Wie lässt sich Frieden schaffen ohne Waffen? Diese Frage ist hochaktuell und doch ein Dauerthema. Ist es speziell ein Frauenthema? Natürlich nicht. Und irgendwie doch. Frauen sind nicht nur passiv und massiv von den Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen betroffen, sie haben im Laufe der Geschichte auch immer wieder aktiv und lautstark ihre Stimmen für den Frieden erhoben - und tun das nun wieder.
Das Festival "Female Peace Palace", das die Münchner Kammerspiele und das Literaturarchiv Monacensia vom 31. März bis zum 23. April ausrichten, widmet sich "dem Mut, den Forderungen und den Kämpfen von Frauen in Krieg und Widerstand". Man wolle einen Bogen von historischen Stimmen ins Heute schlagen, sagte Kammerspiel-Intendantin Barbara Mundel kürzlich bei einer Pressekonferenz zum Programm, es gehe um "Arbeit an der Gegenwart". Man wolle zum "ernsthaften Nachdenken mobilisieren", bekräftigt auch Monacensia-Leiterin Anke Buettner. Das soll mit Theaterstücken geschehen, Gesprächen in einer großen Versammlung und vielen kleineren Aktionen. Ein Überblick.
Die Vorgängerinnen
Inspiration findet das Festival in der Geschichte: dem "Ersten Frauenfriedenskongress", der 1915 in Den Haag stattfand. Man stelle sich vor: Mitten im Ersten Weltkrieg machten sich mehr als tausend Frauen aus 16 Nationen auf den Weg, um über Politik und Völkerrecht zu diskutieren und Forderungen aufzustellen. Pazifismus und Feminismus fanden zusammen in einer nicht nur logistisch anspruchsvollen Unternehmung: Die Rechte von Frauen waren damals noch alles andere als selbstverständlich, entsprechende Vereinigungen wurden angefeindet; in Deutschland etwa durften Frauen erst drei Jahre später erstmals wählen.
Umso motivierter waren die Frauenrechtlerinnen, die den Kongress organisierten, neben den deutschen Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann insbesondere die niederländische Pazifistin Aletta Jacobs. Der Kongress machte für die damalige Zeit revolutionäre Vorschläge, forderte zum Beispiel die Einrichtung eines ständigen internationalen Gerichtshofes (den es heute ja tatsächlich in Den Haag gibt). Die Delegierten prangerten Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe an. Sie appellierten an die Staaten, alle Mittel der Diplomatie zu nutzen. Und sie gründeten einen "Internationalen Ausschuss für dauernden Frieden", der unter dem Namen "Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit" bis heute tätig ist.
Mehr dazu lässt sich am Donnerstag, 20. April, 17 Uhr, in der Monacensia erfahren: Dann werden Laura Schibbe vom Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel und Annika Wilmers vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung in Frankfurt die Bedeutung des einstigen Kongresses und seine Folgen bis heute beleuchten.
Aufrufe für die Gegenwart
Die Fragen von einst sind aktueller denn je in einer Zeit, in der Krieg in Europa herrscht, in der die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock eine feministische Außenpolitik nicht nur fordert, sondern auch umsetzen will - und eine Politikerin wie Sahra Wagenknecht und eine Feministin wie Alice Schwarzer mit umstrittenen Aktionen für den Frieden eintreten. Ein Symposium beziehungsweise eine "Assembly" in der Monacensia soll am Freitag, 24. April, und Samstag, 25. April, daher wichtige Fragen zwischen Krieg und Frieden diskutieren. Zunächst werden am Freitagabend drei Expertinnen über feministische Forderungen von 1915 bis heute sprechen. Mit dabei sind von 18.30 Uhr an Golineh Atai, Leiterin des ZDF-Studios in Kairo, die Politikwissenschaftlerin Françoise Vergès sowie Kristina Lunz: Die Co-Gründerin des Center for Feminist Foreign Policy hat an den Leitlinien der neuen Außenpolitik Baerbocks mitgeschrieben.
