Event:Tiefenbohrungen in der Sammlung

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Die Villa Hügel in Essen liegt in einer 28 Hektar großen Parkanlage und diente der Familie Krupp einst als Wohnsitz. Hier fand nun der SZ-Kultursalon statt. (Foto: Peter Gwiazda/Krupp-Stiftung)

Wie geht das mit dem Kuratieren heute, in Zeiten von Internet und Instagram? Das war das Thema beim SZ Kultursalon, der diesmal in der Villa Hügel in Essen stattfand.

Von Jürgen Moises, München/Essen

Als Kind, da hasste sie Museen. Zumindest hatte die Mutter von Franziska Kunze es so wahrgenommen. Also dass ihre Tochter es nicht leiden konnte, wenn man sie an der Hand etwa durch die Räume des Pergamonmuseums schleifte. Da war es dann natürlich eine Überraschung, als Franziska Kunze ihrer Mutter nach dem Abitur erzählte, dass sie jetzt Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaften studieren will. Ob sie auch noch mit derselben Verwunderung darüber reagierte, dass ihre Tochter jetzt die Leiterin der Sammlung für Fotografie und zeitbasierte Medien in der Pinakothek der Moderne in München ist? Man könnte es sich gut vorstellen. Die biografische Anekdote mit Kunzes Mutter war beim SZ Kultursalon zu erfahren, der diesmal nicht in München, sondern in der Villa Hügel in Essen stattfand.

Dorthin hatte die Leiterin der SZ-Kulturredaktion, Susanne Hermanski, die 1984 in Rostock geborene Kunsthistorikerin zusammen mit Gästen aus München und Essen eingeladen, um über das Thema "Kuratieren heute - zwischen Museum und Instagram" zu sprechen. Der mondäne Veranstaltungsraum, das ehemalige Wohnzimmer der Industriellenfamilie Krupp mit seinen unglaublichen 440 Quadratmetern, schien da zunächst mal rein in die Historie zu weisen. Aber die Villa ist nicht nur ein ehemaliges Wohn- und Repräsentationshaus. Sie beherbergt auch ein riesiges Foto-Archiv. Zudem bietet die Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, der das Gebäude gehört, ein umfangreiches Stipendien- und Förderprogramm an.

Franziska Kunze war Stipendiatin der Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Nun war sie Gesprächsgast beim SZ-Kultursalon in Essen. (Foto: Alex Muchnik/Krupp-Stiftung)

Dazu zählt auch das Stipendienprogramm "Museumskuratoren für Fotografie". Franziska Kunze hat dieses von 2017 bis 2019 absolviert, mit den Stationen Münchner Stadtmuseum, Museum Folkwang Essen, Fotomuseum Winterthur und Victoria & Albert Museum London. Was sie in den zwei Jahren gelernt hat? Das "ganze Programm", also wie man von "der Wurzel" an Ausstellungen macht. Und das dürfte nun sehr nützlich sein, jetzt, wo sie seit 2020 in der Pinakothek für eine bedeutende fotografische Sammlung mit Werken von Eva Leitolf, William Egglestone, Jeff Wall und Zoe Leonard zuständig ist. Oder auch für Videoarbeiten von Bruce Nauman, Bill Viola oder Pipilotti Rist.

Das Thema ihrer Doktorarbeit? "Opake Fotografien", was Kunze bewusst vereinfachend mit dem "Gegenteil der dokumentarischen Fotografie" umschrieb. Ein zentrales Forschungsergebnis sei dabei gewesen, dass "Fotografie immer geformt und gebildet" ist, durch "verschiedene Standorte und Macharten". Sie also immer auch "subjektiv" ist. Selbst fotografiert? Das habe sie nie, zumindest nicht im künstlerischen Sinne. Aber sie habe "einen Kurs zu einem analogen Verfahren im 19. Jahrhundert gemacht", um die Technik besser zu verstehen. Und im Kunstgeschichtsstudium in Greifswald hätten sie Objekte fotografiert. Aber ihre Fotografien jemandem zeigen? Das möchte sie niemandem zumuten.

Zu viel Bescheidenheit? Vielleicht. Man könnte es auch unprätentiös nennen, passend zum schwarzen Shirt, den weißen Sneakers, die sie an diesem Abend trug. Und allgemein zu ihrer Art, sich nicht übertrieben in den Vordergrund zu spielen. Dass sie sich in einer Zeit, in der schon das Anordnen von Erbsen als Kuratieren gilt, wie Susanne Hermanski meinte, nicht als die "große" Kuratorin à la Harald Szeemann sieht: das darf man ihr glauben. An "einem Ort mit einer festen Sammlung" sei das aber sowieso anders. Da sei "alles, was zu einer Ausstellung führt, ja das, was diesen Job ausmacht". Und da könne ein Format wie "Sammlung+" in der Pinakothek auch mal dadurch entstehen, dass man viel Zeit in der Sammlung verbringt und "kleine Tiefenbohrungen" dort vornimmt.

Instagram ist einer der neuen Kanäle, über die man vor allem jüngere Leute erreicht

Und Instagram? Das sei einer der "neuen Kanäle", mit denen man "ganz andere" und vor allem jüngere Leute erreichen, wo aber auch selbst wiederum neue Kunst entstehen kann. Die Gefahr einer Reizüberflutung durch soziale Medien? Sieht sie eigentlich nicht, weil sich mit der Technik auch "unser Aufnahmevermögen" verändere. Und höchst spannend fände sie dabei, "wie viele fotografische Künstler und Künstlerinnen nicht mehr fotografieren" und stattdessen mit dem schon vorhandenen Bilderfundus arbeiten.

Dazu gehört auch Astrid Jahnsen aus Lima, von der sie vom 19. Mai an eine Ausstellung zeigt. Die Peruanerin hat handgefertige Erotikhefte aus den 1950er bis 1990er Jahren entdeckt und davon Details reproduziert. Und es sei beeindruckend, wie sie dabei "den Kontext gedreht" hat. Neue Kontexte, die entstehen auch in der Sammlungspräsentation, die sie, so Kunze, aktuell umbauen. Sie wollen die "Chronologie aufbrechen" und schauen: "Was können wir mit den Werken erzählen?" So dass es in die heutige Zeit, also die von Instagram & Co. passt.

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