Die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet, das Gesicht angespannt: Liegen darin Lust und Begehren oder doch Angst und Schmerz? Als die 1972 geborene Künstlerin Astrid Jahnsen vor fünf Jahren in ihrer Heimatstadt Lima über eine Internetplattform ein Konvolut aus 82 handgefertigten Heften mit Texten und pornografischen Fotografien aus den Jahren 1950 bis 1990 erwirbt, betrachtet sie die Darstellungen von Anfang an wie eine Ethnografin. Sie weiß nicht, ob der Verkäufer der Fotograf der Pornos, der Urheber der Hefte oder nur ein Sammler ist.
Sie stellt sich vor, wie sie hinter dem Fotografen steht. Wie dessen männlicher Blick die Handlungen der Protagonisten mit der Kamera einfängt. Und sie sucht nach einem Weg, die Schwarz-Weiß-Aufnahmen und die Frauen darin aus einem weiblichen Blickwinkel zu betrachten und damit "von der Gewalt zu befreien", wie sie in der Pinakothek der Moderne erzählt, wo derzeit ihre Ausstellung "On Your Knees" zu sehen ist.
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Erst nimmt sie die Hefte auseinander und collagiert sie. Dann fängt sie Teile davon fotografisch ein, bewusst digital, um nicht in Konkurrenz zu der Ästhetik und Haptik des alten analogen Materials zu treten. Sie kombiniert Bild- und Textfragmente neu, vergrößert Formate, verkleinert andere, schneidet sie eng begrenzt in schlichte, helle Holzrahmen oder setzt sie mit viel Weißraum ins Geviert. Manche präsentiert sie wie Solitäre, andere wie Dip- oder Triptychen. Und sie packt einen Teil des Materials in serielle Installationen. Fast wie ein Setzkasten wirkt eine Wand, über die die kleinformatigen Bild-Text-Elemente in unterschiedlichen Höhen fließen. Überhaupt zeichnet sich die von Franziska Kunze kuratierte Schau auch durch ihre Hängung aus, die die Bewegung der Körper beinahe nachzuahmen scheint. Es ist ein auf allen Ebenen poetischer, fast zärtlicher Umgang mit einem voller Gewalt steckenden Material.
Früher galt für Feministinnen "PorNO", heute ist "PorYes" akzeptiert
"On Your Knees" von Astrid Jahnsen ist nur eine Kabinettausstellung. Aber gerade der intime Rahmen kommt dem Thema Pornografie und Feminismus bestens zu pass. Lange Zeit als unvereinbar geltend, steht der "PorNO"-Kampagne einer Alice Schwarzer aus den Achtzigerjahren seit den Nullerjahren die "PorYes"-Bewegung des sex-positiven Feminismus' gegenüber. Astrid Jahnsen bricht mit ihrer Kameraperspektive jenen Blick auf, der die Frauen sexualisiert und zum Objekt degradiert. Ihre Werkgruppe, jüngste Neuerwerbungen der Fotografie-Abteilung der Pinakothek der Moderne, kann man durchaus als feministischen Ansatz im Rahmen der Appropriation Art werten. Zudem ist es aktuell auch mal wieder ein Künstlerinnenraum in dem Museum, das ja als das der drei großen männlichen B's gilt: Baselitz, Beuys, Beckmann.
Astrid Jahnsen: On Your Knees, Pinakothek der Moderne , Barer Str. 40, bis 25. September, Begleitpublikation (Verlag für moderne Kunst Wien) 19,95 Euro