Der Freistaat Bayern hat seine Reserven des Impfstoffs von Astra Zeneca freigegeben, und mehrere bayerische Landkreise, auch der Dachauer, verabreichen das Vakzin unter Hochdruck - ohne Rücksicht auf die bisherige Priorisierung an Personen, die älter als 60 Jahre sind. Die Ständige Impfkommission empfiehlt das Vakzin nur noch für diese Altersgruppe. In Deutschland sind bei Personen zwischen 20 und 60 Jahren nach einer Impfung mit Astra Zeneca in 42 Fällen seltene Hirnvenenthrombosen aufgetreten. Das hat zur Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Die Impfaktion im Landkreis läuft noch bis Sonntag. Der Dachauer Hausarzt Stephan Herf, 53, spricht über die Angst vor dem Impfstoff und wirbt für ihn.
SZ: Als Hausarzt sind Sie bereits geimpft. Mit welchem Impfstoff?
Stephan Herf: Ich wurde, weil ich seit Beginn der Pandemie diese Gefährdung hatte mit 500 Kontakten in der Betreuung zu Corona-positiven Menschen, ganz früh schon am 31. Dezember mit Biontech geimpft. Einfach weil zu dieser Zeit noch kein anderer Impfstoff verfügbar war.
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Was ist der Vorteil von Astra Zeneca?
Wir erleben, dass gerade die älteren Leute sagen: 'Astra möchte ich nicht.' Wenn wir nach England schauen - die haben sehr viel Astra Zeneca verimpft, die haben ihre Todeszahlen runtergebracht, öffnen die Bars. Das ist die Wirkung von Astra Zeneca. Die Nebenwirkungsprofile bei Älteren bei Astra Zeneca sind extrem gering. Die Impfreaktionen wie Fieber und Kopfschmerzen, die man bei Jüngeren sieht, sind bei den Älteren kaum vorhanden. Das ist etwas, warum dieser Impfstoff eigentlich für die Älteren vernünftig wäre. Vor allem, weil sich in der Schottland-Studie gezeigt hat, dass er nach der ersten Impfung schon sehr, sehr gut, zu 95 Prozent, vor Tod und schweren Verläufen schützt, was bei Biontech nicht der Fall ist.
Wieso wurde der Impfstoff dann zunächst nicht für die über 60-Jährigen freigegeben, und jetzt nur noch für diese Gruppe empfohlen?
Das liegt daran, dass sich der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko) trotz einer Katastrophensituation und Pandemie ganz strikt an alle Regeln hält. Das heißt, er kriegt alle Zulassungsdaten zu Astra geliefert und hat festgestellt: Da sind sehr wenig Daten von über 60-Jährigen miteingeschlossen. Und diese Datenlage war für die Impfkommission zu gering. Das ist etwas, das ich sehr bedauere. Man hätte zum gleichen Zeitpunkt nach England schauen können, da ist Astra schon millionenfach verimpft worden, auch wenn es dort keine einwandfreie wissenschaftliche Begleitung der Impfungen gab. Nur deshalb, weil die Datenlage in der Zulassungsstudie nicht gut genug war, hat die Stiko die Verantwortung nicht übernommen. Meiner Meinung nach wäre es darstellbar gewesen, wenn man die vielen Impfdosen aus Amerika und England in die Daten miteinbezogen hätte. Aber das weiß man im Nachhinein immer besser.
Wie wird der Impfstoff Astra Zeneca in Ihrer Praxis angenommen?
Der Grund, warum ich mich überhaupt an die Presse wende, ist, dass ich es ganz tragisch finde, wenn mir eine 70-jährige Frau sagt: 'Für mich nur das Beste, bitte Biontech.' Wohlwissend, dass es für sie womöglich gar nicht das Beste, sondern nur das Zweitbeste ist. Und ich mir gleichzeitig denke, dass diese Frau unsolidarisch mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin umgeht, weil denen kann ich den Impfstoff im Moment sowieso nicht geben.
