Kino:In der Kunststoffkrise

Lesezeit: 3 Min.

Was die Zivilisation so hinterlässt - Isa Willingers Film wühlt das Publikum auf. (Foto: Trimafilm)

Isa Willinger hat mit "Plastic Fantastic" einen Dokumentarfilm über das Problem mit dem Plastikmüll gemacht. Bei einem Filmgespräch in München stellt sie ihn persönlich vor.

Von Josef Grübl

Die wohl wahnwitzigste Geschichte dieses an wahnwitzigen Geschichten reichen Films ist jene von "Kunos cooler Kunststoff-Kiste". Dahinter steckt der Kunststofferzeuger-Verband "Plastics Europe", dieser möchte Grundschulkindern naturwissenschaftliche Phänomene näherbringen. So heißt es zumindest. Mit einer Art Experimentierkoffer lerne man "coole" Kunststoffe wie Polyamid, Polyethylen, Polyesterharz oder PVC besser kennen. Diese Plastik-PR-Aktion wurde abgestimmt mit den Kultusministerien der Länder, es gibt Schulungen für Lehrkräfte in ganz Deutschland. So kamen bisher 16000 Koffer unters Grundschulvolk.

Kunststoffe sind eben überall, keiner kommt ohne sie aus. Das sollen wohl kleine Kinder möglichst früh lernen. Leider bleiben Kunststoffe aber auch überall, keiner weiß, was mit ihnen passiert. Plastik ist in der Luft, im Wasser, in uns. In ihrem Dokumentarfilm "Plastic Fantastic" befasst sich die Münchner Regisseurin Isa Willinger mit der Kunststoff-Industrie und welchen Einfluss sie auf uns und unsere Umwelt hat.

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40 Prozent des weltweit produzierten Plastiks sind Einwegartikel, sagt eine Wissenschaftlerin im Film, jede dritte Verpackung landet im Ozean - und damit viel zu oft in tierischen Nahrungsketten. Dass die Teilchen im Laufe der Zeit immer kleiner werden, macht die Sache nicht besser. Am Ende dringen Nanopartikel durch die Luft oder durch das Essen auch in den menschlichen Körper ein.

"Plastik in der Umwelt ist hundertprozentig inakzeptabel", sagt ausgerechnet ein Mann, den man durchaus als Mitverantwortlichen bezeichnen kann. Joshua Baca ist ein Vertreter des American Chemistry Council, einer Lobbyorganisation der Chemie- und Kunststoff-Industrie in den USA. Plastik zu verbieten, sei keine Lösung, sagt er, das würde das Problem nur verlagern. Es komme auf den Umgang damit an. Isa Willinger lässt diesen Lobbyisten ebenso zu Wort kommen wie Wissenschaftler (die eine ganz andere Meinung vertreten), Aktivistinnen, Reporter oder das Schulungspersonal von "Kunos cooler Kunststoff-Kiste". Das ist auch die Stärke ihres Films: Willinger hört erst einmal allen zu, ihre Herangehensweise ist unideologisch und differenziert. Ihre Haltung glaubt man trotzdem zu erkennen, durch die Inszenierung und Montage des Films.

Die Regisseurin Isa Willinger wurde 1980 in München geboren. (Foto: Andreas Müller)

Derzeit ist die Regisseurin unterwegs, zum Kinostart von "Plastic Fantastic" gibt es eine Kinotour mit Filmgesprächen. Am 26. Januar ist sie in München, in den Tagen davor war sie in Köln, Hamburg, Braunschweig oder Berlin. Das Interesse sei riesig, erzählt sie am Telefon, die Menschen im Publikum seien nach den Vorführungen oft schockiert und aufgewühlt, das Thema betreffe eben jeden. Vieles dürfte dem Publikum bekannt sein, es gab schon mehrere Filme zu diesem Thema, die österreichischen Dokumentarfilme "Plastic Planet" und "Matter Out Of Place" etwa oder die viel beachtete Fernsehdoku "Die Recycling-Lüge".

Sie suche für jedes Projekt eine neue Form, erzählt Willinger. Ihr Vorgängerfilm "Hi, AI" (über das Zusammentreffen von Menschen und humanoiden Robotern) etwa sei komplett ohne Interviews ausgekommen. "Der Dokumentarfilm ist ein Zwischending zwischen Kunst und Journalismus", sagt sie, "da muss sich jeder Film seinen eigenen Platz zwischen diesen beiden Polen suchen." In ihrem Plastik-Film gibt es viele "talking heads" und Text-Einblendungen, er tendiere eher in die journalistische Ecke, bestätigt sie. Große Bilder und Emotionen bietet er ebenfalls, auch wenn sie diese nicht immer selbst gefilmt hat: Es gebe so viele Aufnahmen von Plastikmüll an Stränden, dass sie welche lizensiert habe - statt selbst hinzufliegen und zu filmen. Wenn man eine Umweltdoku macht, sollte man eben auch auf den eigenen ökologischen Fußabdruck achten.

Geboren wurde Isa Willinger 1980 in München, zur Schule gegangen ist sie in Tegernsee. Nach dem Abitur zog es sie nach Prag, später nach Berlin, dort studierte sie Slawistik und Nordamerikastudien. Filme machen wollte sie aber schon immer. "Auch aus einer politischen Haltung heraus", sagt sie. Und so fing sie nach dem Ende des einen Studiums an der HFF München ein zweites an: Dort schrieb sie sich für Dokumentarfilm ein. Sie hat für ihre Filme mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Starter Filmpreis der Stadt München oder den Max Ophüls Preis: Gut möglich, dass schon bald der eine oder andere Preis hinzukommt.

Plastic Fantastic, D 2023, Regie: Isa Willinger, Filmvorführung und Gespräch, Fr., 26. Jan., 18 Uhr, Rio Filmpalast , Rosenheimer Str. 46; der Film läuft auch regulär im Rio oder Monopol

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