Am Samstag ist der ganze Tag der weltweiten Gefährdung wie auch den Möglichkeiten des Widerstands von Frauen im Krieg gewidmet. Bei einer Podiumsdiskussion um 11.30 Uhr sind die Journalistin und Menschenrechtlerin Düzen Tekkal zu erleben, die Rechtsanwältin Elisabeth Baier und die Autorin und BR-Moderatorin Shahrzad Osterer. Um 14 Uhr lesen die im deutschen Exil lebende belarussische Dichterin Volha Hapeyeva, die Kiewer Dramatikerin Natalia Vorozhbyt und die Dramatikerin Anna Akkash aus Damaskus. Es wird um 16 Uhr eine "Queer Talk Show" mit Zain Salam Assaad und Ozi Ozar geben. Und wie schon der Donnerstag und Freitag klingt auch der Samstag mit passenden Theateraufführungen an den Kammerspielen aus - und mit einer Party.
Die Theaterpremieren
Vier Premieren wird es beim Festival "Female Peace Palace" in den Kammerspielen geben, zwei kleinere, wendigere Performances und zwei größere Uraufführungen im Schauspielhaus und in der Therese-Giehse-Halle. Schon allein daran lässt sich ablesen, welchen Stellenwert das Festival in den Kammerspielen hat und mit welchem Aufwand es umgesetzt wird.
Den Beginn macht am 31. März die recherchebasierte Produktion "Anti War Women", ein Auftragswerk, das in den Händen von Jessica Glause liegt, die Uraufführung wird im Schauspielhaus zu sehen sein. Für "Anti War Women" haben sich die Regisseurin und ihr Team tief in die Historie des Frauenfriedenskongresses in Den Haag im Jahr 1915 eingearbeitet. Die Protokolle der Sitzungen sind die Basis, auf der der Abend operiert. Einzelne Protagonistinnen wie die Juristin und Aktivistin Anita Augspurg, ihre Partnerin und Frauenrechtlerin Lida Gustava Heymann oder auch Hope Bridges Adams Lehmann, die erste Gynäkologin Münchens, sind Figuren des Stücks sowie die Schriftstellerin Franziska zu Reventlow. Dieser gehört an dem Abend ein eigener Erzählstrang, der die unglaubliche Geschichte aufnimmt, wie Reventlow ihrem Sohn zur Flucht vor dem weiteren Kriegseinsatz verhalf.
Im Kern zeigt die Uraufführung, wie furchtlos, unbeirrt und mutig die Frauen mitten im Krieg agierten. Dass sie es schafften, einen internationalen Kongress einzuberufen, der sich mit Frauenrechten und mit dem Frieden befasste. Und er zeigt, wie weitsichtig hier an Forderungen gearbeitet wurde, deren Umsetzung später - aber auch nur zum Teil - Männer in die Hand nahmen. Dies geschah freilich, ohne die Urheberquelle zu benennen.
Die zweite große Premiere blickt nicht zurück, sondern unmittelbar auf die Gegenwart: Die ukrainische Autorin Natalia Vorozhbyt hat im Auftrag der Kammerspiele das Stück "Green Corridors" geschrieben, Theatermittelzauberer Jan-Christoph Gockel inszeniert, Premiere ist am 14. April in der Therese-Giehse-Halle. Das Thema ist der Krieg in der Ukraine und die Fluchtbewegung in den Westen.
Vorozhbyt hatte bereits 2017 mit "Bad Roads" ("Zerstörte Straßen") ein tiefgehendes, zur Zeit auch in Deutschland gern inszeniertes Stück zum Krieg in ihrem Land geschrieben. Damals reiste sie für die Recherche in den Donbass und schrieb sechs unterschiedliche, schwarzhumorige Szenen.
Auch in "Green Corridors" - der Titel spielt auf die eingerichteten Fluchtkorridore für die Zivilbevölkerung an - bleibt sie bei einer episodenhaften Struktur, behält aber in den Szenen vier Protagonistinnen bei, ukrainische Frauen, die aus verschiedenen Landesteilen auf der Flucht sind. Sie treffen am Grenzübergang zusammen, hinzu kommen diverse andere Figuren. Sie alle sind vom Krieg und von ihren Traumata beschädigt und kämpfen doch in diesem Ausnahmealltag darum, dass es irgendwie weitergeht. Vorozhbyt, die immer noch in Kiew lebt, hat den Text unter dem Eindruck einer eigenen Flucht aufgeschrieben.
