SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 151:Der Herr des Ringes

Lesezeit: 2 min

Wenn es nach dem Patienten von Pola Gülberg ging, dann war ganz klar, an wen sein Ring nach seinem Tod gehen sollte. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Pola Gülbergs Patient liegt im Sterben. Den Ring, den er trägt, soll eine seiner Töchter bekommen, um ihn an seinen einzigen Enkelsohn zu übergeben - ein altes Familienerbstück. Doch es kommt ganz anders.

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Mein Patient, um die 80 Jahre alt, trug einen Ring am Finger. Er war ansprechbar, also bat ich ihn, sein Schmuckstück abzunehmen. Denn wenn man nur liegt und Infusionen bekommt, dann schwellen Gliedmaßen leicht an. Schon ein paar Mal haben wir einen Ring deshalb fast nicht mehr abbekommen. Mit Tricks wie Creme, Seife, Öl oder einem Faden hat es bisher noch immer geklappt. Sollte das aber nicht funktionieren, dann bleibt nur noch das Aufsägen des Ringes, damit er den Finger darunter nicht komplett abschnürt. "Nein, der soll bei mir bleiben, solange es geht", sagte mein Patient jedoch. Der Ring schien einen großen ideellen Wert für ihn zu haben.

Ich hatte recht: Der Mann erzählte mir, dass es sich um ein altes Familienerbstück handelt, der immer an den erstgeborenen Sohn weitergereicht wird, "das ist ein Männerring", betonte er. Er selbst hatte zwei Töchter, deshalb sollte sein einziger Enkelsohn den Ring bekommen, wenn er einmal nicht mehr war.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 118
:Die Hürden sind hoch

Damit es in Deutschland zu einer Organspende kommt, müssen viele Kriterien erfüllt werden. Pola Gülberg erklärt sie - und räumt mit dem Vorurteil auf, dass Motorradfahrer mit Spenderausweis nach einem Unfall nicht ausreichend versorgt werden.

Protokoll: Johanna Feckl

Am nächsten Tag waren seine Hände um einiges dicker geworden. "Wenn Sie sichergehen möchten, dass der Ring in einem Stück bleibt, dann sollten wir den jetzt wirklich abnehmen", sagte ich. Mein Patient war einsichtig. Während er mir den Ring übergab, blickte er mich beinahe flehend an: "Aber ich möchte nicht, dass die Kinder über den Ring streiten."

Da erfuhr ich von ihm, dass seine beiden Töchter im Streit miteinander waren. Ihn trieb die Sorge um, dass die eine ohne Sohn der anderen mit Sohn den Ring wegnehmen würde. Mehrere Male haben wir in den Tagen darauf die besagte Tochter bei ihren Besuchen auf den Ring angesprochen, ob sie ihn mitnehmen wolle. Jedes Mal lehnte sie ab. Sie wollte, dass das Schmuckstück in der Nähe ihres Vaters blieb, solange er lebte.

Währenddessen ging es ihm zunehmend schlechter. Er lag im Sterben. Wir benachrichtigten beide Töchter - die ohne Sohn kam noch in der Nacht in die Klinik und fragte unter anderem nach dem Ring. "Ach, ich nehme den schon mal mit und geb ihn dann meiner Schwester", soll sie gesagt haben, so schilderte es meine Kollegin. Wir hatten die Erlaubnis, beide Töchter über den Zustand ihres Vaters in Kenntnis zu setzen - für uns waren sie gleichberechtigt. Und so händigte meine Kollegin der Frau gegen Unterschrift den Ring aus - an genau jene Tochter, die ihn nicht haben sollte.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Später erzählte mir die andere Tochter die Hintergründe zum Streit mit ihrer Schwester. Sie machte uns keinen Vorwurf, das wäre auch nicht gerechtfertigt gewesen. Niemand von uns hat etwas falsch gemacht. Meine Kollegin plagte trotzdem ein schlechtes Gewissen, sie wusste nicht, dass es bei dem Streit auch um den Ring ging.

Letztlich ist mir der Inhalt des Streits egal. Es war der letzte Wunsch meines Patienten, dass sein Enkelsohn den Ring erhält. Es macht mich traurig und tut mir leid für ihn, dass es damit nicht geklappt hat. Ich hoffe sehr, dass die beiden Schwestern die Situation klären konnten - und ihrem Vater den letzten Wunsch doch noch erfüllt haben.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 39-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGleichgeschlechtliche Paare im Landkreis
:"Ich glaube nicht, dass Gott einen Fehler gemacht hat"

Seit Dezember 2023 dürfen homosexuelle Paare seitens der katholischen Kirche gesegnet werden - nun auch offiziell. Die Steinhöringerin Lisa Müller und ihre Frau machten aber schon vorher einen ganz besonderen Tag aus ihrer Segnung.

Von Franziska Langhammer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: