Münchens neues Kulturzentrum:Bergson? Was ist das?

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Das Ensemble der "Jazzrausch Bigband" ist die Hausband des Bergson. Ihr Gründer und Leiter Roman Sladek fungiert auch als "Artistic Director" des Kunstkraftwerks in Aubing. (Foto: Sebastian Reiter)

Im April öffnet in Aubing das "Kunstkraftwerk" seine Pforten. Münchens derzeit spannendstes Kulturprojekt bietet fortan laufend Live-Konzerte, Ausstellungen, Partys und Gastro-Erlebnisse. Der große Überblick zum Start.

Von Bernhard Blöchl, Oliver Hochkeppel und Jürgen Moises

Die Ziele sind traumwandlerisch ehrgeizig: Nicht weniger als ein "kulturelles Gravitationszentrum" soll das Bergson werden, in dem Hoch- auf Subkultur trifft, der Opernfreund auf den Stand-up-Comedy-Fan. An 365 Tagen des Jahres. Das Ensemble aus Alt- und Neubau, das die 20 000 Quadratmeter Fläche in Aubing im Münchner Westen schmückt, soll als "Kunstkraftwerk" frischen Wind in die bayerische Kulturszene bringen. Privatwirtschaftlich von den Brüdern Michael und Christian Amberger (Allguth) finanziert, öffnet das Bergson am 9. April 2024 nach drei Jahren Bauzeit seine Pforten. Der Name Bergson geht zurück auf den französischen Lebensphilosophen Henri-Louis Bergson (1859 bis 1941), dessen Gedanken zum "Elan vital" den Betreibern passend für ihr vitales Projekt erschienen.

Historie

Von der Ruine zum riesigen neuen Kulturzentrum: Das Bergson Kunstkraftwerk im Münchner Westen öffnet nach drei Jahren Bauzeit im April 2024 seine Pforten. (Foto: Benjamin Günther/Bergson)

Die Geschichte beginnt vor mehr als 100 Jahren. Ein unbekannter Architekt entwirft um 1920 die Pläne für das spätere Aubinger Heizwerk. Der Bau beginnt 1940, als Zusammenspiel von Stahlbeton, Industrieziegeln und klassizistischen Elementen, kommt aber im Krieg zum Erliegen. Um 1955 wird das Heizwerk von der Deutschen Bahn nutzbar gemacht. In den frühen Achtzigern wird das stillgelegte Werk zum "Lost Place", wo Techno-Raves und andere Underground-Partys gefeiert werden. 2005 erwirbt das Münchner Familienunternehmen Allguth die Ruine samt Grundstück. Seit dem Pandemiejahr 2021 wird gebaut und sensibel modernisiert, Richtfest war im Sommer 2023, 2024 soll das Leben einziehen. Dann werden die verschiedenen Bereiche, vom Restaurant (10. April) zum Konzertsaal im Neubau (Oktober) peu à peu in einer großen "Eröffnungskaskade" eingeweiht. Programmdirektor ist der Journalist und Moderator Maximilian Maier (BR). Er wolle "ein möglichst breites Publikum" ansprechen.

Eröffnungswochen

Beim Tanzformat "2xGetanzt" erarbeiten zwei Choreografinnen mit zwei Tänzern jeweils eine eigene Choreografie zur Musik des Arcis Saxophon Quartetts. (Foto: arcisvisuals/Bergson)

Wie es sich für ein Projekt dieser Dimension gehört, wird gleich mehrmals eine "Housewarming Party" gefeiert: An fünf Abenden, 9. bis 13. April, sollen Besucher bei Electronic Dance Music und Drinks warm werden mit dem Bergson. Hier kann man besonders gut das 25 Meter hohe Atrium bestaunen, wo laut Betreiber "das Herz des Bergson" klopft. Ebenfalls am Dienstag, 9. April, hat das Familienereignis "Peter und der Wolf" Premiere: Mitglieder des Bayerischen Staatsorchesters musizieren, während der Klassiker als Trickfilm auf die Silos im Altbau projiziert wird (ausverkauft, weitere Termine und Schulvorstellungen bis 14. April). Am 19. April lädt DJ Lazykid mit Melodic Techno und House zum "Party-Start ins Wochenende". Eine gute Gelegenheit, das elegante Zwischengeschoss, die Beletage, kennenzulernen, bietet das experimentelle Tanz-Konzert-Format "2xGetanzt" (24. April). Auch die Kultur- und Kulinarik-Reihe "K.u.K." (von 30. April an) geht hier, also mit besonderem Ausblick, über die Bühne.

