SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 136:"Unsere Patienten waren verdammt jung"

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Manchmal gibt es in der Arbeit von Pola Gülberg Fälle, die die gesamte Station bewegen. Einer davon geschah im nun vergangenen Jahr 2023. (Foto: Lars Penning/dpa)

Wenn Pola Gülberg auf das Jahr 2023 blickt, dann war einiges anders als sie es gewohnt ist. Ein positives Highlight hatte sie trotzdem - nicht nur sie, sondern die ganze Ebersberger Intensivstation.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Wenn ich über meine Arbeit im Jahr 2023 nachdenke, dann stelle ich eines fest: Unsere Patienten waren verdammt jung. Nicht alle natürlich, aber mir sind mehr in Erinnerung geblieben als in den vorangegangenen Jahren. Als mir das aufgefallen ist, habe ich mich erschrocken. Klar ist es im Grunde nie schön, wenn jemand so krank ist, dass wir ihn auf Intensiv versorgen müssen. Aber je jünger die Patienten sind, desto belastender empfinde ich es - es hat einen Grund, warum ich keine Kinderkrankenpflegerin geworden bin. Umso schöner war der Ausgang eines Falls, der gegen Ende des Jahres bei uns passiert ist.

Der Patient war erst Mitte 20, schlank, sportlich, gesund - doch auf einmal war er zusammengebrochen. Ein Glück, dass er nicht alleine war: Sein Kumpel fand ihn, alarmierte sofort den Rettungsdienst und begann mit der Reanimation.

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Seit Jahren arbeitet Pola Gülberg in der Frühschicht an Neujahr - eigentlich ein Dienst wie jeder andere auch. Nur die eine oder andere Leckerei findet sich in der Personalküche und manchmal gibt es einen Überraschungsanruf um fünf Uhr morgens.

Protokoll: Johanna Feckl

Bei uns hing der junge Mann dann an einer Beatmungsmaschine. Die Ärzte legten ihn in eine tiefe Narkose und kühlten seine Körpertemperatur herab, damit er alle Energie in die Regeneration stecken konnte. Für uns galt es, die Frage zu beantworten: Wieso haut es jemanden in dem Alter aus dem Nichts einfach um?

Wir fanden keine Erklärung. Dabei gab es unzählige Tests. Noch mehr Rätsel bereitete uns, dass sich der junge Mann zwar eigentlich gut stabilisierte, aber jeder Entwöhnungsversuch von der Beatmungsmaschine missglückte. Niemand konnte sich erklären, was da nur los war. Es war frustrierend, und zwar nicht nur für die Ärzte und Pflegekräfte, die ihn versorgten, sondern für uns alle auf der Intensivstation. Ein junger Patient, der plötzlich so unerklärlich krank ist - solch seltene Fälle treiben alle um.

Doch irgendwann, nach gut drei Wochen an der Beatmungsmaschine, klappte es endlich: Er konnte wieder selbständig atmen, war wach und kontaktfähig. Zwar wirkte er auch nach ein paar Tagen immer noch verwirrt - er wollte gleich loslegen, aus dem Bett aufstehen und gehen, als wäre alles wie immer. Doch er hatte einen Herzstillstand. Da braucht auch ein junger Kerl wie er Geduld. Er musste erst einmal wieder lernen, richtig zu sitzen, zu stehen und zu gehen.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Trotzdem machte er großartige Fortschritte. Die Ärzte implantierten ihm einen Defibrillator, der dafür sorgt, dass sein Herz nicht noch einmal unerwartet stehen bleibt. Denn warum das geschehen war, wusste noch immer niemand. Bald darauf begannen die Ärzte, für ihn einen Reha-Platz zu suchen. Gar nicht so leicht, aber nach ein paar Stolpersteinen hatten wir endlich eine Zusage.

Schließlich verließ er unsere Station, und zwar gehend! Bestimmt acht Kollegen aus dem Pflege- und Ärzteteam und ich verabschiedeten ihn an unserem Stützpunkt, jeder von uns mit einem riesigen Lächeln im Gesicht. Es war so schön für uns, ihn nach all den Sorgen und Rückschlägen nun in solch einem guten Zustand zu sehen. Ich hoffe sehr, dass er sich eines Tages bei uns melden wird und erzählt, wie es ihm ergangen ist - wir alle im Team tun das. Er war unser Highlight im Jahr 2023.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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