"Frauen riefen, aber man hörte sie nicht" - so hieß in den Achtzigerjahren das erste Buchprojekt des Archivs der deutschen Frauenbewegung. Ja, Frauen rufen und riefen, schon vor mehr als hundert Jahren, und immer wieder ziemlich laut.
Zum Beispiel in Den Haag, wo unter schwierigsten Umständen im Ersten Weltkrieg 1915 mehr als tausend Delegierte bei einem heute fast vergessenen Frauenfriedenskongress zusammenkamen. Sie verabschiedeten zahlreiche Resolutionen, in denen sie unter anderem Vergewaltigungen als Kriegswaffe verurteilten; sie forderten die Demokratisierung von Institutionen und Parlamenten, ein Selbstbestimmungsrecht der Völker, internationale Streitschlichtungsinstanzen und allgemeine Abrüstung. Forderungen, die langfristig zum großen Teil tatsächlich Gehör fanden und doch bis heute nichts an Aktualität verloren haben. Forderungen, die schon damals "hitzig und kontrovers" diskutiert wurden.
Denn insbesondere über Krieg und seinen Übergang in einen Friedenszustand lässt sich in jeder Gesellschaft ausgiebig streiten. Auch die Frauenbewegung war seit ihren Anfängen vielstimmig, ja gespalten, wie die Historikerin Annika Wilmers am Donnerstag im Literaturarchiv Monacensia in einem Vortrag zusammenfasste. Er bot die Einführung zu einem Wochenende, das den Abschluss und Höhepunkt des Festivals "Female Peace Palace" von Kammerspielen und Monacensia bildete. Eines Festivals, das neben sehenswerten Theaterstücken wie " Anti War Women" und " Green Corridors" auch Raum für den Gedankenaustausch in einer Versammlung, einer Assembly bieten wollte. "Raum für die Verständigung schaffen", so formulierte Monacensia-Leiterin Anke Buettner das Ziel, "in einer immer noch patriarchal und binär gedachten Welt".
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Verständigung ist bitter nötig in einer Zeit, in der nicht nur Theaterästhetiken und Genderdebatten polarisieren, sondern die Welt in vielen Ecken tatsächlich in Flammen steht. In einer Zeit, in der erstmals in Deutschland, heiß diskutiert, eine feministische Außenpolitik ausgerufen wird. In der Frauen wie Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in einem umstrittenen Manifest zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg aufrufen. Während gleichzeitig Frauen in diesem und anderen Kriegen vergewaltigt werden, in Afghanistan nicht mehr in die Schule dürfen, in Iran für die Freiheit kämpfen. Lassen sich all die Stimmen, Bedürfnisse und Interessen auf ein paar Podien abbilden - und neue Erkenntnisse gewinnen?
Erste Erkenntnis: Allein schon die Vielfalt der Stimmen und die Intensität mancher Momente wirkt inspirierend bei diesem Friedenspalast, der Länder, Generationen und Geschlechter übergreift. Gleich mitten hinein ins verminte Feld Krieg und Frieden geht es am Freitag beim Auftakt in den Kammerspielen. Das verhängnisvolle Geflecht aus Patriarchat, Militarismus und Kapitalismus beschäftigt die deutsche feministische Menschenrechtsaktivistin Kristina Lunz genauso wie die französische Politikwissenschaftlerin und Kolonialismus-Expertin Françoise Vergès. Was tun angesichts von weltweit immer mehr Konflikten und Flüchtenden, wie Lunz ausführt? Die Militarisierung sehen beide als zentrales Problem, wobei Lunz sehr klar argumentiert: Kurzfristig müsse man Menschen wie in der Ukraine über Waffenlieferungen natürlich schützen. Doch mittel- und langfristig seien andere Lösungen nötig, gewaltfreie Strukturen weltweit.