Konzerte

Konzertauftakt im Bergson: Am 21. April stellt das Improvisationsquartett "hilde" sein neues Album vor. (Foto: Anna Sorgalla)

Schon seit der Planungsphase war klar, dass die Jazzrausch Bigband das "Orchestra in residence", also die Hausband des Bergson wird. Ist doch ihr Gründer und Leiter Roman Sladek auch der "Artistic Director" des Kunstkraftwerks. Das Flaggschiff des alle Genres abdeckenden Musikprogramms bezieht seine neue Heimat mit "immersiven Party-Konzerten" unter dem Titel "Bergson Rise": In verschiedenster Formation vom Solisten bis zur kompletten Band wird spielend durchs Publikum im riesigen Atrium gewandert, mal unplugged, mal zum fetten Sound der Anlage, immer begleitet von einer aufwendigen Lightshow (20. April ist ausverkauft, 25. bis 27. April, 3. und 4., 9. bis 11., 17. und 30. Mai).

Zum regulären Konzertauftakt stellt das Improvisationsquartett hilde sein zweites Album "Tide" vor (21. April). Die Klassik kommt dann mit dem Re:Ensemble zum Zug, das sich unentdeckten Kammermusik-Schätzen widmet und hier mit "French Connections" Bezüge französischer Werke zueinander aufzeigt (28. April), und mit einem Chopin- und Rachmaninow-Konzert des Pianisten Alexander Krichel (14. Mai). Mit dem Cellisten Maximilian Hornung spielt Krichel am 20. Mai Sonaten von Brahms und Beethoven. Dazwischen präsentiert sich die französisch-armenische Singer/Songwriterin Nina Kazourian mit ihrem Debütalbum "Under Rivers" (5. Mai). Richtig in die Vollen wird es gehen, wenn erst der Live-Club im Keller, "Barbastelle" genannt, sowie voraussichtlich im Oktober der spektakuläre Konzertsaal eröffnen.

Völlig neu und einzigartig ist das Konzept der "Bergson Artists": Aus einem Pool von etwa 100 erstklassigen Münchner Musikern kann man sich für jeden Anlass die passende musikalische Begleitung zusammenstellen, vom Pianisten über ein Streichquartett, eine Brass- oder Dinner-Band bis zur Soul- oder Cover-Band.

Ausstellungen

Im Juli 2024 soll die Galerie im Neubau eröffnen. (Foto: Bergson)

In ihrer mit "Holy Quarter" betitelten Ausstellung vor vier Jahren im Münchner Haus der Kunst hatte sich Monira Al Qadiri mit der Wüste als einem der ältesten und unberührtesten Lebensräume beschäftigt. Und im vergangenen Jahr waren im Kunsthaus Bregenz Skulpturen von ihr zu sehen, die sich bei näherer Erkundung als Ölbohrköpfe entpuppten. Was zeigt: Ihre Heimat Kuwait spielt in Monira Al Qadiris Kunst eine wichtige Rolle - obwohl sie in Tokio Kunst studiert hat und mittlerweile in Berlin lebt. Um die für Kuwait essenzielle Öl-Industrie wird es unter anderem auch in der Ausstellung mit Werken von Monira Al Qadiri gehen, die das Bergson von 7. Mai an präsentiert. Denn die Bildende Kunst, sie gehört ebenfalls fest zum Programm des Kunstkraftwerks.

Gezeigt werden Al Qadiris Skulpturen und Installationen zum einen in den alten Silos, in denen früher Kohle gelagert wurde. Dort, in mehr als 15 Metern Höhe und in vier Kabinette unterteilt, werden die Arbeiten kostenfrei zugänglich sein. Weitere sehr großformatige Werke von Al Qadiri werden im Atrium, der riesigen Kesselhalle, präsentiert.

