Religionen:Warum doch ein Friedensgebet stattfand

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Das gemeinsame Friedensgebet auf dem Marienplatz wurde eigentlich abgesagt - dann trafen sich dort aber doch Gläubige verschiedener Religionen. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Am Marienplatz versammeln sich am Montagabend trotz der Absage Menschen, um ein Zeichen zu setzen. Imam Benjamin Idriz bedauert den Verzicht auf die geplante interreligiöse Form. Auch am Tag danach bleibt offen, wer dafür den Stein ins Rollen gebracht hat. Und warum.

Von Andrea Schlaier

Am Tag nach der kurzfristigen Absage des interreligiösen Friedensgebets von Muslimen, Juden und Christen am Montagabend auf dem Marienplatz scheint nur eines klar: Man wollte keine gemeinsame Sache machen und bemerkte das erst ein paar Stunden vorher. Der Versuch, bei einem Gebet für Frieden im Nahen Osten möglichst viele Menschen der Stadtgesellschaft zu vereinen, scheiterte am Montagmittag.

Es war die Zeit, als Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das offizielle Aus vermeldete. Voraussetzung für die Übernahme seiner Schirmherrschaft sei es gewesen, so erklärte er schriftlich, dass beim von Münchner Imamen initiierten Friedensgebet auch ein Vertreter der jüdischen Glaubensgemeinschaft ein Gebet spreche. Das sei nun nicht mehr der Fall. "Das bedauere ich, habe aber auch Verständnis dafür."

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Trotzdem versammelten sich gegen 18 Uhr am Montagabend der Polizei zufolge etwa 70 Menschen auf dem Marienplatz. "Sie haben kurz gebetet und sind dann wieder friedlich gegangen." Ebenfalls dort war auch der Mitinitiator des geplanten Friedensgebetes, der Penzberger Imam und Vorsitzende des Forum für Islam München, Benjamin Idriz. "Wir haben vermutet, dass Menschen, vor allem ältere, die keine sozialen Medien haben, doch da sein werden und wollten sie informieren."

Er sei überrascht gewesen, wie viele gekommen seien, "90 Prozent nach meinem Gefühl Christen, manche kamen bis aus Ulm, Augsburg und Garmisch". Sie hätten auf Wunsch der Besucher trotzdem gemeinsam gebetet. Christlich, mit einem Vater Unser. Idriz selbst trug die Zeilen vor, die er an diesem Abend ohnehin hatte sprechen wollen.

Wer letztlich den Stein für die kurzfristige Absage ins Rollen brachte und warum, ist auch am Tag danach schwer nachzuzeichnen - die Beteiligten äußern sich öffentlich nicht. Konkret wird einzig noch einmal Benjamin Idriz. Am Sonntagabend habe sich per Mail als erster der evangelische Landesbischof Christian Kopp, der wie auch der katholische Dompfarrer Klaus Peter Franzl beim Friedensgespräch sprechen wollte, aus terminlichen Gründen entschuldigt. Er lasse sich von einem Dekan vertreten.

Um 23 Uhr, so Idriz, sei dann ebenfalls per Mail die Absage des Rabbiners Jan Guggenheim eingegangen, mit derselben Begründung. Am Vormittag schließlich habe sich Dieter Reiter mit Verweis auf die Absage der jüdischen Gemeinde gegen eine Teilnahme entschieden.

Die Sprecher der christlichen Kirchen nannten als Referenz für ihr Fernbleiben am Montagnachmittag die Absage des Oberbürgermeisters. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), bezeichnete auf X, ehemals Twitter, am Abend Reiters Entscheidung als richtig. "Die offenen Fragen der letzten Tage haben gezeigt, dass diese Veranstaltung in ihrer geplanten Form nicht die richtigen Signale würde aussenden können." Expliziter äußerte sich die IKG auch auf Nachfrage am Tag danach nicht.

Idriz klagt über "mangelnde Transparenz in der Auseinandersetzung": "Ich vermisse ein bisschen Ehrlichkeit, weil sie erst zusagen und versprechen und dann nicht einhalten." Knackpunkt, so ist am Tag danach in Hintergrundgesprächen zu hören, könnte die Tatsache sein, dass der Münchner Muslimrat Veranstalter des Friedensgebets gewesen ist. Das "Linke Bündnis gegen Antisemitismus" hatte ihm im Vorfeld der Veranstaltung die Nähe zu islamistischen Gruppen vorgeworfen.

Auch in der Stadtpolitik war das in den vergangenen Jahren immer wieder Thema; der Stadtrat hatte zuletzt 2019 eine Regelförderung der Vereinigung abgelehnt. Der Grünen-Politiker Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der ebenfalls mit Verweis auf den Muslimrat eine Absage gefordert hatte, warf der Stadt nach ihrer Entscheidung vor, es versäumt zu haben, glaubwürdige muslimische Akteure auszuwählen.

"Beck mischt sich in einer Stadt ein, in der er die Verhältnisse nicht kennt", wehrt sich Idriz, "denn die Muslime haben hier eindeutig den Hamas-Terror und jegliche Form von Gewalt und Intoleranz verurteilt."

Am Dienstagmittag distanzierte sich der Muslimrat von Äußerungen eines Imams des Islamischen Zentrums München, das auch Mitglied in der Vereinigung ist. "Jeder hat seine eigene Art, den Oktober zu feiern", hatte dieser mit einem lachenden Smiley am 7. Oktober gepostet. "Wir haben erst jetzt durch die Medien davon erfahren. Wir finden seine Aussage abscheulich", heißt es in der Stellungnahme.

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