Diese beiden großen Produktionen ergänzen die Kammerspiele um zwei Performances: Zunächst geht es in der halbstündigen Intervention "In My Hands I Carry" von Miriam Ibrahim am 14. April im Foyer des Schauspielhauses um die afroamerikanische Frauen- und Bürgerrechtlerin Mary Church Terrell. Knapp eine Woche später, am 20. April, richtet Emre Koyuncuoglu im Werkraum eine Performance um die umstrittene türkische Freiheitskämpferin Halide Edip Adivar ein.
Weiteres Theaterprogramm
Starke Frauen - um dieses Zentrum kreisen natürlich auch bereits andere Produktionen der Kammerspiele, die nun sinnhaft in das Festival integriert werden. Das liegt vor allem bei "Bayerische Suffragetten" (23.4.) auf der Hand. Den Abend, der im Juni 2021 Premiere hatte, hat ebenfalls Jessica Glause konzipiert und dann selbst Regie geführt. Es geht um die frühe, bürgerliche Frauenbewegung zwischen 1886 und 1899, zentrale Figuren des Abends sind die drei Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg, Sophia Goudstikker und Ika Freudenberg.
Ebenfalls im Rahmen des Festivals wird Felicitas Bruckers Romanadaption "Die Freiheit einer Frau" nach Édouard Louis gezeigt (28.3. und 11.4.). Darin erzählt der französische Literatur-Shootingstar von seiner Mutter, die sich aus sozial prekären Verhältnissen in die Unabhängigkeit befreit. Einen Kampf gegen die männlich dominierte Gesellschaft und gegen die Spießigkeit des Wirtschaftswunderdeutschlands führte auch die Schriftstellerin Gisela Elsner. Ihr Werk, das heute weitgehend vergessen ist, hat Pınar Karabulut in einen ihrer schrillen, bunten Abende gepackt mit dem Titel "Der Sprung vom Elfenbeinturm" (19.4.). Und nicht zuletzt zeigen die Kammerspiele auch ihre junge Produktion "Licht": Unwiederbringliche Abende sind dies, in denen jesidische Frauen genau einmal ihre Geschichte auf großer Bühne erzählen.
Podcasts und mehr
Zu viel zu sehen? Dann vielleicht einfach nur mal hinhören. Die Autorin Fabienne Imlinger betreut im Rahmen des Festivals einen ambitionierten Podcast, einige Folgen sind bereits online. In Gesprächen mit vielen Expertinnen geht es um Themen wie intersektionalen Feminismus (also das Gebot, neben Sexismus auch andere Formen von Diskriminierung zu bekämpfen). Oder um die interessante Frage, warum weiblicher Widerstand selten Gegenstand der Geschichtsschreibung ist.
Auch der Protest-Nachwuchs kann sich inspirieren lassen, zum Beispiel von Münchner Aktivistinnen, die 1912 in geschmückten Pferdefuhrwerken durch die Stadt ratterten, um auf einen Frauenstimmrechts-Kongress hinzuweisen. In einem "Peace Palace Camp" vom 11. bis 15. April können junge Menschen im Alter von 14 bis 23 Jahren eigene Ideen entwickeln - und in einem Abschluss-Spektakel selbst durch die Stadt ziehen.
Noch nicht genug der Anregungen? Dann vielleicht am Ende mal kurz komplett abdrehen mit "Die Mysteriöse Reisende aus Kosmos7". Angela Aux und Su Steinmassl haben sich für diese "futuristische Videoarbeit" von Briefen und Romanen der Schriftstellerin Annette Kolb inspirieren lassen. Sie entwickeln daraus die Vision eines "feministischen Exoplaneten" im Jahr 2222. So ernst die Lage ist, die der "Female Peace Palace" insgesamt umkreist: Das kann ja doch auch heiter werden.
Female Peace Palace, Festival, 31. März bis 23. April, Münchner Kammerspiele und Monacensia, Programminfos: muenchner-kammerspiele.de