Während Lunz als Mitbegründerin eines "Centre for Feminist Foreign Policy" die Leitlinien von Außenministerin Annalena Baerbock mitgeprägt hat, glaubt Vergès aus französischer Erfahrung nicht so recht an die Glaubwürdigkeit feministischer Außenpolitik ("Blablabla") und setzt eher auf außerstaatliche Initiativen. Was die Rolle Europas angeht, ist sie ohnehin kritisch, nicht nur, was die Waffenexporte in viele Länder angeht: Wie schütze man denn etwa die Flüchtenden, die jeden Tag im Mittelmeer sterben? Und warum werde deren Rettung, werde Solidarität überhaupt immer öfter kriminalisiert?
Die "Doppelmoral des liberalen Westens" benennt am nächsten Konferenztag in der Monacensia auch Politikwissenschaftlerin Düzen Tekkal, die sich mit ihrer Menschenrechtsorganisation "Háwar.help" für Jesidinnen einsetzt. Im so analytischen wie engagierten Gespräch mit der deutsch-iranischen Journalistin Shahrzad Osterer und der Juristin Elisabeth Baier geht es insbesondere um die Frage, wie sich angesichts von Vergewaltigungen als Kriegswaffe zumindest juristische Gerechtigkeit herstellen lässt. Die Fälle zu dokumentieren, systematisch anzuzeigen und strafrechtlich zu verfolgen, das ist, so macht Baier klar, ein zwar mühsamer, aber wichtiger Weg. Sichtbarkeit und Öffentlichkeit könnten auch zur Heilung traumatisierter Frauen beitragen, ergänzt Tekkal.
Und was ist mit der Heilkraft der Kunst? Sie wird nicht nur in einem abgedrehten Video von Angela Aux und Su Steinmassl beschworen, das die Ideen der Schriftstellerin und unangepassten Pazifistin Annette Kolb als universell gültig in die Zukunft beamt. Auf einem emotional aufgeladenen Podium mit Texten und Statements der belarussischen Dichterin Volha Hapeyeva, der syrischen Theaterautorin Anna Akkash und der ukrainischen Dramatikerin Natalia Vorozhbyt ("Green Corridors") spürt man jedoch auch, wie sehr bei diesen von Krieg oder Exil belasteten Autorinnen jede Zeile einer unerbittlichen Realität abgerungen ist.
Dass eine Assembly im Jahr 2023 aber auch spielerisch-interaktive Elemente, digitale Schnipsel und Kekse für alle umfassen kann, beweist abschließend eine "Queer Talk Show" von Zain Salam Assaad und Ozi Ozar - auf kluge Weise so unterhaltsam wie sehr ernst. Denn mit dem Thema Exil und Widerstand kennen sich beide, aus Syrien und Iran stammend, nur allzu gut aus. Was ihnen bei allen Problemen Hoffnung gibt? "Gemeinschaft", sagt Zain Salam Assaad.
Die bleibt auch als eine Hoffnung dieser Assembly. Denn Resolutionen werden beim internationalen Frauenfriedenspalast 2023 zwar nicht verabschiedet, umso wichtiger ist das Netzwerken, der analoge und digitale Austausch. Unterstützt wird er durch zehn Stipendien, mit deren Hilfe junge Aktivistinnen aus diversen Ländern anreisen konnten, die sich auch in den Fragerunden einmischen.
Und was ist mit den Erkenntnissen, den Visionen? Was können nicht nur Regierungen und Organisationen, was kann die oder der Einzelne für den Weltfrieden tun? Auf diese Frage einer Teilnehmerin hat die in den Kämpfen vieler Jahrzehnte erprobte Aktivistin Françoise Vergès etliche Antworten zu bieten: Sich selbst ständig weiterbilden. Dinge hinterfragen. Neugierig bleiben. Schauen, was sich in der eigenen Nachbarschaft verändern lässt. Die Kraft der Imagination nicht vergessen. Und sich immer wieder klarmachen: Revolutionärer Friede bedeutet nicht nur das Ende von Bomben und Krieg, es braucht dafür auch eine bessere, gerechtere Welt. Frauen rufen.