Radioaktivität ausgetreten:Garchinger Forschungsreaktor steht nach Panne vorerst still

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Die TU spricht von einem "individuellen Bedienfehler" und wartet auf ein Signal aus dem Umweltministerium, um den Reaktor wieder anzufahren.

Von Gudrun Passarge

Nach einer Panne bei Wartungsarbeiten im Forschungsreaktor München II (FRM II), bei der mehr Radioaktivität über den Kamin in die Luft gelangte als erlaubt, ist die Technische Universität (TU) als Betreiber um Aufklärung bemüht. Die Atomaufsichtsbehörde, das bayerische Umweltministerium, teilt mit, "die Sicherheit der Bevölkerung und der Umwelt waren zu keinem Zeitpunkt gefährdet". Das Umweltministerium prüfe jetzt den Bericht. "Der Forschungsreaktor wird nur mit Zustimmung des Umweltministeriums wieder anfahren." Wegen der Corona-Krise steht der FRM II schon seit dem 17. März still.

Der Vorfall ereignete sich beim Trocknungsprozess von Ionenaustauscherharzen, die das radioaktive Nuklid C-14 aus dem schweren Wasser des Reaktorbeckens herausfiltern. Dabei wird seit 2013 eine Abscheideanlage eingesetzt, weil Ende 2012 schon einmal 92,5 Prozent des Jahresgrenzwerts von C-14 erreicht wurde. Diese Abscheideanlage soll das C-14 auffangen, doch Ende März war die Anlage beim Trocknen der Harze nicht angeschlossen, die TU spricht von einem "individuellen Bedienfehler". Die Radioaktivität entwich ungefiltert in die Luft, der gemessene Wert lag 15 Prozent über dem Jahresgenehmigungswert für C-14.

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Die TU bemerkte den Zwischenfall erst zwei Wochen später bei der quartalsmäßigen Messung. Andrea Voit, Sprecherin am Reaktor, betont, der zugelassene Jahresgrenzwert sei niedriger angesetzt als beispielsweise die Strahlenbelastung, die bei einer Röntgenaufnahme auftritt. Der radioaktive Kohlenstoff C-14 entsteht im Wasser des Reaktorbeckens, durch Verdunstung gelange er ständig auch in die Luft im Reaktor. Würde man dieses C-14 aus der Luft herausfiltern, würde das etwa 0,3 Prozent des Jahresgrenzwerts ausmachen, sagt Voit, wogegen bei der Trocknung wesentlich mehr anfalle. Weil aber die Grenzwerte nun schon überschritten sind, sei für dieses Jahr kein Trocknungsvorgang mehr vorgesehen.

Seit dem Vorfall habe die TU auf wöchentliche Messungen umgestellt. Die wenigen Ergebnisse seien noch nicht repräsentativ, aber im Moment würden nur Werte im Promillebereich des Grenzwerts über den Kamin abgegeben, erklärt die Sprecherin. Sie weist darauf hin, dass die TU in den vergangenen Jahren den Grenzwert nie ausgeschöpft habe.

Die Forschungsneutronenquelle am Garchinger Campus stand im vergangenen Jahr verstärkt im Fokus. Die TU hatte beantragt, weiterhin schwach radioaktives Wasser in die Isar zu leiten. Dagegen gingen mehr als 1000 Einwendungen ein. Das Landratsamt erteilte dennoch die Genehmigung für die nächsten 20 Jahre, mit einigen Auflagen. Dabei stand der FRM II auch schon im vergangenen Jahr neun Monate still, weil ihm Brennelemente fehlten. Frankreich hatte die Transportgenehmigung verweigert. Erst im Januar wurde der Betrieb wieder aufgenommen.

Der FRM II ist einer der wenigen Forschungsreaktoren weltweit, die mit hoch angereichertem Uran arbeiten, das als waffenfähig gilt. Deswegen gab es von Anfang an Proteste gegen die Neutronenquelle. Aktuell läuft ein Streit darüber, ob der Betrieb illegal ist, weil er nicht innerhalb einer vorgegebenen Frist auf niedriger angereichertes Uran umgestellt hat, wie es in der Genehmigung gefordert wurde.

Am Reaktor arbeiten Wissenschaftler aus der ganzen Welt, ein Drittel der Belegzeit steht jedoch der TU zu. "Wir sind komplett überbucht für die nächsten zwei Zyklen", sagt Voit, 800 Forscher stünden in der Warteschlange. So gebe es auch Anfragen von italienischen Wissenschaftlern, die zu Corona forschen wollen. Sie wollen ein Virusprotein auf bestimmte Wirkstoffe hin untersuchen, um Rückschlüsse für Medikamente zu bekommen. Die Bandbreite ist groß. Am FRM II werden Dinosauriereier oder alte Schwerter genauso durchleuchtet wie Autoteile, an denen die Verteilung der Klebstoffe untersucht wird. Einen großen Anteil nimmt die Medizinforschung ein. So liefert der FRM II Holmium und Lutetium zur Behandlung von Krebspatienten.

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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