war auch das schon eine Katastrophe", sagt Kim Hoffmann. Das gelte erst recht für die neue Situation, in der maximal fünf Personen an einem Tisch sitzen dürfen (außer sie kommen aus höchstens zwei Haushalten), und vor allem für eine Sperrstunde um 22 Uhr oder noch früher, wie sie nun droht. "Wir müssen die Leute am Wochenende rausschieben, da gibt es Stammgäste, die wissen gar nicht, wohin." Ganz abgesehen von den logistischen Schwierigkeiten: Wie viel kauft man an Zutaten für die Speisen ein, wenn man nicht weiß, ob überhaupt jemand zum Abendessen kommt? "Die Menschen sind verunsichert, wir haben das vor allem Anfang vergangener Woche gemerkt, als zuerst kaum jemand kam und dann plötzlich doch wieder mehr", sagt Hoffmann.

Genau diese Verunsicherung ist es, welche die Gastronomie so heftig trifft, wie Angela Inselkammer sagt, die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). "Dass die Zahlen so brutal sind, liegt doch nicht allein an der Gastronomie. Ich weiß, dass sich unsere Wirte und Hoteliers an die Regeln halten. Und trotzdem denken viele sofort an die Wirtschaften", so Inselkammer. Für sie ist eine vorgezogene Sperrstunde nicht das richtige Mittel, um eine Ausbreitung des Virus zu unterbinden: "Im Lokal gelten Hygienemaßnahmen, an die sich jeder zu halten hat. Wenn ich die Leute aber um zehn vor die Tür setze, darf ich doch nicht glauben, dass die dann alle brav nach Hause gehen." Vielmehr würden die Leute dann im privaten Bereich weiterfeiern - ohne Abstand zu halten. "Im Praxistest würde sich zeigen, dass das nicht sinnvoll ist. Und wir sind ständig im Kontakt mit den Politikern, um sie davon zu überzeugen", sagt Angela Inselkammer.

Bislang erfolglos, denn Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat in seiner jüngsten Regierungserklärung angekündigt, dass bei einem Anstieg des Inzidenzwertes auf mehr als 100 die Sperrstunde auf 21 Uhr nach vorne verlegt wird. "Wir sind gezwungen, die Maßnahmen der Staatsregierung umzusetzen", sagt eine Sprecherin des Landratsamtes. Die Kontrolle in den Kommunen übernehme die örtliche Polizei, bei Verstößen drohen Gastronomen 5000 Euro Bußgeld. "Bislang gibt es laut unserer Abteilung Gewerberecht kaum Beschwerden von Wirten gegen die Maßnahmen", so die Sprecherin.

Dann haben sich die Beamten vermutlich noch nicht mit Holger Müller, dem Inhaber der "Waldeslust" in Unterhaching unterhalten. "Was soll ich sagen, das ist alles ganz großer Mist", so der Wirt, der eine große Veranstaltung nach der anderen absagen muss, auch die traditionelle Halloweenparty am nächsten Wochenende. Nicht das einzige Streichresultat für Müller: "Normalerweise bin ich zu dieser Zeit schon ausreserviert, was Weihnachtsfeiern angeht. Heuer habe ich bisher genau eine Reservierung." Bislang habe er die coronabedingten Ausfälle durch den Biergarten vor dem Lokal noch kompensieren können, doch das ist jetzt vorbei. "Ich könnte vielleicht einen Wintergarten bauen, aber bis ich die Genehmigung dafür habe, ist Corona hoffentlich vorbei."

Atilla Misel, der in Grünwald das "Banxx" betreibt, einen Billardsalon mit Sportsbar und Gastronomie, ist wegen der aktuellen Sperrzeit zutiefst frustriert: "Ich hatte schon im Frühjahr drei Monate zu. Kaum habe ich aufgesperrt, kann ich wieder dichtmachen.". Sein Laden öffnet um 18 Uhr, "vor acht kommt keiner, die meisten erst um neun, wenn sie vorher in einem Restaurant gegessen haben. Und dann muss ich sie nach einer Stunde wieder wegschicken", klagt Misel. Er habe zudem das Problem, gleich unter mehrere Kategorien zu fallen: "Wir sind eine Gaststätte, eine Vergnügungsstätte und eine Sportstätte." Deshalb würden alle Verbote für diese drei Bereiche auf sein Lokal zutreffen. Und so ist nicht viel los in dem 400 Quadratmeter großen Billardsalon, obwohl genug Platz wäre, um Abstände problemlos einzuhalten. "Die Herren, die entscheiden, können sich nicht in unsere Lage versetzen, wir stehen hier im Schlamassel. Am besten, wir machen alle zu und die Politik bezahlt unsere Kosten. Dass wir in diesen Zeiten etwas verdienen, ist sowieso aussichtslos."

© SZ vom 26.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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