Es war mitten in der Nacht, als der Patient auf einmal versuchte aufzustehen. Doch er war fixiert, sein Versuch missglückte - der Mann wurde laut. Sofort kamen meine Kollegen angelaufen, um ihn zu beruhigen, sie erklärten ihm, dass er in seinem Zustand unbedingt liegen bleiben müsse. Doch es dauerte, ehe wieder Ruhe einkehrte.
Das alles erzählte mir mein eigener Patient einige Stunden später, als ich ihn in meinem Spätdienst versorgte - er teilte sich ein Zimmer mit dem Mann, der so umhergepoltert hatte. Noch immer war mein Patient nervös und schockiert von den Erlebnissen der Nacht. "Sie haben Glück, dass ich noch da bin", sagte er schließlich zu mir, "ich wollte nur noch weg." Mein Patient hatte Angst - Angst vor seinem Zimmergenossen.
Der war bei uns, weil er verschiedene Drogen eingenommen hatte - Benzos, Amphetamine... ich kann mich gar nicht mehr genau erinnern, was noch alles. Der Mann nahm an einem Methadon-Programm teil. Das ist eine Drogenersatztherapie, bei der vorzugsweise Heroinabhängige kontrolliert Methadon verabreicht bekommen. Das Methadon verhindert einen körperlichen Entzug, verursacht jedoch keinen Rausch. Für viele Menschen mit langjähriger Suchtgeschichte ist solch ein Programm die einzige Chance, um wieder aktiv an einem geregelten Leben teilnehmen zu können.
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Manchmal kommt es aber vor, dass Betroffene trotz des Methadons den Rauschzustand suchen und darum auch zu anderen Drogen greifen - Suchtkrankheiten sind nie einfach. Und solch ein Verhalten führt schnell zu einer Überdosis. So war es auch in diesem Fall: Der Mann kam bewusstlos zu uns auf die Intensivstation, wo wir ihn an die Überwachungsmonitore anschlossen, damit er kontrolliert seinen Rausch ausschlafen konnte.
Wenn bei Patienten mehrere Drogen eine Rolle spielen, treffen wir in unserer Abteilung bestimmte Sicherheitsvorkehrungen, gleiches gilt für stark alkoholisierte oder suizidale Patienten: Wir versuchen stets, sie so nah wie möglich an unserer Stationszentrale unterzubringen und räumen alkoholische Sachen wie Desinfektionssprays aus den Zimmern, schließen Fenster und Jalousien.
Für wache und ansprechbare Zimmernachbarn kann das eine schwierige Situation sein. Natürlich erklären wir die Gründe, doch müssen wir dabei die Privatsphäre und den Datenschutz beachten: Zu sehr ins Detail dürfen wir nicht gehen. Da bleiben Fragen offen, die verunsichernd wirken können. Bei meinem Patienten kam erschwerend hinzu, dass er seinen Zimmernachbarn nicht sehen konnte - der Vorhang zwischen den Patientenbetten blieb geschlossen, um die Privatsphäre zu gewähren.
Ich konnte verstehen, dass mein Patient lieber woanders liegen wollte: Klar ist es unangenehm, wenn neben einem jemand liegt, von dem man nichts weiß, und man mitbekommt, wie er fixiert wird und noch andere Vorkehrungen getroffen werden. Aber ein Krankenhaus ist eben auch kein Hotel. Meinem Patienten spielte in die Hände, dass wir in der Regel eine höhere Bettenkapazität haben, als wir personell betreiben können - deshalb hatten ihn meine Kollegen aus der Nacht in ein anderes Zimmer verlegen können.
Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.