Ausstellungen:Das Glasperlenspiel

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Beeindruckend ist die filmische Installation "Holy Quarter" von Monira Al Qadiri im Haus der Kunst. (Foto: Maximilian Geuter)

Maximale Unterschiede: Monira Al Qadiris poetische Film-Installation "Holy Quarter" und Sung Tieus Multi-Media-Einrichtung "Zugzwang" im Haus der Kunst

Von Evelyn Vogel, München

Es ist eine Reise, eine Reise in die Rub al-Khali, wo Sonne und Wind das "Leere Viertel" beherrschen. Eine Wüste zwischen Jemen, Oman und Saudi-Arabien, ein unwirkliches, menschenfeindliches Land, das aber schon immer Abenteurer anzog wie den britischen Forschungsreisenden John Philby in den Dreißigerjahren, der ausgezogen war, das Atlantis der Wüste zu suchen. Statt versunkener Paläste fand er eine Meteoritenlandschaft, so unwirklich, dass kein Atlantis es ihm gleichtun könnte. Dorthin entführt die im Senegal geborene, in Kuwait aufgewachsene und in Japan ausgebildete Künstlerin Monira Al Qadiri die Betrachter mit ihrem aktuellen Film "Holy Quarter", den sie zusammen mit riesigen schwarzen Glasperlen als große Rauminstallation im Haus der Kunst zeigt.

"Wir stürzten in den Sand, umhüllt von Höllenfeuer", deklamiert der Erzähler. "Wir gehörten nicht der Erde, sondern dem Himmel an. Und dies war nicht unser erster Besuch", flüstert die Stimme, die sich über den poetischen Bildern und melismatischen, fast sakral anmutenden Tonreihen erhebt. Komponiert hat diese Musik Moniras Schwester Fatima, die gerade für ihren Soundtrack zum Film "Atlantique" von Mati Diop für den César nominiert wurde.

Auch in "Holy Quarter" spielt ihr Sound eine wichtige Rolle. An manchen Stellen erinnert Al Qadiris Werk auch deswegen an den Experimentalfilm "Koyaanisqatsi" von 1982 mit der Musik von Philip Glass. Doch anders als dort erklingen hier über den Bildern auch Worte, die sich aus verschiedenen Quellen speisen, und die man nicht alle verstehen muss, um einzutauchen in Monira Al Qadiris Werk. Denn allein die Bilder entwickeln einen Sog, der einen mitreißt.

Aus gleißend weißem Sand ragen rötliche Felsen auf, die aussehen, als ob versunkene Drachen ihre steinernen Buckel emporstrecken. Dazwischen liegen rund geformte Steine wie gebrannte Perlen aus Ton - die Hitze des Meteoriteneinschlags gebiert seltsame Geschöpfe. Später fliegt die Kamera über eine gelbe Sandwüste, in der ein einsames Bäumchen dem Wind trotzt und weiter über Dünen, über Wellen aus Sand, die sich waschbrettartig ausbreiten. In einer kargen Felslandschaft tun sich tiefe Einschnitte in Form eines Kreuzes auf. An anderer Stelle überblendet die Künstlerin einen Baumstamm mit harzigem Auswurf, dessen Rinde im Wind flattert, mit krabbelnden Insekten. Oft kann man nicht abschätzen, aus welcher Höhe die Kameradrohne die Landschaft in gestochen scharfen Aufnahmen aufgezeichnet hat. Selbst das Google-Earth-geschulte Auge ist irritiert. Die schwarzen, gläsernen Objekte, die in der Installation auf dem Boden liegen, erweitern den filmischen Raum, von dem es heißt: "Ein Ort, wo die Materie keine Gestalt hat. Ein Nicht-Ort."

Einen Nicht-Ort ganz anderer Art hat die deutsch-vietnamesische Künstlerin Sung Tieu geschaffen. Mit ihrer multimedialen Raumeinrichtung setzt sie die Besucher Momenten bürokratischer Machtstrukturen aus. Im räumlichen Mittelpunkt der Installation stehen monströse Regale mit persönlichen wie anonymen Artefakten und ganz alltäglichen Büroutensilien, die eine Sechs-Kanal-Soundinstallation mit lang gezogenen Klängen und verschiedenen Alltagsgeräuschen bergen. Grundlage der Komposition ist Wagners "Tannhäuser"-Ouvertüre. Klinisch kalt anmutendes Besuchermobiliar aus Edelstahl von einem britischen Gefängnisausstatter sowie ein protziger Schreibtisch mit einer recht plakativ-klischeehaften Teetasse in Form eines Haifischs zeigen das Gefälle der Macht auf.

Die eigentliche Handlung jedoch spielt sich wie eine Rahmenhandlung an den Wänden ab: Dort hängen verfremdete Formulare von Asyl-, Einwohnermelde- und Staatsangehörigkeitsanträgen. Statt sie mit Worten auszufüllen, hat Tieu ein Schachspiel auf die 32 Dokumente gezeichnet. Vom ersten Zug bis zu Schachmatt, um deutlich zu machen, wie die Antragsteller unter "Zugzwang" sind und Zug um Zug ihre Identität und alles Persönliche preisgeben müssen - um dann doch oft an bürokratischen Hürden und den meist kaum durchschaubaren Strukturen der Macht zu scheitern. Es geht also auch um Willkür einerseits und um Widersprüche in den Grauzonen der Legalität, in denen so mancher Antragsteller sich bewegt, aus Angst, einen Fehler zu machen und die erhoffte Genehmigung nicht zu erlangen.

Zudem gibt es drei fiktive Zeitungsartikel, in denen Tieu drei Bereiche thematisiert: bedingungslose Gefolgschaft, wobei sie hier den "Mr. Stevens" aus Kazuo Ishiguros Roman "Was vom Tage übrig blieb" auf politische Art und Weise paraphrasiert. Im zweiten Artikel macht sie Expads - also jene internationale Nomadengemeinde, der es in der Regel immer besser geht als der Bevölkerung, in der sie lebt - zu staatenlosen Immigranten. Und im dritten verdreht sie die Vorzeichen der Einwanderung und erhebt die "Borders 2.0".

Das ist alles sehr spannend, aber auch anstrengend. Doch Sung Tieu weiß, wovon sie künstlerisch spricht. 1992 hat sie in einem Waldgebiet die Grenze von Tschechien nach Deutschland überschritten - und geriet unter Zugzwang.

Kapsel 11: Sung Tieu. Zugzwang; Kapsel 12: Monira Al Qadiri. Holy Quarter; bis 21. Juni, Mo-So 10-20 Uhr, Do 10-22 Uhr, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1

© SZ vom 31.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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