Woher kommt diese Verunsicherung?
Das kommt in erster Linie davon, dass jeder Mensch glaubt, er könne das Wissenschaftsstudium von Christian Drosten nachempfinden. Letztendlich bräuchte man sich als normaldenkender Mensch nur fragen: Was sagt die WHO? Uneingeschränkt empfohlen. Was sagt die EMA? Uneingeschränkt empfohlen. Was sehen wir in England? Mit Astra Zeneca eine Pandemiebekämpfung, die funktioniert hat. Ich möchte, dass im Vordergrund die Information steht, dass Leute, die sich impfen lassen, sich dadurch solidarisch zeigen.
Wie kann man der Ablehnung, aber auch der Verunsicherung entgegentreten?
Mit Mathematik. Wenn man einfach erklärt, wie die Mathematik ist, wie hoch ist das Risiko, an Corona zu erkranken, wie hoch ist das Risiko, mit dem Fahrrad zur Impfpraxis zu fahren und zu versterben im Verhältnis zum Risiko, dass ich geimpft werde. Mathematik wäre die Antwort auf diese Fragen. Aber Mathematik ist nicht für jeden leicht zugänglich, das muss man auch dazu sagen. Es wäre wichtig, dass die Leute mehr über die Krankheit reden, damit klar wird, wie hoch das Risiko dieser Krankheit ist.
Wenn der Impfstoff so abgelehnt wird, wurde dann in der Vergangenheit zu schlecht vorgerechnet?
Letztendlich ist es so, dass jeder weiß, was die WHO sagt, dass jeder wissen könnte, was die EMA sagt, dass jeder sehen kann, wie England die Pandemie mit Astra in Begriff bekommt. Und wenn ich diese Informationen werte, dann ist die Frage, ob dieses Herumreiten auf den Hirnvenenthrombosen, ob da die Relation der Mathematik verstanden wird. Die großen Zahlen werden nicht mehr genannt. Bei einer Inzidenz von 500 oder 1000 würde ich auch 20-jährige Mädchen damit impfen, weil es einfach dann eine Risikoabwägung ist, die ganz klar ein Pro für diesen Impfstoff hat. Aber es ist eben eine Risikoabwägung.
Kann man diese Risikoabwägung der Bevölkerung überhaupt zumuten?
Unbedingt. Sie können es nicht dem Einzelnen zumuten, aber der Bevölkerung unbedingt. Eine Impfung ist immer ein Populationsschutz. Es geht um die Frage, was für 1000 Leute gut ist. Ich kann nie sagen, dass es gut für den einen ist. Dieses Paradox kriegt man nicht gelöst. Für die Population ist das Impfen mit Astra Zeneca eine sehr, sehr gute Idee. Die Idee zu sagen, dadurch, dass ich mich impfen lasse, zeige ich mich solidarisch, das ist ein Aspekt, der mir in unserer Gesellschaft ein bisschen fehlt. Man impft sich nicht nur für sich, man impft sich auch für die anderen.
Hätten auch Sie als Hausarzt mehr vorrechnen, mehr Aufklärungsarbeit leisten müssen?
Nein, ich sage es ganz ehrlich: Mit ungefähr drei freien Sonntagen seit Januar und einer Arbeitszeit von 60 bis 80 Stunden glaube ich nicht, dass ich für meine Patienten noch mehr tun muss. Oder anders gesagt, das ist dieser Punkt, wo ich auch anfange, wütend zu werden, weil ich mir denke: 'Nehmt euch die Informationen selber, denkt darüber nach, dann wüsstet ihr wie es ist.' Dann brauche ich es gar nicht erklären. Und das ist auch ein Problem der Presse. Es ist leider so, dass seit Monaten nur noch über die Impfnebenwirkungen gesprochen wird. Ich vermisse die schweren Verläufe in der öffentlichen Wahrnehmung, ich vermisse das öffentliche Gedenken an die Corona-Verstorbenen.