Am 12. Juli wird auch noch eine große Galerie im Neubau eröffnet, womit dann gut 2000 Quadratmeter an Galeriefläche für Verkaufsausstellungen zur Verfügung stehen. Geplant sind dafür Kooperationen mit namhaften Galerien aus dem In- und Ausland, wie im Fall von Monira Al Qadiri mit der Berliner König Galerie. Zudem will man, so heißt es, mit privaten Sammlern und Kunst sammelnden Unternehmen ins Gespräch kommen.

Akademie

Auch Diskussionsrunden gehören zum Bergson. In der sogenannten Akademie soll der öffentliche Dialog über die wichtigen Themen unserer Zeit gefördert werden. Zum Start im Juni beginnt eine Vortragsreihe zum Thema "Der Nahe Osten - zwischen Politik, Religion und Gesellschaft": Am 17. Juni spricht der streitbare Historiker und Publizist Michael Wolffsohn; am 4. Juli widmen sich Journalistin Natalie Amiri, Pater Nikodemus Schnabel und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann demselben Thema. Einen Vorgeschmack auf die Bergson-Podiumsgespräche bietet bereits am 18. April, 19 Uhr, eine Diskussion über die Münchner Kulturszene: In Kooperation mit der Münchner Volkshochschule tauschen sich Kulturreferent Anton Biebl, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, Kulturveranstalter Michael Kern, Frank Przybilla von der Pasinger Fabrik und Roman Sladek vom Bergson aus. Moderiert wird der Abend von SZ-Redakteurin Susanne Hermanski, die zusätzlich noch zu einem SZ-Kultursalon zum Thema Bergson lädt (11. April, 18.30 Uhr).

Gastronomie

Er verpasst dem Kunstkraftwerk den kulinarischen Schliff: Christopher Engel, hier im Hotel Vier Jahreszeiten, wo er in den vergangenen Jahren alle Küchen verantwortet hat. (Foto: Florian Peljak)

Mit Spannung erwartet wird auch die Eröffnung des Restaurants Zeitlang im Altbau. Eröffnet wird am 10. April (nur geladene Gäste), Reservierungen sind von 13. April an möglich. Versprochen wird gastronomische Vielfalt, "Fine Dining" in "lässiger, ungezwungener Atmosphäre". Die Einflüsse der Küche reichen "von mediterranen Aromen über bayerische Klassiker bis hin zu exotischen Gewürzen". Zum Restaurant mit Terrasse gehört auch eine Bar mit Barfood-Menü. Außerdem locken die Tagesbar Anima in der ehemaligen Kesselhalle und im Sommer ein Biergarten nebenan. Bergson-Küchenchef ist Christopher Engel (Hotel Vier Jahreszeiten). Auf die Frage, wie das Bergson schmeckt, sagt er: "Süß, sauer, salzig, scharf - von allem etwas."

Anfahrt

Kurz vor Vollendung: Das Bergson in Aubing wird in den kommenden Monaten rundherum fertiggestellt. Zu erreichen ist das neue große Münchner Kulturzentrum per S-Bahn (Station Langwied) oder mit dem Auto. (Foto: Robert Haas)

Klar, Aubing ist nicht die Au. Wer das Kunstkraftwerk erleben möchte, muss eine gewisse Anreise in Kauf nehmen, es sei denn, er oder sie lebt ohnehin im Münchner Westen. Aubing-Lochhausen-Langwied ist der westlichste Stadtbezirk. Knapp eine halbe Stunde sollten Autofahrer einplanen, wenn sie in der Innenstadt losfahren. Beim Bergson (Adresse: Am Bergson Kunstkraftwerk 2, ehemals Rupert-Bodner-Straße 3-5) stehen laut Veranstalter 200 Parkplätze zur Verfügung, für Fahrräder noch viel mehr. Die S-Bahn (S3) benötigt knapp 20 Minuten vom Marienplatz bis zur Station Langwied; von dort sind es noch knapp sieben Minuten zu Fuß.

Bergson Kunstkraftwerk, von Dienstag, 9. April, an, Programm und Tickets unter bergson.com/programm

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